39 - Die Dunkelheit

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Erleichterung machte sich in Lenoa breit. So ungewohnt dünn die Stimme auch klang, sie erkannte sie trotzdem. ,,Arsiena, wir sind es", sagte sie laut und trat vorsichtig näher, das Messer jetzt wieder verborgen in ihrem Umhang.

Arsiena senkte den Bogen und starrte sie und Paradur fassungslos an. ,,Lenoa? Wie ... Ihr wurdet doch gefangen genommen", sagte sie und ließ sich mit einem erleichterten Seufzen wieder in eine sitzende Position fallen. Erst jetzt bemerkte Lenoa, dass sie ihr linkes Bein kaum belastete und jetzt vorsichtig ausstreckte.

Zu zweit traten sie ebenfalls unter das Dach des Felsens. Arian saß an die feuchte Erdwand gelehnt da, den rechten Arm in einer provisorischen Schlinge. Mit freudig überraschter Miene sah er Paradur und Lenoa entgegen.

Kelmor betastete vorsichtig seinen Hinterkopf und lächelte, obwohl seine Finger nun blutig waren. Auch er hatte einen Verband um seinen Knöchel. ,,Ihr habt es geschafft, aus Dun Leor auszubrechen!", stellte er kopfschüttelnd fest.

,,Unfassbar. Wie habt ihr das angestellt?", fragte Arsiena und verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als sie mit einer Hand nach ihrem Gepäck griff und dabei versehentlich ihr Bein berührte. Sie trank etwas aus ihrem Wasserschlauch und reichte ihn dann an die anderen weiter.

Paradur und Lenoa trockneten sich mit ihren ohnehin nassen Decken so gut es ging ab, wenigstens das Gesicht und die Hände, beides von schwarzen Schlieren überzogen, die sich durch den Stoff aber abwischen ließen.

Während Lenoa ihre nassen Haare auswrang und zu einem unordentlichen Knoten band, begann Paradur zu erzählen, was geschehen war, angefangen mit ihrer Trennung auf der Halbinsel. Die anderen drei hörten schweigend zu, waren jedoch genauso verwirrt vom Auftauchen der anderen Inaari in Dun Leor, wie Lenoa und Paradur es waren.

Anschließend forderten sie, die Geschichte der anderen zu hören und Arsiena fasste es in knappen Sätzen zusammen. ,,Die Kwir haben von uns abgelassen, nachdem wir so verletzt waren, dass wir keine Bedrohung mehr darstellten. Wir wollten euch folgen und sind in einigem Abstand hinterher. Vor Dun Leor hat es aber nur so vor Kwirtruppen gewimmelt, deswegen haben wir abgedreht und sind Richtung Osten weiter. Wir konnten uns ja selbst kaum mehr auf den Beinen halten. Am Gordam haben wir dann beschlossen, nach Gla'zal zurückzukehren, mussten uns aber zuerst verarzten und ausruhen. An einer kleinen, fast eingebrochenen Brücke, ein Stück nördlich der Weißen Furt, sind wir über den Fluss und dann weiter nach Norden in die Hügel."

,,Und hier hat euch dann das Gewitter eingeholt", schlussfolgerte Lenoa und nickte nachdenklich. ,,Nach Gla'zal zurückkehren ist auch nur eine Verzögerung unseres Todes."

Keiner erwiderte etwas, doch das war auch nicht nötig. Man musste nur einen Blick um sie herum werfen und jedem war klar, dass Daotan gewonnen hatte.

Ohne, dass noch ein weiteres Wort gesprochen wurde, legten Paradur und Lenoa sich so weit weg von der Regenkante wie möglich und versuchten sich auszuruhen. Doch beide waren ruhelos, mit dem grollenden Donner und dem rauschenden Regen ununterbrochen im Ohr. An Schlaf war nicht zu denken, obwohl Lenoa so müde war, dass ihre Gliedmaßen beinahe taub wurden.

Als eine ganze Reihe von Blitzen über den Himmel zuckte, so hell, dass es sogar hinter Lenoas geschlossenen Augenlidern hell wurde, gab sie es auf. Seufzend setzte sie sich auf und trank ein wenig aus ihrem Wasserschlauch.

Es war inzwischen bitterkalt, obwohl sie das Gefühl hatte, es war mittags. Doch ihre nasse Kleidung und die feuchte Umgebung ließen sie frösteln. Außerhalb ihres Unterschlupfs heulte der Wind, doch ausnahmsweise barg auch er keine Erleichterung für sie.

,,Lenoa", sagte Arian, als er bemerkte, dass sie nicht mehr versuchte zu schlafen. ,,Hier. Es hat sich unter eine Moosschicht geschoben, als die Kwir dich gefangen genommen haben, deswegen haben sie es nicht bemerkt. Es war beinahe so, als wollte die Natur es auch mir nicht geben."

Sie wusste, was er ihr geben würde, noch bevor er das glänzende Schwert zwischen den Lagen seines Gepäcks hervorzog. Inzarn. Lenoa wusste nicht, was ihr die Klinge jetzt noch bringen sollte, doch bisher war es ihr immer besser gegangen, nachdem sie das Schwert in der Hand gehabt hatte.

Schaden konnte es nicht, eine ordentliche Waffe wiederzuhaben. Auch, wenn die Kwir sich durch ein einzelnes, mächtiges Schwert nun nicht mehr würden aufhalten lassen.

Selbst in dieser Düsternis, die mit jeder verstreichenden Stunde weiter zunahm, glänzte Inzarn, als wäre es frisch poliert worden. Der Stein im Knauf schien von einem umherwirbelnden, blauen Rauch erfüllt zu sein, der sich Lenoas Berührung entgegenreckte.

,,Es ist warm", stellte Arian fest und hielt es ihr mit seinem unverletzten Arm entgegen. ,,Das ist seltsam." Er wog es in der Hand und drehte es hin und her. ,,Dieses Schwert hat eine eigenartige Magie."

Lenoa sagte nichts und griff danach. Als ihre Fingerspitzen das Heft des Schwertes berührten, wäre sie beinahe wieder erschrocken zurückgezuckt. Doch dann streckte sie die Hand aus und umschloss den Griff mit ihren Fingern.

Augenblicklich breitete sich ein Kribbeln davon aus, fuhr durch ihren Arm, ihre Schultern, in ihre Brust. Das weiche, ungewohnt trockene Leder des Griffes war warm und diese Wärme übertrug sich auf Lenoas Körper.

Gemeinsam mit dem Kribbeln verknüpfte sich die Wärme mit dem Wind in Lenoas Inneren, der seit Dun Leor verschwunden gewesen war. Die Brise erwachte, wirbelte in ihr herum, erfüllte sie mit Wärme und mit Licht.

Gleichzeitig begann die Klinge noch ein wenig mehr zu glänzen, anfangs nur leicht, dann immer stärker, bis das Metall ein tiefblaues Glimmen ausstrahlte. Ein lauer Luftstrom fuhr in ihren Unterschlupf, brachte Lenoas Haare dazu, sich aus ihrem unordentlichen Knoten zu lösen und wehte die schwarzen Locken sanft nach hinten.

Vier Augenpaare starrten auf die Inaari und das Schwert. Keiner wagte auch nur zu atmen, geschweige denn, sich zu bewegen oder etwas zu sagen.

Lenoas Erschöpfung, ihre Hoffnungslosigkeit, ihre Melancholie wurde mit dieser Brise davon getragen. Eine freudige Erwartung stieg in ihr auf, wurde vom Wind in ihr verwirbelt und in ihren Gliedmaßen verteilt.

Sie war auf den Beinen, bevor sie wusste, dass sie sich bewegte. ,,Kommt. Es gibt Hoffnung."

Ma'kani - Auserwählte der Inaari'iWo Geschichten leben. Entdecke jetzt