14. Kapitel

611 42 18
                                    

Seufzend hob ich das Plektrum auf und legte es in unsere Krimskrams-Schublade in der Küche. Ich würde es meiner Cousine Maja schenken: sie hatte erst vor einigen Wochen angefangen, Gitarre zu spielen und sie würde sich sicher darüber freuen.

„Lo?" Ich schnellte herum. Wieso musste ich auch so schreckhaft sein? „Geh nur kurz auf Instagram und auf Twitter", forderte mich Liz grinsend auf. 

Zögernd tat ich wie geheißen und befolgte ihren Rat. Eigentlich wollte ich gar nicht sehen, wie sich andere Leute über mich lustig und mich fertig machten, doch ich spürte Liz beharrlichen Blick auf mir. 

Seufzend öffnete ich die App – und musste erst mal nach Luft schnappen. Meine Kinnlade klappte auf und ich starrte Liz mit großen Augen an.

Damit hatte ich nicht gerechnet. Die Zahl meiner Abonnenten auf Instagram war in Laufe des heutigen Nachmittags von 17.000 auf etwas über 450.000 gestiegen. In einem Nachmittag! 

Zum Glück postete ich nie besonders viel – ich nutzte die App viel mehr zum Stalken und hatte beinahe keine privaten Sachen online gestellt. Nachricht um Nachricht trudelte ein, ich sah haufenweise neue Kommentare, doch ich wollte sie nicht lesen. Heute noch nicht.

„Krass...", stotterte ich, doch dann legte ich mein Handy schnell beiseite. Für heute wollte ich nur mehr ein ganz normales Mädchen sein, das ihren Freund vermisste. 

Ohne Paparazzi, Fans und Instagram. Liz schien genau zu wissen, was ich dachte und schloss mich kurzerhand in die Arme. Dankbar lehnte ich meinen Kopf gegen ihre Schulter.

„So, weil du jetzt schon eine Berühmtheit bist, werden wir den Kuchen anschneiden. Ich freu mich schon den ganzen Tag darauf!", jauchzte sie dann, löste sich von der Umarmung und gab mir einen Klaps auf den Po.

„Tut mir leid, Lizzie... ich kann grad nicht...", murmelte ich beinahe lautlos. Ich konnte jetzt nicht hier sitzen, Torte essen und meinen Erfolg feiern, während Alex mit anderen Mädels auf Partys ging. Dieser Idiot! Er hatte mich einfach abserviert und stehen gelassen! 

Ich sah die Enttäuschung in ihren Augen aufblitzen, doch Liz nickte nur verständnisvoll und wandte sich ab. Sofort plagte mich mein schlechtes Gewissen. Sie gab sich solche Mühe und ich? Ich aß nicht mal die bescheuerte Torte. „Morgen, versprochen!", fügte ich sanft hinzu, doch sie hatte die Torte schon wieder in den Kühlschrank gestellt und lächelte mich nur kurz an.

Ich wollte Liz auf keinen Fall verletzen oder enttäuschen, doch ich brauchte einfach etwas Zeit für mich. Schnell schlüpfte ich in meine Sneakers, dann fiel mein Blick auf die Chucks, die mir Holly gegeben hatte. Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich immer noch Holly Klamotten hier hatte, allerdings dürfte ihr das bei den vollgestopften Kleiderschränken kaum auffallen. Ich beschloss, ihr die Kleidungsstücke morgen vorbeizubringen, heute hatte ich wirklich keinen Nerv mehr dafür. 

Ich schnappte mir meine Jeansjacke, dann lief ich mit schnellen Schritten durch das Treppenhaus nach unten. Ich wollte nur für einen kleinen Moment alleine sein und über alles in Ruhe nachdenken. Es war ohnehin schon dunkel, niemand würde mich irgendwo sehen oder erkennen können, also konnte ich seelenruhig einen kleinen Spaziergang machen.

Das schlechte Gewissen nagte an mir, während ich durch das nächtliche London spazierte, doch meine Gedanken schweiften wieder ab nach Portugal. Übertrieb ich etwa? Sollte ich es Alex gönnen, dass er Spaß hatte? Er sollte es dort genießen, das war klar, doch ich wollte deshalb nicht versetzt werden. War das zu viel verlangt? Er wusste, wie wichtig der heutige Tag für mich war... 

Außerdem war er es gewesen, der mir gut zugeredet hatte, als ich ihm von Amandas verrückter Idee erzählt hatte! Erwollte doch, dass ich mit Harry ausging, er war derjenige gewesen, der unbedingt wollte, dass ich zusagte. Verübelte er es mir etwa? Oder gönnte er mir den Erfolg nicht? Obwohl... von Erfolg konnte man nicht wirklich sprechen – eher war es eine unglaublich große Blamage für mich gewesen. 

Plötzlich fuchste es mich tierisch, dass ich mein Handy nicht mitgenommen hatte – ich wollte unbedingt die vielen Kommentare und Schlagzeilen sehen. Was die Fans wohl von mir dachten? Befürworteten sie unsere „Beziehung" oder würden sie mich dafür hassen?

Wahrscheinlich wollten sie mich alle zusammen auf den Mond schießen, wenn nicht sogar weiter weg. Grummelnd schoss ich ein paar kleine Steinchen über den Bordstein. Mir fielen Harrys Worte wieder ein. Du verkörperst die Mädchen aus dem Fandom... du gibst ihnen Hoffnung... Wie idiotisch. Ich bereute immer mehr, dass ich den dämlichen Vertrag unterschrieben hatte – Schauspielkarriere hin oder her. 

Es war eine verdammte Lüge, mit der ich bekannt wurde. Wie konnte ich so blind sein, so gierig nach Erfolg, so unglaublich arrogant? Ich dummes, dummes Ding. Ich hatte mich wie ein hungriges Tier darauf gestürzt.

Wütend trat ich nach einer der Mülltonnen, die darauf warteten, abgeholt und entleert zu werden. Mit einem lauten Scheppern fiel sie um und erschrocken zuckte ich zusammen. Prima, Lottie, ganz große Klasse. 

Verächtlich schnaubend ging ich schnell weiter, doch ich kam nicht weit, sondern kehrte von schlechtem Gewissen geplagt um und stellte die Mülltonne ächzend und mit lautem Stöhnen wieder dorthin, wo sie gestanden hatte. Toll, ich war so ein Sensibelchen: ich konnte nicht mal einer Mülltonne etwas zuleide tun, wie sollte ich jemals dem Druck der ganzen Fans standhalten?

„Hey, Mädel!" Ein dickbäuchiger, älterer Herr kam in seinem Vorgarten. „Was machst du hier? Was suchst du in meinem Müll?" Stammelnd setzte ich zu einer Erklärung an, doch er ließ mich erst gar nicht zu Wort kommen. „Moment mal, du warst doch gerade eben in den Nachrichten, meine Tochter hat doch gerade diese blöde Sendung gesehen, jajaja, du bist doch die, die ohnmächtig wurde! Jetzt bleib doch mal stehen!" 

Ich blieb nicht stehen. Meine Füße trugen mich immer schneller weg von dem Mann, weg von seinem Vorgarten und der bescheuerten Mülltonne. Tränen strömten über mein Gesicht und ich wischte sie schnell weg. So sah es also aus: ich war das Mädchen, das in Ohnmacht fiel. Ich rannte immer schneller, ich wollte weg von all dem, einfach nur weit weg, zurück in mein Leben vor dem heutigen Nachmittag.

Plötzlich blieb ich keuchend stehen. Ich hatte gar nicht mehr darauf geachtet, wohin mich meine Füße trugen, ich war einfach nur losgelaufen. Panisch sah ich mich um – ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wohin ich gerade eben gelaufen war. Dieser Teil von London war mir total unbekannt, doch ich konnte nicht weit weg von Zuhause sein.

 Okay – ich musste einen kühlen Kopf bewahren, einfach nur klar denken. Ich versuchte irgendwo ein Straßenschild zu sehen, doch es war vergeblich. Bereits zum zweiten Mal in dieser Nacht ärgerte ich mich darüber, mein Handy Zuhause liegen gelassen zu haben. Die Straße wurde nur spärlich beleuchtet, immer wieder fiel eine Laterne aus. Keuchend sah ich mich um. Irgendeinen Hinweis musste ich doch finden! So weit war ich doch überhaupt nicht gelaufen...

Und dann, ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, packte mich jemand am Oberarm. 

CluelessWhere stories live. Discover now