FEARLESS

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"Lottie? Kommst du zum Essen?"
"Später." Natürlich, was auch sonst. Die Antwort war seit Wochen dieselbe. Dasselbe monotone Wort, das nur leise über ihre Lippen kam.

"Lottie, komm schon! Du musst etwas essen!" Sanft streichelte ich ihr über den Arm, doch sie regte sich nicht. Es ging seit Tagen, nein, seit Wochen so. Ihre Wangen waren eingefallen, sie hatte unglaublich viel abgenommen und sie sah so schrecklich müde aus. Müde von den gut gemeinten Worten, müde von den tröstenden Umarmungen und den mitleidigen Blicken der anderen.

"Ich muss gar nichts!", rief sie plötzlich laut und funkelte mich wütend an, dann verharrte sie wieder auf dem Sofa in ihrer üblichen Position: die Knie angewinkelt, welche sie mit ihren Armen umschlang, das Gesicht dahinter versteckt. Und jeden Tag sah sie mich mit demselben leeren Blick an, der Blick, der mich mehr verletzte als alles andere.

Ich antwortete ihr nicht, sondern hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, dann ging ich zurück in die Küche. Ich hatte ihr Lieblingsessen gekocht - Lasagne - doch Lottie bewegte sich keinen Millimeter. Wahrscheinlich hatte sie es nicht bemerkt. Schnell pustete ich die Kerze aus und ließ mich neben dem heißen Teller nieder, doch ich rührte ihn nicht an. Ich würde ohnehin nichts essen können.

Es war unser Jahrestag, vor genau einem Jahr war das Klingelmännchen bei mir Zuhause aufgetaucht und hatte mir die Liebe gestanden. Es kam mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her - in einem Jahr hatte sich so viel verändert, alles war anders geworden. Hätte man mir vor einem Jahr gesagt, wie mein Leben heute aussehen würde, hätte ich es wohl nie geglaubt.
Es waren erst vier Wochen vergangen, seit es passiert war.

Vier Wochen, 3 Tage und 8 vermaledeite Stunden.

Seufzend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen und langsam stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich wollte für Lottie da sein, es brach mir das Herz, dass sie so litt, am liebsten möchte ich ihr all den Schmerz abnehmen, doch ich war am Ende. Ich war erschöpft, ich konnte die aufmunternden Worte unserer Freunde nicht mehr hören, ich möchte am liebsten die Zeit zurückdrehen!
Um genau vier Wochen, drei Tage und acht Stunden.

Wortlos stand ich auf und kippte die Lasagne in die Tonne. Es war doch ohnehin alles umsonst. Mein Blick fiel auf das Regal mit meiner Spirituosensammlung. Seit Lottie und ich ein Paar waren, hatte ich nur gelegentlich getrunken, hatte ab und zu mit Freunden angestoßen und mir manchmal ein Glas Whiskey am Abend genehmigt.

Seit vier Wochen und drei Tagen hatte sich das geändert. Jeden Tag leerte ich ein Glas nach dem anderen, versuchte den Schmerz irgendwie zu übertrumpfen und wollte alles vergessen - wenigstens für ein paar Stunden. Doch ich wachte jeden Morgen mit demselben Schmerz auf, alle Erinnerungen kamen zurück und holten mich in die eiskalte Realität. Und die nackte Wahrheit tat mehr weh als alles andere.

Noch immer konnte ich sie am Boden liegen sehen, konnte ihre Schreie in meinen Ohren hören. Wieso? Wieso in aller Welt müsste alles so verdammt schwierig sein? Warum traf es immer die Menschen, die es am wenigsten verdient hatten? Wieso ausgerechnet Lottie? Wieso zum Teufel? Wurden uns nicht schon genügend Steine in den Weg gelegt?

Müde sperrte ich die Tür auf. Ich war seit Stunden unterwegs und von einem Termin zum nächsten gehastet und umso mehr freute ich mich auf heute Abend. Wir wollten seit Langem wieder einen gemeinsamen Filmabend machen und ich freute mich tierisch, endlich wieder Zeit mit Lottie zu verbringen.

Sie war zwar bei mir eingezogen, allerdings kam es manchmal vor, dass wir uns tagelang nicht sahen - sie musste ans Set oder begleitete Harry und ich gab Konzerte, war im Studio oder hetzte von einem Interview zum nächsten. Doch bald würde der Wahnsinn ein Ende haben - nicht mehr lange und ich würde endlich eine kleine Pause einlegen können.

"Lo? Ich bin da!" Schnell legte ich den Schlüssel auf den Tisch und legte meine Taschen ab. "Lo?" Mit gerunzelter Stirn trat ich in den Flur. Normalerweise lief Musik, Lottie machte alberne Tanzbewegungen dazu und empfing mich mit einem freudigen Lächeln, doch heute herrschte Totenstille. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit, irgendetwas war merkwürdig...
"Lottie?", meine Stimme wurde lauter, panisch rief ich ihren Namen. Mit schnellen Schritten lief ich ins Wohnzimmer, suchte in der Küche, im Bad, doch ich konnte sie nirgendwo entdecken. Verdammt noch mal - wieso antwortete sie mir nicht?

Und dann, urplötzlich, durchbrach ein gellender Schrei die Totenstille. Er fuhr mir durch Mark und Bein, noch nie hatte ich einen Menschen so schreien gehört. So voller Angst und Schmerz!
"LOTTIE!" Mein Herz raste, als ich ihren Namen schrie, meine Beine trugen mich von ganz allein ins Musikzimmer, doch ich hatte wahnsinnige Angst davor, zu sehen, was passiert war.

Lottie lag am Boden, keuchend krümmte sie sich, Tränen strömten über ihre Wangen. "LOTTIE!"
Sie keuchte auf vor Schmerz, wimmernd lag sie da und presste ihre Hände auf den Unterleib, dann stieß sie einen weiteren Schrei aus. Der Schrei war noch lauter als der zuvor, voller Schmerz krallte sie ihre Fingernägel in meinen Arm.

Wütend trank ich das Glas in einem Zug aus. Ich war kaputt, wir beide waren kaputt und doch erwartete jeder, dass wir irgendwie funktionierten. Das Leben geht weiter. Voller Zorn pfefferte ich das Glas auf den Tisch. Es war eine Lüge, eine verdammte Lüge.

Das Leben ging nicht weiter. Manchmal hörte ein Herz einfach auf zu schlagen.

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ACHTUNG: Dies ist kein fixer Prolog, er ist aus Spaß nebenbei entstanden und einfach so auf dem Handy getippt worden. Der Film, den ich währenddessen gesehen habe, war nicht ganz Schuld an dieser Wendung, aber es wird nicht so weitergehen! Ich bin aber irgendwie stolz darauf und falls es tatsächlich eine Fortsetzung geben wird, wird das nicht der Prolog sein - ich wollte ihn aber trotzdem hochladen. Seht es mehr als Kurzgeschichte!

CluelessWhere stories live. Discover now