Entscheidung

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Lily brauchte eine Weile, sich an ihre Animagusgestalt zu gewöhnen. Nicht nur hatten sich die Sicht und das Gehör verändert, sondern auch ihr Körper reagierte anders. Laufen war fast unbequem und das Fliegen hatte sie erst nach ein paar Runden durchs Zimmer, bei dem sie immer wieder abgestürzt war, raus. Jetzt saß sie wieder auf Evelyns Schoß – in Eulengestalt. Die Aufregung hatte sich etwas gelegt und Lilys Gehirn war angenehm leer. Sie nahm zwar die Gespräche wahr, doch das Gefühl der inneren unruhigen Leere war verschwunden.

„Warum konnte Lily sich verwandeln?", hörte sie Nautrey aufgeregt fragen.
„Keine Ahnung", antwortete die Stimme von Hugo, während Lysander sagte:
„Vielleicht Flucht? Lily, warum konntest du dich verwandeln?", wandte sich Lysander an Lily. Lily wollte erst mit den Schultern zucken, bemerkte dann jedoch, dass sie sich in ihrer Eulengestalt befand. Stattdessen bewegte sie den Kopf langsam zur Seite und wieder zurück. „Möchtest du dich wieder zurückverwandeln?", fragte Maria. Lily hielt kurz inne, schüttelte dann aber wieder langsam ihren Eulenkopf. Nein, dann käme das gruselige Gefühl wieder zurück.

Lily wusste nicht, wie lange sie schlussendlich als Eule auf Evelyns Schoß lag und sich sanft durchs Gefieder streicheln hat lassen. Sie verwandelte sich erst zurück, als sie draußen auf dem Gang Schritte hörte, die sich zu ihnen bewegten. Ohne Vorwarnung saß Lily wieder in ihrer Menschengestalt auf Evelyns Schoß.
„Da bist du ja wieder, Lily!", rief Evelyn freudig.
„Gibt das nächste Mal aber lieber Bescheid, du bist schwer!" Lachend schob sie Lily in eine bequemere Position, als die Tür auf ging. Freya stand in ihr.
„Hier ist Essen für euch", sagte sie und hielt ein Tablett mit einem großen Teller in der Hand. Lily erkannte unter anderem belegte Brotschreiben und diverses Obst auf ihn. Freya stellte ihn auf die Kommode an der Wand, bevor sie sich wieder zu den Erben wandte.
„Die Härskarinna lässt fragen, ob ihr bereits eine Entscheidung getroffen habt." Dabei guckte sie besonders Lily an. Diese zog sich etwas zurück. Das war zu viel. Bis eben hatte sie die Gedanken noch verdrängen können.
„Lily?", fragte Freya nochmal forscher.
„Ich weiß es nicht, lass mich in Ruhe", rief Lily dann plötzlich, bevor sie sich wieder an Evelyn kuschelte und die Hände über die Ohren hielt. Sie vernahm noch ein „Ich werde es ihr ausrichten" und ein Türschließen, bevor es wieder ruhig wurde.
„Möchtest du es uns jetzt erzählen?", fragte Lysander schließlich. Jetzt zuckte Lily mit den Schultern.
„Ich habe keine Ahnung", sagte sie schließlich.
„Kein bisschen?", hakte Lysander nach und Lily schüttelte den Kopf.
„Mmh..." Wieder war es einen Moment still. Es war komplett still, wie Lily bemerkte. Es drangen keine Geräusche von draußen zu ihnen. Bloß ab und zu hörte sie jemanden atmen und vernahm Evelyns Herzschlag. Wieder in ihrer Menschengestalt kam auch die merkwürdige Erschöpfung wieder, doch Lily gelang es besser, sie zu verbannen.

Es war Hugo, der die Stille diesmal brach. „Ich glaube, ich habe meine Kraft", sagte er unsicher. Sofort drehten sich alle Köpfe zu ihm um. „Ich... Lily konnte sich verwandeln, weil sie sich in Menschengestalt unwohl fühlte. Und Freya hatte etwas Mitleid, während gleichzeitig auch Unverständnis zu sehen war."
„Wie zu sehen?", fragte Maria neugierig.
„Ich weiß nicht, das ist da so", antwortete Hugo unsicher.
„Bei Muggeln gibt es sowas, was sich Aura nennt, das ist so ein Farbschleier um einen. Einige behaupten, ihn zu sehen. Vielleicht ist es das?", erzählte Maria. Hugo bewegte den Kopf langsam zu den Seiten.
„Vielleicht, ja."
„Das ist wundertoll!", rief Nautrey und setzte sich gerade hin, doch sackte kurz darauf wieder zusammen.

„Meinst du, es kann uns helfen, heraufzufinden, was die wirklichen Absichten der Härskarinna sind?", fragte Lysander neugierig. Seine Augen hatten angefangen wieder zu strahlen. Inzwischen wusste Lily, dass dieser Ausdruck immer auf seinem Gesicht erscheint, wenn er eine neue Idee bekam.
„Vielleicht." Hugo zuckte mit den Schultern. „Wenn ich bis jetzt richtig liege, sind es Gefühle und keine Gedanken."
„Mmh", meinte Lysander und versank kurz wieder. Lily hatte die starke Vermutung, dass er einen Plan ausschmiedete. Wieder war es still. Maria guckte gedankenverloren aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu regnen und die Regentropfen klatschten schwer und lautlos gegen das Fenster, bevor sie in einem Rinnsal runterflossen. Einige Tropfen verschmolzen zu einem Rinnsal, andere trennten sich oder stoppten einfach. Lily spürte Evelyns Blick auf ihr. Fragend hob sie den Kopf, doch Evelyn schüttelte ihren nur leicht und drückte Lilys Kopf wieder an ihre Brust. Lily lauschte wieder einmal ihrem Herzschlag, der ruhig wie eine Uhr tickte. Poch... Pause. Poch... Er war stetig. Poch. Lily konnte sich darauf verlassen. Poch. Sie legte die Hand auf ihre eigene Brust und spürte ihr eigenes Herz nun ebenfalls. Poch. Das war Evelyns. Poch. Poch. Ihrer und Evelyns direkt hintereinander.

Die Erben des Merlins II HP-FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt