17. Spaziergang

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Müde und mit amüsiertem Blick sah ich Keno dabei zu, wie er versuchte Max an die Leine zu nehmen. Betonung lag auf versuchte! Ich hatte den Hund eigentlich nicht als einen verbohrten Sturschädel im Kopf. Eher als sabbernde Bestie, aber Max bewies gerade das Gegenteil.

„Wie wärs, wenn du mir mal hilfst?!", wollte Keno wissen. Mittlerweile hielt er sich die Seite.

„Nein, du machst das schon", antwortete ich gelassen. Die Nacht war einfach der blanke Horror gewesen. Immer wieder hatte ich mich umher gewälzt, so lange, bis Cosmo darauf bestanden hatte, dass er mir eine Schmerztablette holen würde. Diese musste ich dann auch schlucken.

Danach ging es einigermaßen.

Die Entzündung war nicht weg, das hatte mein Bruder heute Morgen leider bestätigt. Ich hatte sogar das Gefühl, dass es sich verschlimmert hatte. Nur was hatte ich mir eigentlich erhofft? Etwa, dass Aarón recht hatte und Gott meine Verletzung heilen würde? Ich mein, das war doch reine Glückssache, oder? Entweder es passierte ein Wunder oder eben nicht.

„Ace?", riss mich die Stimme von Keno aus den Gedanken.

Ich hob meinem Kopf. „Hm?"

„Kommst du?" Er hatte Max bereits an der Leine. Allerdings war seine Hose beschmutzt und der Hund war ebenfalls voller Dreck. Räudiges Vieh! Ich nickte. Die Lefzen hatte der Köter hochgezogen und er wirkte beinahe glücklich, so wie er dastand und hechelte. Kenos Brustkorb hob und senkte sich stark und kurz verschnaufte er. Dann lief er voraus und ich hinterher.

„Wie geht's dir eigentlich?", wollte er aus heiterem Himmel wissen und mein verwirrter Blick ließ ihn erklären. „Cosmo kam heute Nacht zu mir. Er hat sich unglaubliche Sorgen um dich gemacht. Nur als ich dann mit nach oben gekommen bin, warst du schon eingeschlafen."

„Das hab ich gar nicht mitbekommen."

„Wie auch? Die Schmerzmittel haben dich völlig ausgeknockt und du hast den Schlaf gebraucht. Ich hab Cosmo einfach geraten, dich schlafen zu lassen", meinte er.

Ich seufzte. „Danke."

„Kein Ding."

Stillschweigend liefen wir nebeneinanderher. Es war kühler als gestern, was ich sehr begrüßte. Cosmo war mit Julia unterwegs. Ein paar Dinge besorgen und so. Wenn Julia nur wüsste, was Cosmo unter einkaufen verstand...

Keno jedenfalls hatte auf dem Sofa geschlafen. Zumindest bis Cosmo ihn geweckt hatte. 

Das schlechte Gewissen packte mich unvorbereitet. Cosmo hatte wegen mir nicht schlafen können. Dabei hatte er sich den Schlaf und die Ruhe mehr als verdient. Damals auf der Straße hatte er genug durchgemacht. Wenigstens jetzt sollte es besser werden. Er sollte sich nicht rund um die Uhr Sorgen machen müssen. Sorgen um mich.

Leichter Wind blies mir ins Gesicht und ich erschauderte. „Du hast meine Frage nicht beantwortet", bemerkte mein Nebenmann.

Was wollte er noch gleich wissen?

„Wie es deiner Verletzung geht? Cosmo meint, es wäre schlimmer geworden." Besorgt musterte er mich. Das Mitleid in seinem Blick widerte mich an. So sollte er nicht schauen. So sollte er mich nicht anschauen!

Ich zuckte mit den Schultern. „Die Schmerztabletten helfen."

„Also-" Keno wurde mit einem Ruck nach hinten gerissen und stolperte. Ich stand nun alleine da und drehte mich um. Max war stehengeblieben.

Keno zog genervt an der Leine. „Max, komm endlich!" 

Doch der Hund rührte sich nicht, sondern schnupperte nur weiter an einem dieser Büsche. Wie lecker andere Pisse doch riechen konnte, nicht wahr? 

Dann endlich löste sich die Töle von der Pflanze und rannte auf... mich zu?! Keno schlidderte hinterher und versuchte Max aufzuhalten. Doch der Hund war einfach riesig und zog den Braunhaarigen wie nichts hinterher. Mit einem kleinen Sprung zur Seite wich ich aus, doch diese bescheuerte Speichelfresse sprang mich dennoch eiskalt an und warf mich zu Boden.

„Max!", schrie Keno sauer und zog den Hund am Halsband von mir runter. 

Ich wollte mich gerade aufrichten, da durchzog mich ein grausames Ziehen in der Bauchgegend. Scheiße... Ein Blick nach unten bestätigte meine Vermutung. Langsam wurde meine dünne Jacke rot. Keuchend drehte ich mich um und stützte meine Arme hinter meinen Rücken.

Keno hatte Max losgelassen, da dieser wohl eh nicht so schnell abhauen würde. Hatten wir ja gesehen... „Oh Gott, Ace! Geht's dir gut?" Nein, sah ich etwa so aus?! 

Er reichte mir die Hand und half mir auf.

„Ich glaube wir sollten einen Zahn zulegen", fauchte ich durch zusammengebissene Zähne.

Keno nickte. „Schaffst du das? Ich kann dich auch-" Ich unterbrach ihn, indem ich ihn eindringlich ansah. Wollte er gerade ernsthaft tragen sagen?! So weit kams noch! Wenigstens meinen Stolz wollte ich behalten!

„Ich hab schon Schlimmeres geschafft. Die Wunde ist schon seit Tagen auf, das wusstest du und das wusste ich. Also lass uns etwas schneller laufen und dann kann deine Mutter sich darum kümmern."

Mein Gegenüber sah mich noch immer zweifelnd an und während des gesamten Wegs über bot er mir an, mich zu stützen oder irgendwie anders zu helfen. Die paar Meter würde ich schon noch schaffen!

Dann kam mir ein Gedanke .„Sag mal Keno... glaubst du eigentlich an Gott?"

Er runzelte die Stirn. „Wie kommst du denn jetzt darauf?" Ich sah ihn nur an, woraufhin er grinste. „Ja, natürlich! Du etwa nicht?"

„Keine Ahnung, ich weiß nicht... ich hab mir darüber nie Gedanken gemacht. Nur... woher willst du wissen, dass es Gott überhaupt gibt? Ich mein, du kannst ihn weder sehen noch hören. Und das mit dem Beten ist doch ohne Garantie." Während ich das sagte, musterte mich Keno aufmerksam.

„Weißt du, ein Blinder glaubt auch an die Sonne, obwohl er sie nicht sehen kann. Er weiß einfach, dass sie existiert. Er spürt sie einfach", erklärte er nachdenklich.

Ratlos blieb ich stehen. Dann runzelte ich die Stirn. „Aber ihm wird doch auch ständig gesagt, dass es sie gibt."

„Deswegen muss er ihnen aber noch lange nicht glauben, Ace." Kenos Mund verzog sich zu einem Strich. „Du solltest lieber mit Aarón darüber reden, er kann dir das besser erklären. Und mal ganz nebenbei, ich mach mir langsam echt Sorgen, lass uns lieber schnell zu meiner Mum."

Max lief neben uns. Keno hatte ihn von der Leine befreit und hoffte wahrscheinlich darauf, dass er hierbleiben würde. Wenn nicht, keine Ahnung. Seine Prioritäten lagen sowieso gerade bei mir. Mittlerweile stützte mich der Braunhaarige etwas, da mein Gang nicht mehr ganz sicher war.

Dann endlich sagte Keno, dass wir da wären. Ich würde es nie zugeben, aber mir wurde auf den Weg hierhin schwindelig. Mein Körper konnte sich keinen weiteren Blutverlust leisten. Die letzten Tage hatte er einfach zu viel verloren. Die Schussverletzung musste endlich mal fachmännisch versorgt werden. 

Keno klopfte und im Türrahmen erschien eine ältere Frau, die uns fröhlich musterte. Zumindest bis sie das Blut auf meiner Jacke sah.

Hope in the DarknessWhere stories live. Discover now