37. Petersilie

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Fluchend riss ich meine Hand zurück und steckte meinen Finger in den Mund. Das war jetzt bestimmt das fünfte Mal, dass ich mich mit dem Kartoffelschäler selbst verletzte und so langsam war ich echt der Meinung, dass es eine unentdeckte Mordwaffe war!

„Ace, ich hab dir jetzt schon so oft gezeigt, wie du den Schäler halten musst", klagte Julia ohne aufzusehen und ich ignorierte den amüsierten Ton in ihrer Stimme.

„Hm", brummte ich einfach nur und ließ meine verletzte Hand wieder nach unten sinken. Ich hatte keine Lust mehr. Kartoffel schälen war einfach nur ätzend! 

Seit einer halben Stunde saß ich mit Julia in der Küche und bereitete das Mittagessen vor. Es sollten Kartoffel Tortilla werden. Aber bei meinem Geschick konnte das noch dauern. Julia kümmerte sich derweil um die Zwiebeln und die Eier, dabei hatte sie offensichtlich Spaß mir mit den Kartoffeln zuzusehen.

Ansonsten war es sehr still im Haus. Aarón und die Kinder waren nicht da. Die Schule hatte wieder angefangen und somit herrschte eine komische Stille vormittags. Beschweren konnte ich mich aber nicht. Die Ruhe war auch irgendwie schön.

Mein Blick wanderte nach draußen. Cosmo war kurz nach dem Frühstück nach draußen verschwunden. Wahrscheinlich war er bei Keno.

Die Nacht in der ich einfach verschwunden war, war schon eine Weile her und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht irgendwie verändert hätte. Ich hatte permanent ein ruhiges und sicheres Gefühl, welches mir sehr gefiel und wahrscheinlich seinen Ursprung in meinem Beschluss hatte, den ich auf dem Berg getroffen hatte.

Allerdings beschäftigte mich noch ein anderer Gedanke.

Je mehr ich mit dem Glauben zu tun hatte, mit dem Wiederaufbau meines Lebens und was alles dazu gehörte, je mehr musste ich an meine Kindheit und Jugend denken, die alles andere als schön war. Nächtliche Träume waren nur der Anfang. Seit einigen Tagen musste ich auch tagsüber an die damaligen Zeiten denken.

Cosmos und mein erstes Aufeinandertreffen war mehr als chaotisch. Genauso wie die Jahre danach. Ich dachte nicht gerne daran zurück.

Ob es Cosmos Hartnäckigkeit war, oder die besondere Bindung, die wir schnell zueinander hatten, wusste ich nicht, aber wir konnten uns nicht mehr voneinander trennen. Meinen Heimatort Colonia Roma hatten wir verlassen und mit der Zeit lernten wir uns näher kennen.

Doch wie alles im Leben war nichts für die Ewigkeit und so dauerte es nicht lange bis mich finanzielle Probleme, die sich ja später mit Mors in Luft auflösten, zurücktrieben.

Bei einem erneuten Einbruch in mein Elternhaus hatte ich durch Zufall von der Verwandtschaft von Cosmo und mir erfahren. Auch einige Gespräche ließen sich nicht umgehen. Und wie der Zufall es so wollte, traf ich meine leibliche Mutter wieder. Sie hatte meinen Vater aufgesucht, da sie ihren verlorenen Sohn suchte.

Nur nicht mich. Sondern Cosmo.

Von da an wusste ich um unsere Verwandtschaft Bescheid, hielt sie aber geheim. Natürlich war ich überrascht. Die Welt schien ja so klein. Allerdings verspürte ich auch etwas anderes. Eifersucht. Eifersucht auf Cosmo, weil meine Mutter ihn wollte und nicht mich. Mich hatte sie zurückgelassen, ihr verlorenes zweites Kind suchte sie aber jahrelang.

Damit ich weiterhin Cosmo versorgen konnte, unterdrückte ich die nagende Eifersucht. Unsere Mutter sollte ihn nie finden. Und das tat sie auch nie.

Der Grund, warum wir wenig später Colonia Roma trotz unserer Armut verlassen hatten und nach Tepito gingen, war nicht einmal Cosmo bekannt und ich würde darüber auch nie ein Wort verlieren. Nur Gott wusste davon. Aber vergeben hatte er mir das sicher nicht.

„Ace? Von allein schälen die Kartoffel sich auch nicht", riss mich Julias Stimme aus meinen Tagträumen.

Heftig zuckte ich zusammen und die angefangene Kartoffel rollte herunter. Genervt seufzend hob ich sie wieder auf, wischte den Dreck weg und schälte weiter. Das war eigentlich ne Arbeit für Gefängnisinsassen, Schwerverbrecher!

Also fast das Richtige für mich.

„Warum gibt's für sowas eigentlich keine Maschine?", wollte ich nach drei weiteren gelben Dingern wissen.

Julia lachte. „Es gibt schon so ne Maschine, nur haben wir keine. Dein Kartoffelschäler ist aber genauso gut."

„Dann wird's wohl an mir liegen", fauchte ich leise und schnappte mir endlich die letzte Kartoffel. Die war für mich schwerer als die zuvor. Meine Ungeduld sorgte dafür, dass ich immer wieder abrutschte, und am Ende sah sie mehr als zerfetzt aus. Schließlich hatte sie all meine Aggressionen, aufgrund ihrer Kollegen, zu spüren bekommen.

Skeptisch sah Julia das kleine Ding an, kommentierte es jedoch nicht und nahm mir die Schüssel ab. Ich war somit erlöst. Ein Glück!

Ich stand eilig auf, wusch mir die Hände und lief anschließend nach draußen. Es wurde langsam kälter und ich war innerlich schon neugierig, wann es endlich schneien würde. Schnee hatte ich bisher nur von weitem gesehen und dementsprechend war die Freude auf den Winter groß. Die Kälte, die er mitbringen würde, war mir in dem Moment egal.

Meine Hand wanderte wie von selbst zu meiner Flanke. Dort wo die Schusswunde war. Heute war davon nichts mehr zu sehen. Sie war verheilt. Nur eine Narbe war noch dort. Dank Gott.

Auf dem Hof arbeiten sollte ich trotzdem erst morgen wieder. Und auch dann sollte ich es langsam angehen. Julia glaubte der schnellen Heilung zwar, aber es bestand schließlich noch die Möglichkeit, dass im Inneren nicht alles verheilt war, meinte sie. Und so half ich überwiegend im Haushalt mit und ab morgen sollte ich auch kleinere Aufgaben draußen erledigen.

Keno jedenfalls war seit dem Vorfall mit Manuel irgendwie komisch. Er kam ungern ins Haus, schien leicht distanziert und seine anhaltende gute Laune war verschwunden.

Neben mir erklang plötzlich ein lautes Gebell und augenblicklich drehte ich mich um, nur um in Max dunkle Augen zu sehen. Das war ja fast wie damals als er mich am ersten Tag über den Haufen gerannt hatte. Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen und öffnete die Haustür hinter mir. Schnell huschte ich hinein, schlug dem Hund die Tür vor der Nase zu und grinste triumphierend. Ich wurde immer besser im Umgang mit ihm!

„Ace?", rief Julia aus der Küche nach mir.

Ich drehte den Kopf in besagte Richtung. „Ja?"

„Kannst du mal bitte schnell noch Petersilie für die Tortilla holen? Ich hab keine mehr." Grummelnd stimmte ich zu und sah missmutig zur Haustür, vor der noch immer Max stand und wieder bellte. „Und Max kannst du doch gleich mitnehmen, oder?"

Ich stöhnte leise auf. „Ja, mach ich!"

„Danke, Geld liegt auf dem Tisch", hörte ich Julia noch sagen, ehe ich es mir nahm und wieder rausging. Max, wir hatten jetzt scheinbar ein kleines Date, dachte ich mir schluckend.

Hope in the DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt