Kapitel 1

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Es war einmal an einem regnerischen Tag in einem kleinen Haus nahe des Stadtrands. Ein Mädchen, eine junge Dame eigentlich, schaute aus dem Fenster in die Ferne und wie sie dort saß, so dachte sie nach, über den fallenden Regen, über die alles bedeckenden Wolken, die sich wie eine finstere Umarmung um die Erde legten und über die Dunkelheit des Waldes, die ihr Zuflucht versprach. Das Mädchen trug den Namen Johanna. Ihr wurde vieles nachgesagt, Gutes und Böses. Sie sei eine Hexe oder ein armes, verlassenes Kind. Längst fühlte sie sich nicht mehr wohl in der Stadt, in der die Straßen heiß und die Menschen kalt waren. Doch eine Zuflucht war ihr fremd. Die Menschen flohen in die Arme der Religion, der Gesellschaft oder ihrer Familie, doch davon blieb Johanna nichts. Und wie sie Tag für Tag am Fenster saß, so wurde ihr klar, dass die Nacht und der Tag unbeeinflusst von ihr, von den Menschen ihre Runden drehten, eindeutig und klar und dass der Mond in jeder Nacht am Himmel stand und die Sonne jeden Tag schien, lange bevor es Menschen gab und lange nachdem es Menschen gab und dass es nichts gab, was ein Mensch tun konnte, das zu ändern. Der Regen trommelte gegen die Fensterscheibe und rann in endlosen Bahnen daran hinab. Johanna drehte sich um und bedachte ihr Haus mit einem Blick. Es war, was ihr der Vater hinterlassen hatte. Mit schnellen Schritten ging sie durch den Raum, zu ihrem Kleiderschrank mit den Gewändern, die ihr die Mutter hinterlassen hatte. Sie öffnete die Flügeltüren und besah sich ihren Besitz. Viel war es nicht, es waren Kleider in brauner Farbe, bis auf das Eine, das im Blau des Himmels schimmerte. Dieses erwählte sich das Mädchen und zog es aus dem Schrank. Der feine Stoff war weich in ihrer Hand, zu Boden fließend wie tausend Regentropfen. Johanna stand vor dem Spiegel und blickte sich an, die braunen Haare fielen in sanften Wellen über ihren Rücken und das Kleid schmiegte sich sanft an ihren Körper. Obwohl nicht so elegant, obwohl nicht so prächtig, so fühlte das Mädchen sich wie der Adel, wie das Licht ihrer selbst. Doch als sie wieder in den Spiegel sah, sah sie nicht länger sich selbst, sondern ihre Mutter dort stehen. Das Gesicht in frischer Blüte und liebevoll, nicht leidend und verzerrt. Doch als Johanna die Hand nach dem Spiegel streckte um das Bild zu fassen, so löste es sich auf, zersprang in Tropfen, die, wie Tränen, die glatte Oberfläche hinunterrannen. Das Mädchen stand da, wie gelähmt, ehe sie sich ruckartig umdrehte. Sie fühlte sich von einem nie gekannten Verlangen erfüllt, zu laufen. Raus aus der Stadt in den Wald, der sie mit der gleichen Energie konfrontierte, wie es der Spiegel getan hatte. Ohne Schuhe, ohne Proviant, ohne Ziel stürmte sie aus dem Haus. Der Regen hatte sich aufgelöst und die Sonne schien mit neuer Kraft auf die Menschen, mit einer Gewalt, wie um sie zu verbrennen.

Johanna floh durch die gewundenen Straßen der Stadt, die nie wirklich ihre Heimat war. In einem angenehmen Rhythmus trommelten ihre Füße über den heißen Asphalt. Die Hitze verbrannte ihre Fußsohlen und sie fühlte sich, als müsse sie blutige Fußabdrücke auf dem nackten Stein hinterlassen. Doch hinter ihr sah die Straße so unberührt wie immer aus, kein stummes Zeugnis ihrer selbst war zu sehen. Bald wurde die Straße uneben und die Schatten der ersten Bäume kühlten den Boden unter ihren Schritten. Erleichtert hieß Johanna die Schatten willkommen, die nicht wie Bedrohung sondern wie Freunde auf sie wirkten. All die Jahre, seit sie alleine war, hatte sie sich danach gesehnt, von Menschen so angenommen zu werden, wie es die Bäume jetzt taten. "Kind sag, was tust du hier?" Erklang die Stimme einer Frau. Es war eine Magd der Stadt, die schon seit vielen Jahren in einem edlen Herrenhaus diente. Sehr hing sie an der Religion, wie es viele in der Stadt taten. Johanna war klar, dass sie ihr nicht von der Magie des Spiegels erzählen konnte, wurde sie doch jetzt schon für eine Hexe gehalten, da sie alleine lebte. Die Magd trat näher, doch hielt eine gewisse Distanz. Das Mädchen sah sie an, das rötlich-braune Haar streng zurückgebunden, das braune Gewand zeugte von harter Arbeit. Der Blick der Frau war gebrochen und ohne ihre Religion wäre sie wohl nur eine arbeitende Hülle. Johanna beäugte die Magd, so unbedeutend für sogar ihr eigenes Leben. Dann, in einem Satz, löste sie beide Füße von der menschengemachten Straße. Und wie diese das Gras daneben berührten, noch feucht vom zuvor gefallenen Regen, so stieg ihr die Luft des Waldes in die Nase und ohne einen Blick zurück verschwand die Gestalt des Mädchens zwischen den Bäumen, die Magd und die Straße zurücklassend.

Der SpiegelTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon