Kapitel 4

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Es war still. Kein einziges Geräusch drang zu mir durch. Meine Kehle fühlte sich immer noch trocken und klebrig an, wie damals, als ich zum ersten Mal Esspapier gegessen hatte. Es kostete mich Mühe, ruhig zu atmen, denn in diesem stockfinsteren Schrank wurde die Luft mit jedem Atemzug stickiger. Die Minuten vergingen, aber niemand öffnete die Türen. Meine Gedanken überschlugen sich. Sollte ich einen Blick in den Flur wagen? Oder lauerte der Fremde vielleicht noch immer im Haus?

Hatte ich die Haustür schon ins Schloss fallen gehört?

Ich kratzte das winzige bisschen Mut zusammen, das ich noch in mir zu spüren glaubte. Meine Nasenspitze berührte das Holz des Schrankes. Das Pochen meines Herzens hätte man bis nach unten ins Wohnzimmer hören müssen, so wild schlug es gegen meine Rippen. Dann raufte ich mich zusammen und drückte mit der flachen Hand gegen die Schranktür. Diese schwang auf, und ich stieg mit wackeligen Beinen hinaus ins Zimmer.

Ungläubig blickte ich in den Raum, der sich vor mir erstreckte. Es war alles normal.

Ich trat vor und legte meine Hände um den Griff des Fensters. An meinen Handflächen klebten Staubschichten, die sich über Jahre angesammelt hatten. Notdürftig wischte ich den Staub an meiner Hose ab, und drehte den Fenstergriff langsam. Quietschend öffnete sich das Sprossenfenster. Sofort wehte mir kalter Wind entgegen, sodass ich mir fröstelnd die Ellbogen rieb und intuitiv die Arme vor der Brust verschränkte. Erschöpft hob ich meinen Kopf in Richtung Himmel. Die Wolken waren matt grau, doch es regnete nicht mehr. Es war dämmrig draußen, der Sturm vorüber, die Luft klar, und sie tat meinen Lungen gut.

Ein seichter Nieselregen fiel vom Himmel. Es roch nach feuchtem Moos auf den Dachpfannen, und Harz, welches zähflüssig an den vielen Nadelbäumen klebte, die in diesem Wald standen.

Plötzlich ertönte ein grelles Geräusch.

Ich sackte unter der Anspannung der letzten Stunden zusammen. Für einen Moment klammerte ich mich am Fensterrahmen fest und starrte aus der Dachgaube hinaus in die Ferne, wo ich Motorengeräusche hören konnte. Was hätte ich dafür gegeben, nun in einem Auto oder Bus auf dem Weg nach Hause zu sitzen. Ich schloss das Fenster, trat rückwärts, und zog in Erwägung, mich wieder im Schrank zu verstecken. Meine Beine waren wie gelähmt. Ich hielt inne.

Da war es wieder. Das Geräusch war ein helles Türklingeln, welches die Stille in meinem Kopf in kräftige Schwingungen versetzte. Meine Schläfen pochten stechend und intensiv. Ich stand wie angewurzelt vor dem Sprossenfenster und betrachtete einige Sekunden den Vogeldreck auf den Scheiben, bevor ich in kleinen Schritten rückwärts ging. Das Holz knarrte laut vor der Zimmertür. Als wäre dies mein Stichwort gewesen, riss ich diese auf und rannte bis zur Treppe.

Das lackierte Treppengeländer war spiegelglatt, sodass meine Handflächen ein quietschendes Geräusch erzeugten, während ich die Stufen herunter sprintete. Als ich die Ecke zur Haustür erreicht hatte, stieß ich unsanft mit dem rechten Ellbogen gegen die Wand. Ein heftiger Schmerz durchfuhr meinen Körper. Zischend atmete ich ein und hielt meinen kribbelnden Ellbogen fest.

»Verdammt«, fluchte ich und schaute mich um. Hier unten im Flur gab es nichts, wohinter ich mich verstecken könnte.

Ich machte meinen Rücken gerade und öffnete die Haustür. Der Wind wehte mir erneut ins Gesicht, und um die Beine, sodass ich sofort zu frieren begann.

»Elena?« Der Mann vor der Tür verschwamm vor meinen Augen. Ich blinzelte.

Dann erkannte ich ihn.

»Papa ...«, stieß ich erleichtert hervor.

Seine Haare waren ganz wirr und von seiner Brille perlten vereinzelte Regentropfen. »Ist alles in Ordnung bei dir?«, fragte er besorgt.

Elena - Dem Bösen so nahWhere stories live. Discover now