• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 2 •

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Molly

„Ich weiß nicht, ob ich dich entbehren kann", gebe ich zu und lächle, obwohl mein Ansprechpartner das durch den Hörer natürlich nicht sehen kann. Ich bin auf dem direkten Weg nach Hause. Der Tag hat früh angefangen und leider spät geendet. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die strahlende Sommersonne in einem rötlichen Ton dem Horizont entgegen neigt. Mit müden Schritten schlendere ich über den Gehweg.

„Es tut mir auch leid, Molly", meint Fiona am anderen Ende der Leitung. Obwohl ich das Lächeln in der Stimme meiner besten – und einzigen – Kellnerin hören kann, erkenne ich genauso, dass es ihr wirklich leidtut. Meine Bar am Strand ist schon so genug Arbeit, aber ohne Fiona wird es mit Sicherheit noch stressiger. Wäre da nicht die Sache mit meinem Studium, könnte ich den Laden wahrscheinlich alleine nicht einmal für eine Woche am Laufen halten. Eilig schiebe ich diese Gedanken beiseite.

„Ich werde schon überleben", lache ich bloß leise und weiche einem entgegenkommenden Passanten aus, „Flitterwochen hat man ja bekanntlich nur einmal im Leben."

„Zumindest rechne ich noch mit keiner weiteren Hochzeit", stimmt Fiona in mein Lachen ein. Bereits am kommenden Wochenende wird sie heiraten. Manchmal kann ich immer noch nicht glauben, wie bald das schon ist und ich bin mir sicher, dass es Fiona dabei nicht anders geht.

„Wohin wollt ihr eigentlich?", frage ich neugierig.
„Nesrins Plan war es eigentlich, mit mir nach Amerika zu fahren, aber als ich den Ort gesehen habe, ist es mir eiskalt den Rücken heruntergelaufen. Das war mir einfach eine Spur zu düster, weshalb ich sie überredet habe, nach Island mit mir zu reisen."

„Island?", wiederhole ich ein wenig überrascht.
Am anderen Ende des Hörers raschelt es leicht – offenbar nickt Fiona: „Ich wollte erst in die Karibik, aber Nesrin meinte, dass sie auf keinen Fall an irgendeinen Strand fahren will, weil sie den schon zuhause hat."

„Hast du ihr nicht verraten, dass es auch schönere Meere als die Ostsee gibt?"
Fiona lacht leise auf: „Denkst du, sie würde mir das glauben?"

„Ich fürchte nicht – also Island dann?"
„Ja, Island", bestätigt sie und fährt nach einer kurzen Gedankenpause fort, „findest du das doof?"

„Nein! Das ist extrem cool. Kannst du bitte für mich ein Bild von einem Islandpony machen?"
„Gerne!"

„Danke, am besten du zwingst Nesrin auch noch auf das Bild", ich kichere in mich hinein bei dem Gedanken, wie meine missgelaunt dreinschauende Freundin neben einem zuckersüßen Pony steht – es wäre einfach göttlich!

„Ich gebe mein Bestes", verspricht Fiona, „aber ich will es nicht zu sehr ausreizen!"
In der Ferne kommt bereits das Mehrfamilienhaus in Sicht, dessen Dachwohnung ich in Besitz genommen habe.

„Besser nicht", pflichtige ich Fiona bei, „du willst keine Scheidung und ich würde dir keine weiteren Flitterwochen durchgehen lassen."
„Dann verstehen wir uns ja."

„Immer doch. Ich bin jetzt fast zuhause. Wir sehen uns dann morgen in der Bar?"
„Gerne, bis dann!"

„Bis dann!", murmle ich ebenfalls, während bereits das leise Tuten am anderen Ende erklingt. Fiona hat anscheinend aufgelegt. Ich verstaue mein Handy in der Hosentasche und ziehe stattdessen meinen Haustürschlüssel hervor. Mittlerweile bin ich auch am Haus angekommen. Ich brauche zwei Versuche, um den Schlüssel in das veraltete Schloss zu bekommen, doch schließlich öffnet es leise knackend.

Mit einem zufriedenen Seufzen betrete ich den Flur. Nur noch vierundzwanzig Stufen trennen mich von meinem richtigen wohlverdienten Feierabend! Ich mache mich daran, die Treppe hochzugehen und lausche im Vorbeigehen dem Fernseher meiner Nachbarin. Frau Allendorf, die im Erdgeschoss wohnt, ist schon ziemlich alt, weshalb jedes ihrer Geräte so laut gestellt ist, dass man es wahrscheinlich sogar während eines Erdbebens problemlos verstehen könnte. Meine Großeltern, die im Stockwerk darüber wohnen, haben sie zwar darauf angesprochen, doch die alte Allendorf hat ihre Ohren einfach auf Durchzug gestellt. Ich weigere mich penetrant zu glauben, dass sie einfach zu taub war, um die Beiden zu verstehen.

Meine Großeltern sind zumindest alles andere als schwerhörig. Als ich in ihrem Geschoss ankomme, ist kein einziges Geräusch zu vernehmen, was mich innehalten lässt. Normalerweise ist immer einer der Beiden zu hören, wie er sich laut über den jeweils anderen aufregt – so war es schon immer. Meistens ist es mein Grandpa George, der auf Englisch meine Oma verflucht, die ihrerseits Dinge ruft, bei denen es sich wahrscheinlich um irgendwelche norddeutschen Tötungsverschwüre handelt, die nicht einmal ich als Einheimische verstehe. Das nichts zu hören ist, bedeutet, dass sie wahrscheinlich außer Haus sind und die fehlenden Paare Schuhe auf der Fußmatte bestätigen diese Annahme.

Schließlich gehe ich einfach weiter und bin gerade dabei die letzten zwölf Stufen hinter mir zu lassen, als mich etwas hinhalten lässt – besser gesagt jemand, denn es ist eine einzelne Person, die meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

Das Mädchen mit der ockerfarbenen Haut sitzt im Schneidersitz gegenüber von meiner Wohnungstür und hat die Ellenbogen auf den Knien abgestützt, während sie mit ihrem Zeigefinger Kreise auf den Teppichboden malt. Dabei fallen ihr vereinzelte Strähnen ihres lockigen schokoladenbraunen Haars tief in die Stirn.

„Moin", bringe ich verwirrt hervor.

Sofort sieht sie auf. Ihre Augen, die denselben Farbton wie ihr Haar haben, mustern mich überrascht, doch da ist eine zweite Emotion, die ich nicht so recht verstehe.

„Wie-wie bist du hereingekommen?"
Frau Allendorf besteht darauf, dass die Haustür immer verschlossen bleibt, sodass diese Fremde hineingelassen worden sein muss.

„Da war so ein älteres Ehepaar", meint sie und rappelt sich auf, „die haben mich gefragt, ob ich zu dir will. Als ich genickt habe, haben sie mich einfach reingelassen."

Es ist immer wieder schön, zu wissen, wie leichtgläubig meine Großeltern trotz ihres Dickkopfs sein können, aber das ist es nicht, was mich die Stirn runzeln lässt.

„Du willst zu mir?", frage ich ungläubig, wobei ich wie zur Untermalung der Worte auf meine Brust deute.

Sie nickt eifrig – fast schon selbstverständlich: „Ja, ich habe nach dir gesucht. Ich bin Kat!"

𓅿

So leicht bricht man legal ein...😂

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