• 𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 23 •

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Kat

„Wie kann man nur eine so unsympathische Familie haben", beschwert sich David, als er genervt auflegt.

Ich zucke unwissend mit den Schultern, während Glitzer, der neben mir auf dem breiten Traktorreifen sitzt, leise grummelt: „Nicht denken fällt vielen Menschen einfach leichter als Denken."

„Auch wahr", David steckt sein Handy in die Hosentasche und sieht sich suchend um, wobei die Falte zwischen seinen Augenbrauen nur noch tiefer wird, „müssten Theo und Ludger nicht gleich auch mal mit den Bänken kommen."

„Dauert bestimmt nicht mehr lange", versuche ich ihn zu vertrösten, doch er wirkt noch immer genervt. Ich ahne, dass nicht die Bänke der wirkliche Grund sind. Für die spontane Feier hat David die miese Aufgabe bekommen, Nesrins blutsverwandte Familie zu kontaktieren. Das Resultat war ein Haufen Absagen und eine einzige nicht gerade begeisterte Zusage, was er mit einem abfälligen „Ausnahmen bestätigen die Regel" kommentierte.

Jetzt ist es unsere gemeinsame Aufgabe, die Fracht von Luger und Theo in der Scheune der Behrens aufzubauen. Frau Behren, eine große, drahtige Dame mit strohblondem Haar, kam bereits hinaus, um uns etwas zu trinken anzubieten, doch wir haben alle lächelnd verneint.

„Ich geh mal in der Scheune gucken, wie es aussieht", grummelt David und schlendert los, ohne auf eine Antwort zu warten.

„Bei Gott, der Kerl hat aber mal Flöhe im Hintern", raunt Glitzer mir genervt zu. Offenbar scheint ihn Davids unruhige Art zu nerven. Ich verkneife mir ein Kichern, während sich Glitzer an meiner Seite auf den Oberschenkeln abstützte.

„Hochzeiten in einfach albern."
„Findest du?", ich sehe ihn irritiert an. Tatsächlich wirkte Glitzer bisher nicht sonderlich begeistert, aber bis jetzt habe ich das einfach seinem grundsätzlichen Charakter zugeschrieben.

„Definitiv, die Leute sollen sich ruhig lieben, aber ich muss nicht dabei zusehen."
„Das sagst du jetzt, aber wenn du irgendwann selbst heiratest-."
Ich verstumme, als mich Glitzers Blick trifft, der mir mindestens so kalt vorkommt wie sein eisblauer Liedschatten.

„Ich werde nicht heiraten!", eine mich verwundernde Verbitterung liegt in seinen Worten.
„Aber...man kann mittlerweile sogar kirchlich heiraten als-."
„Schwuler?" er hebt ruckartig seine ordentlich gezupften Brauen. Ich nicke nur zögerlich, was ihn bitter auflachen lässt.

„Genau das ist mein Problem, Kat!", murmelt er und schüttelt mehr zu sich selbst als zu mir den Kopf.
„Dass du schwul bist?"
„Denkst du das?"
Dieses Mal traue ich mich nicht, irgendwie zu antworten, geschweige denn zu reagieren.

Glitzers Augen fixieren die meinen, als wollte mich auf der Stelle festnageln: „Was lässt dich glauben, ich sei schwul, Kat?"

„Du bist...", schon werde ich wieder still. Was eigentlich? Da war nie irgendein Junge, den Glitzer strahlend angesehen hat oder irgendein Mann, dem er nachgelächelt hat. Absolut niemand, in den er hätte verliebt sein können! Da war nur ich mit meinen Vorurteilen.

„Ich beantworte es dir sehr gerne, Kat: Du denkst, dass ich schwul bin, weil ich mich gerne schminke, ich achte darauf, was ich anziehe, ich interessiere mich für Mode und ich kann zugegeben ein bisschen dramatisch sein. Kurz gesagt: Ich bin eine Basic Bitch und das lässt dich zum einzig ‚logischen' Entschluss kommen, dass ich schwul bin."

Ich schlucke schwer. Glitzer hat Recht. Genau das sind die Gründe, wieso ich der festen Überzeugung war, er sei schwul. Glitzer ist nicht so „männlich" wie zum Beispiel David und noch während ich das denke, fühle ich mich wieder dumm. Natürlich ist er genauso „männlich", es ist einfach nur mein verdrehtes Weltbild, das mir einredet, er sei es nicht.

„Du brauchst dich nicht schämen", meint Glitzer schließlich eine Spur versöhnlicher, „alle denken, ich wäre schwul. Daran bin ich schon gewöhnt. Genauso wie ich es gewohnt bin, dass kein Mädchen auf einen so ‚femininen' Typen wie mich steht."

„Das ist doch-."
„Es ist kein Quatsch", ein bitteres Lächeln erscheint auf seinen Lippen, „weiß du, ich bin nicht in Kiehsau geboren! Früher habe ich in Hamburg in einem Modegeschäft gearbeitet, bis eines Tages diese Frau hereinkam. Sie war hübsch – nein, das wäre untertrieben. Diese Fremde war einfach atemberaubend schön mit ihrem glatten braunen Haar und den stürmischen, aber dennoch liebevollen dunkelblauen Augen. Gerade als sie an die Kasse trat, endete meine Schicht, also bin ich ihr – wie irgendein verdammter Psycho – gefolgt und das bis hierher. Es war derselbe Tag, an dem ich Mollys Aushängeposter mit der Suche nach einem Mitbewohner entdeckt habe und irgendwie fühlte es sich wie Schicksal an."

„Und was war mit der Frau?"
Glitzer lacht leise in sich hinein: „Sobald sie hier ausstieg, wurde sie an der Haltestelle von ihrem Freund empfangen, mit dem sie offenbar Urlaub gemacht hat."

„Oh!"
„Ja, genau ‚oh!'", wieder entfährt ihm ein Lachen, doch dieses Mal klingt es eine Spur leichter, „es sollte wohl nicht sein, aber zumindest hat es mich hierher gebracht an diesen Ort, wo man das Gefühl hat, jeder wäre so verrückt, dass es für niemanden die passende Person gibt."

„Und doch scheint jeder irgendwen gefunden zu haben", ergänze ich leise.
„Tja, so scheint es wohl", schwunghaft steht Glitzer auf, wobei er den Dreck des Reifens von seiner dunkelblauen Hose klopft, „nur ich eben nicht."

Er will gerade schon wie David zuvor in Richtung Scheune laufen, als ich ihn zurückhalte.
„Glitzer!"
Sofort huscht sein Blick über die Schulter zu mir.
„Für dich gibt es auch irgendwo dort draußen jemanden."

Wieder lächelt er, doch dieses Mal kommt mir sein Lächeln beinahe liebevoll vor: „Für dich auch, Kat, aber nicht bloß irgendwo, sondern direkt hier in Kiehsau!"

𓅿

Wen er wohl meint...🌝

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