Kapitel 21 ~ Fels

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„Du blühst richtig auf, seit die Anderen wieder da sind", bemerkt San, als Aurea - zögerlich, leise und knapp - von ihrem gestrigen Tag erzählt hat. „Also ich meine, du machst dir nicht mehr so viel Sorgen, bevor du etwas sagst." Er weiß jetzt, weshalb sie am Nachmittag so triefend nass war - Gespräche mit Seonghwa ziehen sich schon einmal - und davon, wie sie und Freya ihr Missverständnis geklärt haben. Nur die Sache mit Hongjoong hat sie ihm verschwiegen. Wird sie auch weiterhin, denn eigentlich sollte nicht einmal sie davon wissen.

„Ich bin stolz auf dich."

Und er meint es wirklich, fügt er nachdrücklich hinzu. San ist stolz darauf, wie sehr Aurea sich verändert hat und wie sie immer noch die gleiche ist. Er ist stolz darauf, dass sie sich weniger häufig in ihren Zweifeln verliert, ob sie die Anderen nicht doch falsch versteht und respektlos wirken könnte und am Ende lieber gar nichts sagt. Er ist stolz darauf, dass sie mehr und mehr Vertrauen in sich selbst gewinnt.

Das alles sagt San und Aurea wird es ganz warm. Sie glüht regelrecht und ist sich sicher, dass er es merken muss. Und ihre Wangen? Die sind bestimmt so rot wie das Feuer, das San jeden Tag in der Werkstatt gezündet hat, zumindest brennen sie genauso.

Wie erleichtert Aurea doch ist, dass er das Stück geräucherten Schinken in Scheiben schneidet und nicht auf sie achten kann, ohne die Gefahr einzugehen, sich mit dem ganz besonders scharfen und großen Messer zu verletzen. Sonst würde er sie bestimmt aufziehen, weil sie so verlegen ist. Oder nein, das würde er nicht;

San würde ausflippen, alles stehen und liegen lassen, ihr Gesicht in beide Hände nehmen und ihre Wangen zusammendrücken. Dann würde er ihren Kopf hin und her wiegen und laut quietschen, wie niedlich sie ist, wenn sie rot wird.

Das hat er schon allzu oft getan.

Aurea hört es förmlich, sein entzücktes Kreischen. Genauso kann sie sich seine Augen vorstellen, die aussehen wie Halbmonde, wenn er sich freut, und wie er seine Nase verzieht, wenn er zu breit strahlt. 

Schon verrückt, dass sie so viel über seine typischen Verhaltensweisen weiß, obwohl sie sich nicht einmal so lange kennen. Noch dazu der Altersunterschied: San war ein junger Erwachsener, als sie sich zum ersten Mal trafen, und Aurea fast noch ein Kind. Jedenfalls nachdem ihr Alter manipuliert worden war.

Und doch ist er ihr bester Freund, nein, ihr allerbester Freund. 

Denn San scheute nicht einmal am Anfang davor zurück, sich mit ihr auf eine Augenhöhe zu begeben, obwohl er schon so viel mehr als sie gesehen hat, so einiges kann, wozu sie einfach nicht die Geduld hätte, und mindestens eine halbe Sprache mehr spricht als sie.

Deshalb bedeutet Aurea sein „Ich bin stolz auf dich" besonders viel. Es ist fast so, als hätte San gespürt, dass es heute noch wichtiger für sie war, das zu hören.

„Danke", stammelt sie kleinlaut. „Aber nur, weil du es mir beigebracht hast." Aurea presst ihre Lippen aufeinander und starrt gedankenverloren in die Ferne. „Du warst der erste, bei dem ich mich nicht ganz so unterlegen gefühlt habe. Die Anderen waren zwar auch lieb zu mir, aber einfach nicht greifbar für mich. Ich kannte ja vorher niemanden und plötzlich von lauter fremden Erwachsenen umgeben zu sein, die auch noch gerade was super Mächtiges besiegt haben… Eingeschüchtert ist nicht mal ein Wort dafür."

Immer noch fixiert Aurea diesen einen Punkt und hat keinen blassen Schimmer, was sich da überhaupt befindet. „Und dann hast du mit mir gesprochen, als wäre ich genauso groß wie ihr." 

Zögerlich dreht Aurea ihren Kopf weg von dem freien Raum und hin zu San. „Du gibst mir immer das Gefühl, dass ich genauso groß bin wie ihr. Auch wenn ich mich total klein fühle. Bei dir macht mir das nichts aus, weil du mich spüren lässt, dass wir trotzdem auf einer Augenhöhe sind."

❀ endless questions ² || ATEEZOù les histoires vivent. Découvrez maintenant