18. Blonde curls and a gentle smile

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꧁Taehyung꧂

Als das Klingeln endlich die erste große Pause ankündigt, hält mich der Lehrer — er ist gerade einmal so groß wie ich und riecht nach einem Stapel alter Akten — auf, um ein Wort mit mir haben. Als hätte er gewusst, dass ich mich ursprünglich nach dieser Stunde vom Acker machen wollte. Früher wäre mir das nie auch nur ansatzweise eingefallen.

„Hr. Kim, warten Sie!" Desinteressiert winke ich ab und verschwinde zwischen den unzähligen Personen auf dem Flur. Ich folge der Menge und gelange so schnell in den Pausenhof. Ich spüre einige Blicke auf meiner Haut — unwohl ziehe ich mir die Kapuze meiner Jacke über den Kopf.

„Hey, Tae, erinnerst du dich an mein Angebot von vorhin? Komm' mit. Joon kommt gleich nach und da gibt es noch jemanden, den ich dir vorstellen kann." Eine wirklich andere Möglichkeit besteht nicht, da der Freund des Schülersprechers bereits nach meinem Handgelenk greift und mich vorbei an Grüppchen von Schüler*innen zieht. Wir kommen recht schnell an einem großen Kirschbaum an. Unzählige der Früchte liegen auf dem Boden verstreut. Auf dem asphaltierten Boden steht ringsum den Baum eine Reihe von Banken. Ein Junge hat uns den Rücken zugekehrt, er trägt Kopfhörer und scheint uns nicht zu bemerken.

„Hobi, Schau mal", verkündet Jin, nachdem er dem Jungen, dessen Haar blond gelockt ist, die Kopfhörer vorsichtig von den Ohren gezogen hat. Überrumpelt wendet sich der Lockenkopf zu uns. Mit Fragezeichen im Gesicht mustert er Jin und mich.
„Das ist Taehyung. Der Neue aus der Klassen, vom dem Joon und ich dir schon erzählt haben. Tae—", nennt er mich kurzerhand, „—, das ist Hoseok—" „Einfach Hobi, bitte. Nett dich kennenzulernen", fügt er hinzu und reicht mir anschließend die Hand. Mit großen Augen nehme ich die nette Geste an.

„Deine schlechtere Hälfte kommt auch gleich. Er hat die Freistunde dafür geopfert, um unserem Mathematik-Kursleiter wieder auf die Nerven zu gehen. Du kennst ihn." Jin nickt bloß, ein stolzes und zufriedenes Lächeln tragend, und setzt sich an die Seite des Jungen — als wüsste er nur zu genau, was das Vorhaben seines Freundes zu bedeuten hat. Ich für meinen Teil bleiben wie bestellt und nicht abgeholt vor den beiden Freunden stehen, nervös reibe ich über meinen Arm und lasse den Blick über den Schulhof gleiten — nicht zu vergleichen mit dem Campusgelände meiner eigentlichen Schule.

„Taehyung, darf ich fragen, was dich für dein letztes Schuljahr an diese Schule treibt? Jin hat mir bislang nur berichtet, wie fantastisch deine alte Schule ist und was für beneidenswerte Noten du hast." Ich schlucke etwas. Die Tatsache, dass ich nicht mehr zurück darf, habe ich immer noch nicht ganz akzeptiert und vor allem nicht verstanden. Wie soll ich jemandem es dann erklären? Zögernd überlege ich, was ich sagen soll.

„Also— mein Vater hat—" Ich werde unterbrochen.

„Hi, entschuldigt die Verspätung. Oh...", dringt mir die Stimme des Schülersprechers ins Ohr. Ich wende mich zu ihm und blicke in ein Gesicht gezeichnet von Scheu. Was ein bemerkenswerter Kontrast zu unserem letzten Aufeinandertreffen.

„Hallo, Namjoon", entgegne ich gleichgültig. Im Hintergrund höre ich jemanden sich erheben. Jin ist von Hoseoks Seite gewichen und geht nun auf seinen Freund zu, um ihm sachte auf die Wange zu küssen. Was wir umstehenden womöglich nicht hätten mitbekommen sollen, ist, wie der Kleinere der beiden seinem Freund leicht in den Oberarm kneift, ein alles sagender Blick folgt.

„Wolltest du dich nicht bei Tae entschuldigen, Joon?" Wie ein verlorener Welpe blickt der Schülersprecher seinem Freund nach. Es ist wohl ein offenes Geheimnis, wer der beiden in ihrerBeziehung das Sagen hat.

„Ich— Ja, das wollte ich wohl", spricht er zögernd und reicht mir anschließend die Hand. Hoseok verfolgt das Ganze in Schweigen.

„Tut mir leid, dass ich dich so angefahren und irgendwie auch etwas bedroht habe. Mir ist da etwas falsch zu Ohren gekommen. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen." Seine Entschuldigung bringt mich schon fast zum Lachen. Dem stattlichen und vor allem nicht an Nachgabe gewöhnte Schülersprecher ist anzusehen, wie sehr ihn diese Sätze gegen die eigenen Prinzipien gehen. Was man für seine Liebe nicht alles tut. Bei diesem Gedanken vermisse ich Heesung noch mehr als zuvor.

„Mach' dir nichts draus. So langsam gewöhn' ich mich an diese Art, wie mit mir umgegangen wird." Meine Aussage erntet verwirrte Blicke und Stirnrunzeln, sodass Jin eigentlich hatte Luft holen wollen, um mich darüber auszufragen, doch bringt das Klingeln der Schulglocke unsere Versammlung zu einem Stopp.

„Verschieben wir das auf die nächste Pause", meint Namjoon, die Menge an Schülern, die sich dicht an dicht in das Schulgebäude zurückdrängen, beobachtend. Er hat seine Hände in den Hosentaschen versteckt. Mein Plan, die kommenden Schulstunden zu schwänzen, ist damit wohl geplatzt.

Das Paar verabschiedet sich zügig voneinander und Jin folgt anschließend dem Jungen mit den blonden Locken. Sie verabschieden sich auf freundlich von mir und schenken mir jeweils ein ehrliches Lächeln. Zurück bleiben der Schülersprecher, dessen Unwohl sein selbst ich auf der Haut spüren kann, und ich. Beherrscht von mulmigen Gefühlen schauen wir uns an. Der Pausenhof ist mittlerweile soweit leer.

„Wir habe jetzt Mathematik. Kommst du mit?" Namjoon kämpft mit sich, als er mir diese Frage stellt. Still antworte ich ihm mit einem Nicken, sodass wir Seite an Seite zu unserem Klassensaal laufen. Die Stimmung ist irgendwie angespannt — Namjoon ist irgendwie angespannt. Ich hingegen; mir geht es eigentlich ganz gut.

Als wir fast den Raum im zweiten Obergeschoss erreichen, bleibt der Größere von uns beiden stehen. Was das wohl wird?

„Taehyung, du kennst doch Jeon Jungkook, oder?"

Overlooked | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt