42. Immer, wenn ihr traurig seid... (5/6)

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Einen schönen Mittwoch :)
Viel Spaß Fee

Veröffentlichungsdatum/Überarbeitungsdatum: 14.07.2021/14.07.2021

Personen: Heiko Hiersche/Paul Landers, Zven Kruspe/Richard Z. Kruspe

Sicht: Paul


Zven tat mir so unendlich leid. Nicht, dass wir am nächsten Abend nach Berlin fahren würden. Aber allein lassen wollte ich ihn auch sehr ungern. Vor allem mit seinen Stiefvater, der ihn verprügelte. Aber wirklich nur ihn, wie Zven uns erzählte. Anscheinend hatte er irgendein Problem mit ihm, was ich und auch meine Mutter, nicht begreifen konnten. Es machte ihn nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich so sehr kaputt. Nein, mein neuer Freund hatte wirklich kein einfaches Leben. Er wurde nicht geliebt und akzeptiert, so wie ich, doch hatte er es so sehr verdient.

Als es allmählich Abend wurde, sahen wir uns nach einem Platz zum Schlafen für ihn um. Die einzige Möglichkeit, die mir erschien, war es, mit ihm auf meiner Matratze zu schlafen. Als ich ihn fragte, sah er darin kein Problem und stimmte mir dankbar zu.
Wir lagen in meinem Zimmer. Meine Mutter schlief bereits. Ob Zven neben mir schon schlummerte, wusste ich auch nicht. 
Ich wiederum konnte nicht einschlafen. Irgendwas hinderte mich daran... 


„Zven? Bist du noch wach?", fragte ich leise, nach vielen Momenten des Nachdenkens.
„Ja."
Überrascht setzte ich mich auf: „Kannst du auch nicht schlafen?"
„Ne."
Ich dachte kurz nach.
„Willst du was Cooles sehen, Zven?"
„Klar."
Wir rappelten uns auf und schlichen die Treppe nach unten. Ich voraus und mein Freund folgte mir.
Wir traten in die kühle Nacht hinaus. Das Gras war feucht und kalt unter meinen Fußsohlen. Ich schauderte. Jedoch liefen wir weiter in der Garten, bis zu dem Baum mit meinem Baumhaus.
Flink kletterte ich die Strickleiter empor und half dann auch Zven, die letzten Meter zu schaffen, indem ich ihn hochzog.
„Wow", sagte er, als er mein Reich begutachtete.
„Hier hängen eigentlich noch viele Poster und so. Die sind jetzt aber alle weg und kommen in mein neues Zimmer", erklärte ich.
Mein Freund nickte nur.
Dann traute er sich ans Fenster und sah in den Garten hinab. Alles war ruhig. Nur Insekten zirpten und brummten ab und zu umher.

Lange saßen wir in meinem Baumhaus und genossen die Sicht auf das mir nur so Altbekannte. Jedoch musste ich es verlassen. Der Gedanke daran tat mir schrecklich weh. Ich hatte Angst. Respekt vor dem Neuen. Furcht davor, ausgestoßen zu werden, nur weil ich anders war. War ich überhaupt anderes?


„Heiko, Zven...", rief meine Mutter. Ich öffnete langsam die Augen und gähnte beherzt. Ich drehte mich und blickte zu Zven, der sich verschlafen die müden Augen rieb. Als unsere Blicke sich trafen, lächelte ich ihn freundlich an: „Morgen."
„Morgen", brummte er zurück und stand dann auf.

Ich folgte ihm wenig später und wir liefen die Treppe in die Küche hinunter, wo meine Mutter schon auf uns wartete.

Nachdem ich mein Frühstück verspeist hatte, lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und sah Zven fragend an: „Was machen wir?"
„Ich weiß nicht. In den Wald jedenfalls nicht", kann es zur Antwort.
Gespielt geschockt riss ich die Augen auf: „Nicht einmal Bäume umarmen?"
Lachend schüttelte er den Kopf: „Lieber umarme ich dich."
Ich schmunzelte: „Dann nicht in den Wald. Wie wär's, wenn wir mit deiner Mutter reden?"
Zven zuckte mit den Schultern. Hilfesuchend lag mein Blick auf meiner Mutter.
„Heiko hat recht, Zven. Das mit deinem Stiefvater kann nicht ewig so weiter gehen.
„Wenn ihr meint, dass das was bringen könnte", murmelte mein Freund schnippisch.
Mein Lächeln verschwand allmählich, jedoch man ich es ihn nicht übel. Er wusste, wie der Mann seiner Mutter tickte.
Wie er wohl zu Fremden war?

Zusammen mit Zven und meiner Mutter lief ich keine halbe Stunde später durch die Ferienhaussiedlung. Zven wirkte nervös, was mich auch nervös machte. Die einzige, die ruhig geblieben war, war meine Mutter, die selbstbewusst neben uns herlief.
„Jetzt zieht doch nicht so ein Gesicht, Jungs!", forderte sie auf.
Wir erwiderten nichts, was ihr ein kurzes Seufzen entlockte.
Der Kies knirschte unter meinen Schuhen und die Luft stand unerträglich. Die Hitze drohte uns zu erdrücken, sodass ich nicht schnell laufen konnte. Zu sehr war ich außer Atem, obwohl ich mich als relativ sportlich bezeichnete.
Weiter trotteten wir. Weiter schwitzten wir und weiter fragte ich mich, warum ich das überhaupt tat. Warum quälte ich mich geradezu durch den Sommertag? Für Zven?

„Hier ist es", meldete mein kleiner Freund, als wir vor einem Haus standen. Es war ein Weißes mit blauen Fensterrahmen.
Zielstrebig lief meine Mutter durch das Tor, durchquerte den Vorgarten und klingelte anschließend an der Tür.
Eine Frau öffnete sie und musterte den Besuch aufmerksam. Als sie ihren Sohn erblickte, schloss sie ihn in die Arme: „Oh mein Kleiner, was machst du denn für Sachen? Wo bist du gewesen? Wer sind diese Leute?"
Angesprochener blieb ruhig und sah beschämt zu Boden.
„Ich bin Erika", meine Mutter hielt der Frau die Hand zum schütteln hin, „Das ist mein Sohn Heiko. Er hat Zven gestern in Wald gefunden. Er hatte sich verlaufen. Der Kleine hatte schreckliche Angst, müssen Sie wissen."
Überfordert klappte sie ihren Mund auf und zu, ohne dass ein Wort ihrer Kehle entwich.
„Können wir vielleicht reinkommen?", fragte meine Mutter freundlich und trat, ohne auf eine Antwort zu warten, in das Haus ein. Wie folgen ihr und ich sah mich neugierig um. Eine kleine Küchenzeile, ein gemütlich aussehendes Wohnzimmer und drei weitere Türen, die von Flur aus abgehen. Vermutlich befanden sich dahinter Schlafzimmer und Badezimmer.

Viel redeten unsere Mütter miteinander, dann auch mit Zven. Ich wurde vom Gespräch ausgeschlossen. Das tat mir dennoch nichts, denn ich hatte rein gar nichts damit zu tun gehabt. Allein ging es um Zven und seine Kindheit, die zerstört wurde.
Ich saß die ganze Zeit über auf dem Sofa und dachte über mein Leben nach. Würde ich es wohl ohne Zven aushalten? Wie hatte ich es davor ohne ihn geschafft? Obwohl ich ihn nicht einmal 24 Stunden gekannt hatte, fiel es mir schwer mich damit abzufinden, dass wir uns in einigen Stunden verabschieden müssten. Würde er uns bis zum Bahnhof begleiten?

Je mehr ich dachte, umso schneller schien die Zeit vergangen zu sein, denn Zven kehrte zu mir zurück.
„Was ist. Wird deine Mutter in Zukunft etwas dagegen tun?", fragte ich aufgeregt und neugierig.
„Nun...", begann Zven, „Sie hat gesagt, dass sie mit ihm sprechen wird. Aber so genau glaube ich nicht daran, dass sich etwas ändern wird."
„Tut mir leid."
„Aber unsere Mütter scheinen sich gut zu verstehen. Wir werden euch nachher an den Bahnhof begleiten!", er grinste.
Ich tat es ihm gleich und umarmte ihn fest: „Ich werde dich echt vermissen, wenn ich weg muss, Zven."
„Ich doch auch! Ich hoffe, dass wir irgendwann mehr Zeit miteinander haben werden."

Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora