Das fünfte Rad

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Vor ein paar Wochen hat Stefanie erfahren, dass sie schwanger ist. Thomas und sie sind überglücklich, doch sie haben vorerst niemandem etwas verraten – auch Johannes und Nowi nicht. Sie wollten die ersten paar Wochen abwarten und die Leichtes-Gepäck-Tour noch zu Ende bringen, bevor sie die anderen einweihen. Heute ist es aber endlich soweit. Im Proberaum verkünden die beiden ihren Bandkollegen die tolle Nachricht. Johannes freut sich riesig und hüpft wie ein Gummiball im Proberaum herum. „Ich werde Onkel! Ich werde Onkel!" ruft er. Auch Nowi freut sich sehr für die beiden und umarmt Thomas und Stefanie. Trotzdem merkt Stefanie, dass bei Nowi irgendwas nicht stimmt. Aber vielleicht ist er einfach nur müde von der Tour. Sie beschließt, ihn einfach mal ein wenig zu beobachten.

Ein paar Tage später treffen sich die vier wieder im Proberaum, um die Aufnahmen vom Konzert in Dresden anzuhören. Daraus soll nämlich eine Live-CD entstehen. Während sie die Aufnahmen hören, schwelgen sie in Erinnerungen an die letzten zwei Jahre. Stefanie fällt auf, dass Nowi auch heute sehr zurückgezogen ist. Er ist nie der Lauteste in der Runde, aber eine lustige Bemerkung oder eine Weisheit hat er eigentlich immer auf Lager. Als Johannes und Thomas kurz in die Küche gehen, um ein Bier zu holen, setzt sich Stefanie zu Nowi und legt ihren Arm um ihn. „Hey du! Ist alles gut bei dir?" fragt sie ihn vorsichtig. „Na klar, alles bestens!" antwortet Nowi, doch Stefanie merkt, dass das nicht stimmt. „Du wirkst in letzter Zeit so abwesend" hakt sie nach. Doch Nowi setzt ein Lächeln auf und sagt „Weißt du, ich brauch einfach nur ein Bier." Stefanie belässt es dabei. Wenn er grade nicht darüber reden mag, wird er schon seine Gründe haben. Da kommen auch Thomas und Johannes schon wieder zurück.

Als sie ein paar Stunden später mit den Aufnahmen durch sind, sagt Johannes „Leute, ich hab eine Idee! Wie wär's denn, wenn wir am Freitag Abend gemeinsam Essen gehen? Vera kommt auch übers Wochenende und dann könnten wir doch auf unseren Familienzuwachs anstoßen. Was meint ihr?" „Oh ja! Das ist eine super Idee!" ruft Stefanie freudig. „Klingt gut!" erwidert auch Thomas „Aber für dich gibt's nur Wasser, meine Kleine!" ergänzt er und haucht Stefanie einen sanften Kuss auf die Wange. „Das war mir klar!" grinst sie und sieht Nowi auffordernd an. „Hmm...ich...äh...ich...sorry! Ich hab Freitag schon was vor" bringt er schließlich heraus. Stefanie sieht ihn schmollend an „Neeee, Nowi! Bitte komm doch mit!" „Tut mir leid!" sagt er „Außerdem muss ich jetzt auch los. Habt noch nen schönen Abend!" Schnell packt er seine Sachen zusammen und ist auch schon durch die Türe verschwunden. Die anderen drei sehen sich fragend an. „Habt ihr eine Ahnung, was mit dem los ist?" fragt Stefanie. Johannes und Thomas schütteln nur stumm ihre Köpfe. Die drei besprechen noch kurz ihr Treffen für Freitag und machen sich dann ebenfalls auf den Heimweg.

Währenddessen wandert Nowi verloren durch die Straßen von Berlin. Als er durch einen Park geht, lässt er sich auf einer Bank nieder und blickt in den Himmel. Nur eine dünne Sichel des Mondes leuchtet dort oben. Morgen dürfte Neumond sein. Ist das vielleicht ein Zeichen? Schon seit einiger Zeit fühlt sich Nowi irgendwie fehl am Platz. Er hat das Gefühl außerhalb der Band zu sein. Und klar freut er sich total für Stefanie und Thomas, aber das lässt ihn selbst noch mehr im Abseits stehen. Die beiden werden Eltern und das macht Johannes zum Onkel. Sie haben ihre eigene kleine Familie und für ihn ist da wohl kein Platz mehr. Eine Welle von Einsamkeit überrollt ihn. Nowi kennt dieses Alleinsein nur zu gut. Viel zu lange ist es her, dass er eine Partnerin an seiner Seite hatte, die ihm das Gefühl von Vertrautheit gegeben hat. Klar hat er immer wieder mal Bekanntschaften mit nach Hause genommen, die ihm die Nächte versüßt haben, aber jemanden, bei dem er sich geliebt und geborgen fühlt, hat er schon ewig nicht mehr gehabt. Auch seine Freunde sind die meiste Zeit nicht in Berlin, weil sie beruflich unterwegs sind oder überhaupt woanders wohnen. Besonders sein bester Freund Matthias ist ständig irgendwo unterwegs, um seine Filme zu drehen. Eigentlich gibt es für ihn hier nur Johannes, Thomas und Stefanie. Die drei sind seine Familie. Doch die sind jetzt gerade dabei, ihre eigene aufzubauen. Johannes hat außerdem noch Vera. Und für ihn ist dann wohl kein Platz mehr. Das ist auch der Grund, warum er das Essen für Freitag abgesagt hat. Er fühlt sich sowieso schon wie das fünfte Rad am Wagen. Da schafft er sicherlich kein Essen mit zwei Pärchen. Traurig blickt Nowi zum Mond hinauf, der kaum mehr zu sehen ist, und stößt einen lauten Seufzer aus. Dann erhebt er sich und macht sich auf den Weg zu seiner Wohnung, wo niemand auf ihn wartet.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt