3. Kapitel

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"So, da sind wir also ." Meine Mutter öffnete die Autotür und holte meine Krücken aus dem Kofferraum. Ich war zuhause. Nach der Visite heute Morgen durfte ich das Krankenhaus endlich verlassen. Vermissen tat ich es nicht, genauso wenig wie meine Zimmernachbarin. Sie war gestern schon entlassen worden. Vergeblich versuchte ich elegant aus dem Auto zu steigen. War wohl doch schwieriger als gedacht. Die Beinschiene behinderte mich zu sehr. "Komm ich geb dir meine Hand." Ich nahm die Hand meiner Mutter und drückte mich mit der anderen vom Autositz ab. Wacklig stand ich jetzt also auf einem Bein da und fühlte mich wie auf hoher See. "Hier deine Krücken." Dankbar nahm ich sie an. Mit langsamen Schritten bewegte ich mich auf die Haustür zu. Meine Mutter kam mit meinem Krankenhauskoffer und dem Schlüssel hinterher. Drinnen angekommen, setze ich mich einwenig aus der Puste aufs Sofa und legte mein Bein hoch. So tat es weniger weh und ich saß entspannt. Meine Ärztin wäre stolz auf mich, dachte ich mir. "Willst du was trinken? Eine Apfelschorle vielleicht oder ein Wasser?" Meine Mutter schwirrte um mich herum. Sie nahm das mit dem "Sie soll sich die ersten Tage zu Hause noch viel schonen" sehr ernst. Schließlich hatte sie ja eine schwere Op hinter sich. Das konnte die Ärztin heute morgen bevor wir fuhren, nicht oft genug zu mir und meiner Mutter sagen. Mein Vater war nicht dabei gewesen. Er musste arbeiten. Fand ich gut, so hatte ich keine zwei Menschen die überfürsorglich waren und die Ärzte mit tausenden Fragen bombardierten. " Ein Wasser reicht danke." Ich begann am Handy zu datteln. Ich hatte jetzt Zeit. Viel Zeit. Zufiel. Kurz trank ich einen Schluck Wasser und vertiefte mich dann wieder in mein Handy. Meine Mutter hatte sich nach drei mal "Ich brauch nix mehr, danke Mama" endlich an den Esstisch gesetzt und arbeitete am Laptop.

Etwa drei Stunden vergingen so und nach der dritten musste ich mal pieseln. Meine Mutter schaute auf und war schon dabei aufzustehen, um mir zu helfen, da wies ich sie zurück. "Bleib sitzen, ich schaff das." Und ich schaffte es. Sie sah mir zwar skeptisch zu, aber vertiefte sich, nachdem ich ein paar sichere Schritte mit den Krücken gegangen bin wieder in ihre Arbeit. Zum ersten Mal war ich so richtig froh, eine Toilette im Erdgeschoss zu haben. Im Bad blickte ich kurz in den Spiegel. Da stand ich also. Haare fettig, Augen dunkel und mit einem kaputten Knie. Ich seufzte. Die Klospülung rauschte und ich krackste zurück zum Sofa.

Ein Schlüssel drehte sich in der Tür und Schritte bewegten sich zur Garderobe. Ich schaute auf. Draußen war es bereits dämmrig. Mit geschafften Blick kam mein Vater ins Wohnzimmer. Er gab meiner Mutter einen Kuss. "War das ein anstrengender Tag. Wie lief's bei euch. War heut morgen alles gut?" Die frage ging wohl eher an mich. "Ja." Mehr sagte ich nicht. Damit war die Frage ausreichend beantwortet. Ich vertiefte mich wieder in mein Handy. Kaum zu glauben, das es nach 7 Stunden immer noch was interessantes auf YouTube, Netflix und co. gibt. Nein, um ehrlich zu sein nicht. Ich versuchte mich nur abzulenken und nach außen beschäftigt zu wirken. Innerlich war ich ganz hibbelig und unausgeglichen. Liegt wahrscheinlich auch am Handy Konsum. Meine Mutter redeten der Küche mit meinem Vater. Sie gab ihm wahrscheinlich ein paar Infos mehr von dem Gespräch heute morgen.

Mein gesundes Bein begann einzuschlafen. "Kommst du Victoria es gibt essen." Mein Vater rief ins Wohnzimmer. Mit den Kopfhörern hatte ich gar nicht mitbekommen, dass Abendessen zubereitet wurde. "Ja, ich komme, Moment." Ganz matschig legte ich die Kopfhörer ab und stand auf. Einen kurzen Moment tanzen schwarze Punkte vor meinen Augen, dann waren sie wieder weg. Tja das passiert mit dem Kreislauf, wenn man den ganzen Tag nur da liegt. Langsam begebe ich mich zum Esstisch. Meine Eltern sitzen bereits da, springen aber sofort auf, um mir beim hinsetzen zu helfen. "Danke geht schon." Ich setze mich schwerfällig alleine hin. Es gibt Brotzeit. Ich greife mir ein Stück Brot und beschmiere es mit Butter. "Papa kannst du mir den Käse geben?" Er reicht ihn mir. "Danke." Wir sitzen da und keiner bringt ein Gespräch zugange. "Frau Dr. King hat vorhin angerufen und den Platz in der Rehaklinik bestätigt. In 10 Tagen fahren wir hin. Du wirst einen Monat bleiben meinte sie." "Einen  Monat?! So lange? Was für ein Scheiß. Ich dachte 2 Wochen!" Mein Herz klopfte schneller. "Dr. King meinte, dass ein Monat deutlich sinnvoller wäre. Außerdem versicherte sie mir, dass sie die Klinik nur empfehlen könne und ihre Jugendlichen Patienten immer mit erfolgen und glücklicher rauskommen. Es ist auch eine Rehaklinik die sich vor allem auf Orthopädische Unfälle spezialisiert hat. Sie liegt mitten in den Bergen, am Hang eines kleinen Dorfes in Österreich. Das klingt doch alles gut." Ja, ja denke ich mir. Für sie vielleicht. Ich esse stumm mein Käsebrot weiter. "Sag doch was Vicky." Meine Mutter blickt mich an. "Irgendetwas."
"Schön, dann bin ich da halt einen Monat. Und dann? Ich werde trotzdem nie wieder bei einem Wettbewerb oder Rennen laufen können. Alles kaputt. Ich bin kaputt. Also was soll mir die Reha schon bringen?" Wütend blicke ich auf. Meine Eltern blicken mich bestürzt an. "Aber Vicky, natürlich bringt die Reha dir was. Sie hilft deinem Knie zu heilen und sich zu stabilisieren. Oder möchtest du ewig auf Krücken gehen? Ein Leben lang schmerzen haben. Nein, ich glaube nicht. Du wirst zwar nie wieder bei einer Deutschen oder so mitlaufen, aber das ist ok, wenn du überhaupt wieder alleine ohne Schmerzen laufen kannst." Meine Mutter klingt ebenfalls wütend. "Denkst du ich sehe dich nicht jedes mal zusammenzucken, wenn du dein Knie auch nur minimal belastest? Natürlich, es tut mir im Herzen weh, dich so zu sehen." Eine Träne kullert ihr übers Gesicht.
"Keine Mutter möchte ihr Kind so verletzt sehen. Aber wir bzw. du müssen nun versuchen das beste draus zu machen. Und wenn ein Monat Reha besser zu deiner Genesung beiträgt, dann wirst du im Nachhinein froh sein, sie gemacht zu haben."
"So ist es." Mein Vater nickte. "Ok, ok werdet mal nicht so emotional, ich gehe ja hin." Das Käsebrot war aufgegessen.. "Und jetzt lasst mich bitte in Ruhe, ich gehe ins Bett."

Ich nahm die Krücken, die am Tisch lehnten und ging ganz langsam die Treppe hoch. Den Schmerz ignorierte ich.

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⏰ Last updated: Aug 19, 2021 ⏰

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