Eindringlinge

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„Wir haben es nicht nötig uns hinter dem Rücken von Elben in Häuser zu schleichen und zu stehlen", brummte Mîthtan grimmig. Er war ein sehr hochgewachsener Krieger mit demselben nachtschwarzen Haar wie sein Herr Maethorn. Seine Augen waren stahlblau und über das linke von ihnen führte eine deutlich sichtbare Narbe bis auf die Stirn hinauf. Er war eine Leibwache, extrem pflichtbewusst und außerordentlich gut ausgebildet. Seine Lösung für die meisten Probleme war Gewalt, wenngleich er sie niemals ohne ausdrücklichen Befehl anwendete (auch wenn er es manchmal gerne täte).
„Sie umzubringen war keine Option", belehrte ihn sein Kollege Maltlass, der um einiges klüger als er war, dafür jedoch weniger stark und mächtig in der Erscheinung. Er besaß braune Haare, wie die meisten Sindar, und verbrachte seine Freizeit lieber mit Lesen oder Schreiben anstatt mit Trainieren. Maethorn hatte damit zwei sehr unterschiedliche Männer dabei, die er beide in und auswendig kannte. Sie waren seit vielen Jahren seine Leibwachen, wofür sie hart gearbeitet hatten.
„Sie werden merken, dass ihre Rüstungen fehlen – wenn man diese Fetzen so nennen kann", grummelte Mîthtan und zupfte an dem tiefen Grün seines Mantels, der an Schulter und Brustpartie kettenhemdartig mit Metall verwoben war.
„Wenn sie dies hier im Krieg tragen, werden wir es immerhin einfach haben", mischte ihr Herr sich ein und stand von seiner Wurzel auf. In seiner Hand lag ein Kurzschwert, das er sehr genau betrachtet hatte. Er war ein ausgezeichneter Schmied, auch wenn er niemals etwas für jemand anderen als sich selbst geschmiedet hatte. Seine Waffe der Wahl war ein eigens gefertigter Wurfstern, der immer zu seinem Herrn zurückfand, egal, wie viele Kehlen er auf dem Weg zerfetzte. Er war klein, wenn er in Maethorns Hand lag, wie eine runde, flache Scheibe aus Silber. Auch die Gravierungen, die zwei Schwingen zeigten, verblassten, wenn sie jemand zu Gesicht bekommen sollte, der nicht von den Eglath stammte.

„Dennoch sollten wir hoffen, dass es nicht dazu kommt. Sonst wäre unsere Mission schließlich gescheitert", murmelte Maltlass vorsichtig und sah sich prüfend um. Wie die anderen beiden mochte er Wälder nicht sonderlich. Er hatte die freien Felder seiner Heimat um einiges lieber. Dort konnte man einen Angreifer bereits von weit weg kommen sehen, hier lauerte hinter jedem Baum Gefahr. Außerdem empfand er die Luft im Norden um einiges frischer und kühler als hier im Morast (selbst, wenn er gefroren war).
Maethorn verdrehte kaum merklich die Augen und wandte sich ab. Er selbst war mehr wie Mîthtan gebaut, doch klüger und willensstärker. Er mochte es nicht zu verhandeln oder überhaupt viel zu reden. In ihrem Reich war er oftmals derjenige, der geholt wurde, wenn Gefangene nicht sprechen wollten. Mit den richtigen Druckpunkten – sprichwörtlich, sowie wortwörtlich – fing jeder Vogel irgendwann an zu singen.

„Ist mir ein Rätsel, warum ein Volk wie die Nanór sich mit solchen Kobolden einlassen sollte", murmelte Mîthtan, während er als letzter dem dünnen niedergetretenen Pfad folgte.
„Ich würde sie nicht vorschnell verurteilen, Mîthtan", antwortete Maethorn, die aufmerksamen grauen Augen durchweg auf die verschneiten Bäume gerichtet.
„Verzeih, Herr", antwortete seine Wache sofort wenig reumütig, doch Maethorn interessierte das nicht. Er wusste, dass er seine bedingungslose Loyalität hatte, auch ohne, dass er ihm zu Kreuze kriechen musste.
„Entschuldige dich nicht bei mir, sondern bei den Kobolden", erwiderte er leise, doch erwartete keine Reaktion.

Einige Zeit gingen sie schweigsam weiter, auf jeden Schritt achtend. Sie wussten nicht viel über dieses Reich, doch auch das ihre hatte einmal ein Waldgebiet eingeschlossen, bis die Nanór es widerrechtlich besetzt hatten. In Wäldern war es leicht Fallen aufzustellen und mit elbischer Zauberkunst noch leichter.

So kam es, dass Maethorn schließlich anhielt und seine Hand hob, um seinen Begleitern zu signalisieren, dass etwas nicht stimmte. Seine Nackenhaare hatten sich aufgestellt und denen konnte er vertrauen.
Einige Sekunden standen sie bewegungslos da, nicht wissend, was in den Bäumen lauerte, bis sich eine Stimme auf sich aufmerksam machte: „Es wird sich nicht viel tun, wenn ihr da einfach stehenbleibt."
Alle drei legten sofort ihren Kopf in den Nacken und sahen sich einer rothaarigen jungen Elbin entgegen, die sie mit schelmisch funkelnden Augen musterte. In ihrer Hand lag ihr Bogen, ein Pfeil war auf der Sehne abgelegt, sodass sie jederzeit in Sekundenschnelle schießen konnte.
„Wenn ihr euch schon als Waldelben verkleidet, solltet ihr euch auch so benehmen", machte sie sich weiter über die drei Eindringlinge lustig. Sie verharrte in der Hocke und behielt die Elben sehr genau im Blick.
„Warum kommst du nicht einfach hinunter und zeigst uns wie?", lächelte Maethorn, doch es war ein sehr schlecht gespieltes Lächeln. Nur seine Mundwinkel zuckten nach oben, seine Augenpartie blieb kalt.
Die Waldelbin runzelte die Stirn und zückte blitzschnell ihren Bogen. Maethorn und Maltlass blieben gelassen in ihren Positionen. Das Trio war so eingespielt, dass alle drei wussten, dass es Mîthtans Aufgabe war, diesen Pfeil in der Luft zu zerstören, sofort (schneller als die Elbin) nachzulegen und ihr damit die Sehne ihres Bogens zu zertrennen. Ihre Kinnlade klappte schockiert nach unten. In ihrer Hand ruhte noch der Pfeil, den sie als zweiten hatte schießen wollen.
„Komm hinunter und wir reden", wiederholte Maethorn in seiner netten Stimme, die für gewöhnlich als sachlich beschrieben werden würde. Doch sie zögerte und sah zwischen ihm und Mîthtan hin und her.
„Ihr werdet mich nicht umbringen?", fragte sie zaghaft. Ihr war der Ernst der Lage wohl erst jetzt so richtig bewusstgeworden.
„Das werden wir noch sehen – du hast keine Wahl."
Sie atmete tief und kontrolliert durch und kletterte dann flink hinunter, bis sie zwei Meter vor dem Anführer der Gruppe zum Stehen kam.
„Wir befinden uns in meinem Reich. Ich werde kein Wort sagen, das ich nicht sagen will", sagte sie entschlossen und verschränkte die Arme. Maethorn ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und warf einen Blick zu Mîthtan, den es schon in den Fingern juckte, doch noch wurden seine Dienste nicht benötigt.
„Hier ist, wie das laufen wird: Ich werde Fragen stellen, nur ein einziges Mal. Wenn du sie nicht beantwortest, wirst du dafür bestraft. Wenn du schreist, wirst du getötet – oder Schlimmeres." Seine Mundwinkel zuckten leicht.
Die Elbin schluckte etwas verunsichert und nicke. Sie hatte ihre Ausbildung noch nicht lange beendet und hatte nicht erwartet so schnell in solch eine Situation zu geraten.

„Also, was weißt du über blau gekleidete Elben, die in den letzten Jahren diesen Wald betreten haben?" Sie weitete leicht die Augen und ließ ihren Blick nochmal über die drei Fremden gleiten.
„Seid ihr ihre Feinde?", fragte sie neugierig. Mîthtan trat sofort einen Schritt näher und schlug ihr seine Faust tief in die Magengrube. Sie gab einen erstickten Ton von sich und fiel auf die Knie, die Hände auf den Bauch gepresst.
„Nein, wir sind ihre Freunde, deswegen fragen wir auch so nett", seufzte Maethorn ironisch, verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.
Während sie schwer atmend versuchte den Schmerz zu lindern, rutschte einer ihrer Arme kaum merklich nach hinten zu ihrem Schwert. Maethorn brauchte nichts zu befehlen, da holte Mîthtan mit seinem Fuß aus, trat sie heftig gegen einen Stamm und fasste sie an der Kehle, sodass sie notgedrungen nach Luft schnappte. Maltlass trat indessen vor und entwaffnete sie.
„Mîthtan", warnte sein Herr ihn leise, als er sie für seinen Geschmack bereits etwas zu lange so würgte. Sofort ließ er ein Stück weit locker, sodass sie ein tiefen Atemzug nehmen, und gleich darauf in einen Hustenanfall übergehen konnte, der ihr kaum ermöglicht wurde bei dem festen Griff.
„Lass sie los."
Sie fiel zu Boden auf alle Viere und krallte sich in die vereiste Erde, während sie verzweifelt versuchte Luft zu bekommen.
Maethorn besah sich einstweilen ihre Waffen, die Maltlass ihm ausgehändigt hatte. Es war ein Schwert, Zwillingsdolche und ein kleines Messer fürs Kräutersammeln oder zum Schnitzen.
„Man hätte meinen können, dass König Oropher etwas von den Schmiedekünsten des Westens in sein Reich mitgebracht hat", murmelte er ungläubig. In seinen Augen war das Metall klumpig und unrein. Er hatte nur gehört, wie die Waffen der Menschen aussahen, niemals hatte er eines wirklich in den Händen gehalten, doch in etwa so hatte er sie sich vorgestellt.
„Die höchsten Schmiedekünste besaßen die Noldor in den Städten Nargothrond und Gondolin, nicht die Sindar", murmelte Maltlass vor sich hin, der wusste, dass genaue geschichtliche Details gerade niemanden interessierten.

Mîthtan trat vor, um die Elbin an den Haaren wieder aufzuziehen, als diese ihren Arm schwach hob. „Wartet, wartet!", stöhnte sie und setzte sich hin. „Das Blaue Volk hat die Schlacht am Gundabad zu verantworten. Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde... also, was wollt ihr wissen?"
Maethorn hob überrascht die Brauen. Von einer Schlacht um den Gundabad hatte er noch nichts gehört, doch sie machte Sinn. Das neue Königreich der Nanór lag etwa dreihundert Meilen nördlich dieses Berges und bei solch einem übervorsichtigen Volk, war es kein Wunder, dass sie auf Nummer sicher gehen wollten.
„Erzähle einfach von Anfang an. Wann sind sie das erste Mal aufgetaucht?", nutzte er die Chance aus und deutete seinem Mann zurückzubleiben.
„Vor etwa einhundert Jahren, soweit ich weiß. Ich war nicht dabei, doch Erzählungen besagen, dass sie komplett in Blau gekleidet waren und merkwürdige Waffen bei sich trugen. Dann haben die Verhandlungen begonnen, von denen jetzt immer noch nicht viel bekannt ist. Thranduil ging es um ihr Wissen, ihre Waffen und ihr Reichtum, nichts, was meiner Meinung nach, das Abschlachten von so vielen Elben rechtfertigt, aber ich bin nicht Königin."
Sie brach ab und holte gequält Luft. Maethorn zuckte leicht mit den buschig schwarzen Augenbraun, doch unterbrach sie nicht. Er wusste sehr genau, über wie viel Wissen die versteckten Nanór verfügten. Er konnte nur nicht wirklich glauben, dass sie es tatsächlich geteilt hätten.

„Jedenfalls wurde sich dann darauf geeinigt, dass einige Auserwählte ihres Volkes bei uns wohnen sollten. Ein paar wurden sogar verheiratet, ob sie Kinder bekommen haben, weiß ich nicht. Es war ihre Aufgabe festzustellen, ob wir vertrauenswürdig wären oder etwas Ähnliches. Es hat auch mit der Allianz zu tun, dass wir den Gundabad angegriffen haben, aber so genau kenne ich mich nicht aus." Sie senkte ihren Kopf wieder, als Zeichen, dass ihr Wissen nun erschöpft war.
„Wo finden die Verhandlungen statt?"
Sie sah mit großen Augen auf, ängstlich, dass die drei vielleicht doch auch der Königsfamilie der Waldelben etwas antun könnte.
„Wir wollen deinem Reich nicht schaden, nur diese Allianz verhindern", versprach Maethorn und hielt Mîthtan weiterhin mit einem kleinen Zeichen zurück. Wenige Tritte mehr und sie würde in jedem Fall nichts mehr sagen.
„Im großen Palast des Königs. Diese Richtung", gab sie endlich zur Antwort und zeigte in den Süden. Der Elb nickte zufrieden und trat näher, um sich vor sie zu hocken. Langsam nahm er ihr Kinn in seine große Hand und hob es, sodass sie ihm in die intensiven dunkelgrauen Augen sehen musste.
„Und das ist alles, was du weißt?", versicherte er sich. Sie nickte etwas zittrig.
„Gut", brummte er zufrieden und erhob sich wieder. Mit einem Deut zu Mîthtan trat er einige Schritte zurück und verschränkte die Arme, während seine Leibwache die Elbin mit einem Fuß zurück zu Boden drückte und ihr sein Schwert in den Rücken rammte. Wie Butter glitt es durch die Knochen und in die harte Erde darunter.
„Vergrabt oder versteckt sie. Sie soll in den nächsten Tagen nicht gefunden werden", befahl Maethorn gleichgültig und wandte sich ab.

Liebe oder Loyalität // Legolas FFWhere stories live. Discover now