Das Warten

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Alles passierte sehr schnell. Wachen liefen in jede Richtung davon, um den Palast zu allarmieren und die Nanór hatten ebenfalls davon Wind bekommen, dass ihre Todfeinde vor der Tür standen. Einige zogen ihre Waffen, andere versuchten Pläne zu schmieden, wie man denn am besten von hier flüchten könnte, und keiner scherte sich um den anderen, alle dachten an sich selbst. Das machte es Vilya schwierig ihre Schwester in dem Getümmel zu finden. Legolas war, nach einem kurzen Wort des Abschieds, mit den Königen, Luinmír und Glânaew, dem Bruder des Königs, gegangen.
Es dauerte einige Minuten, bis Vilya endlich in den richtigen Raum stolperte. Er war mit vielen kleinen runden Tischen gefüllt, um die herum man sich setzen und entspannt etwas Essen konnte. Nun saßen hier nur noch sehr wenige Elben und niemand von ihnen war mehr entspannt – obwohl, das nicht ganz richtig war, denn schon fiel Vilyas Blick auf einen Mann, der mit dem Rücken zu ihr saß. Seine Beine hatte er, samt Schuhen, auf der Tischplatte platziert und die Arme gelassen auf den Lehnen abgelegt. Er saß an einem Tisch mit Faenen und Valaina, die ganz und gar nicht so selbstzufrieden aussahen. Faenens Schultern waren angespannt und seine Hände krallten sich in das Holz seines Sessels. Die kleine Valaina starrte vor sich ins Leere, tief in Gedanken versunken.

„Valaina, geht es dir gut?", seufzte Vilya sofort erlöst und kam schnellen Schrittes näher, doch bevor sie ihre Schwester umarmen konnte, streckte sich ihr ein Arm in den Weg. Mîthtan, der entspannte Elb neben dem Mädchen, hatte nicht einmal hingesehen.
„Wenn du sie anfasst, bringe ich dich um", sagte er, als wäre es schlichtweg ein Fakt und nicht zu ändern.
„Sie ist meine Schwester", knurrte Vilya zurück und wollte an ihm vorbei, doch die Leibwache Maethorns erhob sich unerwartet schnell aus seiner Position und schob sich zwischen die beiden.
„Glaub mir, es macht mir keinen Spaß auf dieses Kind aufzupassen, aber Befehle sind Befehle." Das Wort Kind spuckte er förmlich, als wäre es eine schlimme Beleidigung.

„Darf ich mit ihr sprechen?", fragte Vilya und sah ihm entschlossen in die blauen Augen. Er zögerte und warf einen Blick hinter sich.
„Von mir aus ja", brummte er schließlich und setzte sich wieder hin. Eine Hand lag auf einem kurzen Dolch an seinem Gürtel. Es war klar, dass er es sehr ernst gemeint hatte damit, dass er sie umbringen würde, wenn sie sich ihrer Schwester ein weiteres Mal näherte.
„Wie geht es dir?", wiederholte Vilya ihre Frage, doch hielt einen großen Schritt Abstand. Das Mädchen antwortete nicht und starrte weiterhin in die Luft, an einen Ort, den niemand anderes sehen konnte.
„Valaina", versuchte sie es abermals.
„Mîthtan", kam es endlich von Valaina, doch mehr Reaktion zeigte sie nicht.
„Ich höre nicht auf die Befehle eines kleinen Kindes", knurrte Mîthtan und legte wieder seine Füße hoch. Nun drehte sich Valainas Kopf ruckartig zu ihm. Die Luft knisterte spürbar unter ihrem intensiven Blick, als wäre sie nicht mehr ein kleines Mädchen, sondern eine starke Kriegerin aus Valinor. Vilya war nicht einmal diejenige, auf die der Blick gerichtet war, und sie konnte ihn in ihrem ganzen Körper spüren. Mîthtan brauchte einige Sekunden, bis er seufzte und sich leicht zur Seite wandte.

„Sprich sie einfach nicht an", brummte er schlecht gelaunt. Vilya wollte fragen, was es mit dieser Kraft auf sich hatte, was überhaupt geschehen war, dass ihre kleine Schwester nicht mehr mit ihr sprechen konnte, oder was sie über Maethorn und seine Leute wusste, doch sie traute sich nicht. Einige Male öffnete sie den Mund, doch brach ab.
„Du würdest sofort umgebracht werden, wenn du im Palast eine Waffe ziehst", sprach sie wütend und verschränkte die Arme.
„Vermutlich, aber ich würde viele mit in den Tod ziehen", antwortete Mîthtan, als wäre es selbstverständlich.
Die Elbin seufzte und ging um den Tisch herum. Neben Faenen nahm sie auf einem der hölzernen Stühle Platz.
„Bitte frag mich nicht, wie es mir geht", murmelte Faenen leise in sich hinein. Sie lächelte fahl.
„Hatte ich nicht vor." Er nickte bloß und sah hinab auf seine Finger, die er einige Male spreizte, um sie zu entspannen.
„Werden sie dich umbringen?", fragte Vilya und versuchte dabei eine Regung im Gesicht der Wache festzustellen, doch das blieb kalt wie eh und je.
„Wie ich sie kenne nicht, zumindest nicht, bis ich nicht auf Knien darum gefleht habe", antwortete Faenen bitter. Nun zuckten die Mundwinkel Mîthtans tatsächlich ein wenig.
„Aber du bist der Neffe des Königs."
„Das ändert nichts. Ich weiß zu viel. König Daeron würde Krieg beginnen, um mich in die Finger zu bekommen und Thranduil würde mich opfern. Jeder weise König würde den einen für das Wohl der vielen opfern."

Liebe oder Loyalität // Legolas FFWhere stories live. Discover now