Amelia atmete schwach aber regelmässig. Ylvy und Ruan hatten vorläufig ihr Amt eigenommen und versuchten Ruhe nach Lerimed zurück zu bringen. Die eitlen Engel von Lerimed hatten ihren gesamten Stolz nach der Niederlage im Kampf verloren, sodass alle Engel friedlich im Dorf aufgenommen wurden. Die Verletzten wurden betreut und es wurde Essen geteilt. Finn hatte sich seit der Schlacht deutlich erholt und konnte mittlerweile bereits aufsitzen. An viel konnte er sich nicht mehr erinnern, doch er war froh gewesen in einem weichen Bett aufgewacht zu sein. Mit Mühe und Not strampelte er sich aus dem Bett und stütze sich auf den Krücken auf, die Ylvy ihm aufmunternd hinhielt. Heute war Tag drei nach der Schlacht. Der erste Tag, wo er zu Amelia durfte, denn seine Grossmutter hatte ihn zu strikter Bettruhe genötigt.
In ihrem Zimmer war es ausserordentlich warm und das obwohl die grossen Fenster zum Balkon gekippt waren. Ihr Körper war nur von einem seidigen Longshirt umgeben und die Decke fein säuberlich zurückgeklappt. Man könnte Denken sie sei Tod, so wie sie dalag. Mit kleinen Schritten bewegte sich Finn zum heiss abstrahlenden Körper. Ihre Schulter war in einem festen Gestell fixiert und an beiden Beinen waren dicke Verbände angebracht worden. Die kleinen Kratzer waren bereits geheilt und auch ihre Hautfarbe war einige Nuancen dunkler geworden, als nach dem Krieg. Sie war stark.
"Hi". Amelia drehte sofort den Kopf in seine Richtung und riss die Augen auf. Das funkelnde Grün in ihnen war erloschen und obwohl sie zu ihm blickte, sah sie ihn nicht an. "Amelia, ich bin es, Finn!" Sie streckte ihren Arm aus und tastete nach seiner Hand. Tränen liefen aus ihren Augen und ihre Unterlippe zitterte, als sie ihre heisse kleine Hand in seiner wiederfand. Ihr Brustkorb bebte und ein leises Schluchzen entwich ihr. Ylvy verliess bedrückt den Raum und konnte sehen, was für ein Gefühlschaos in ihrem Enkel vorging. Es war seine Aufgabe die Gefühle unter Kontrolle zu bringen, nicht ihre, und so liess sie die beiden allein.
Finn strich über ihre Handoberfläche. Der seidige Ärmel rutschte nach hinten und gab die Narben ihres Tattoos frei. Geschockt hielt Finn inne. "Wer war das?" Böser als gewollte, stellte er seine Frage direkt an sie. Amelia zog beschämt den Ärmeln wieder hoch und flüsterte: "Luzifer."
Jetzt war es an Finn grosse Augen zu machen. Er war total verwirrt, denn er hatte absolut nichts mehr mitgekriegt. Wie konnte das sein? Sie hatte ihm noch viel zu erklären. Seine zweite Frage blieb ihm im Hals stecken, als sie weiterflüsterte. "Ich habe mich gerächt und seine Verbindung in die Welt der Engel gebrochen und seinen Sohn getötet."
Finn legte den Kopf in den Nacken und atmete tief aus, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. "Amelia. Ich bin unglaublich stolz auf dich! Ich weiss nicht wie du das angestellt hast. Den König besiegt, mit dem Teufel gekämpft und den meisten Verwundeten inklusive mir das Leben gerettet. Wenn du ganz gesund bist, will ich es unbedingt erfahren." Er drückte ihre Hand fester und setze sich auf die Bettkante, während er wie in Trance über die Stelle fuhr, wo ihr Tattoo war. Erneut liefen die Tränen aus ihren Augen und sie drehte den Kopf weg. Finn hatte Mühe sie zu verstehen. "Ich werde nicht mehr gesund. Weil ich zu viel Energie vergeben habe, musste mein Körper auf etwas verzichten, um zu überleben. Finn... ich bin blind."
Finn biss sich auf die Lippen. "Amelia." Sie unterbrach ihn. "Nein Finn. Es ist in Ordnung, wenn du mich nicht mehr willst. Geh Finn, geh." Ihr Kopf war weggedreht.
"Nein Amelia! Dieses Mal werde ich nicht gehen. Denn du bist alles was ich will. Ich sehe in mein Herz und spüre die unendliche Liebe für dich und ich sehe dieselbe Liebe von dir erwidert. Wie dumm müsste ich sein, das Beste aufzugeben? Das kannst du vergessen, dass ich jetzt gehe. Dass ich jeh gehe. Egal wie du aussiehst oder ob du mich siehst oder nicht. Ich liebe dich aus dem Herzen und werde dir bis zu meinem Lebensende zur Seite stehen. Amelia, du bist der Grund weshalb ich noch lebe und niemals aufgehört habe zu kämpfen. Ich liebe dich!" Während seiner Rede, nahm er ihren Kopf zur Seite, sah in ihr wunderschön ebenes Gesicht, lehnte sich vor und küsste sie leidenschaftlicher als je zuvor. Die Tränen liefen nun auch aus seinen Augen und vermischten sich mit denen von Amelia. Ihre Hände tasteten sich zu seinem Nacken vor und zogen Finn näher an sich. Ein Gefühl von Geborgenheit und unendlicher Glückseligkeit breitete sich im Raum aus. Denn sie hatten es geschafft. Der König war tot. Sie kuschelten sich aneinander und genossen einander einfach nur weil der andere da war. Es war einer dieser Momente von totaler Stille, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachging und sich einfach wohl fühlte.
Amelia war kurz darauf eingeschlafen. Ihr Gesicht zeigte ein Lächeln, als Finn bemüht ruhig aufstand und sich zu seiner Freundin umdrehte. Mit seinem Daumen strich er über ihre warme Wange, die rot leuchtete und strahlte. Sie hatten es geschafft.
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Frühlingskind
FantasyABGESCHLOSSEN "Der Nebel war noch dichter geworden, um sie herum war es stockfinster und sie konnte ihre Begleiter nicht hören und schon gar nicht sehen. Als sie eine weitere Minute nur ihnen eigenen Atem vernehmen konnte, versuchte sie gar nicht er...