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rosyln — 11:59eine minute vor mitternacht

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rosyln — 11:59
eine minute vor mitternacht

Ozeansalz füllt die Luft bis in den Himmel. Die Farbe des Wassers zeichnet sich dunkel am Horizont ab, nur durchbrochen von winzigen Schaumkronen, die auf den Wellen tanzen, und weißen Segeln, die zu Booten aus einer fernen Welt zu gehören scheinen.
Yoongi ist auf dem Weg zu einer Straße am Hafen. Er liebt das Meer. Das hat er schon Zuhause getan, aber hier noch einmal mehr. Wenn er stirbt, soll seine Asche darüber verstreut werden. Nur ist leider niemand mehr hier, um ihm das zu versprechen.

Er sucht den Laden von Jeongguk, Mateos Freund. Es ist die letzte Station zur Einhaltung seines Versprechens vor der Beerdigung.

Der Raum, den Yoongi nun betritt, ist groß und durch die vielen Fenster hell. Das Sonnenlicht, das einfällt, wird von den lackierten Oberflächen einiger Gitarren und Bässe reflektiert, die im vorderen Bereich des Ladens stehen. Für einen Moment kann er nicht anders, als sie fasziniert zu betrachten.

»¿Eres Min Yoongi?«, spricht ihn ein junger Mann an und reißt ihn aus seiner Starre. Bist du Min Yoongi?

Der Angesprochene fährt herum und muss leise lächeln, als er Jeongguk erkennt. Er hat blondierte Haare, zahlreiche silberne Piercings und ein Grinsen auf den Lippen. Er passt zu Mateo.
»Sí«, bestätigt er.

»Estás aquí por el piano, ¿verdad?« Du bist wegen des Klaviers hier, richtig?
Jeongguk fährt damit fort, Spanisch zu sprechen, obwohl sich Yoongi zu erinnern glaubt, dass er auch Koreanisch beherrscht. Scheinbar will er es ihm nicht leicht machen.

»Sí«, wiederholt Yoongi und unterstreicht es mit einem Nicken.
Der Verkäufer grinst wieder, dreht sich um und bedeutet ihm mit einer Geste, zu folgen. Yoongi glaubt, dass Yong-Sun ihn gemocht hätte.

Sie laufen in ein Hinterzimmer, in dem ein dunkelbraunes Klavier steht. Auf dem Weg dorthin hat Yoongi schon die anderen Instrumente bewundert, die ihm zum Teil so fremd sind, aber angesichts des Klaviers, das er nun erblickt, werden alle Gedanken an andere Musik aus seinem Kopf vertrieben. Er hat schon viel zu lange nicht mehr gespielt.

»¿Quieres intentar jugar en él?«, ertönt Jeongguks melodische Stimme und unterbricht seine Gedanken. Willst du ausprobieren, darauf zu spielen?

Diesmal nickt Yoongi nur, ganz ohne eine verbale Antwort. Beinahe ehrfürchtig setzt er sich auf den Lederhocker vor dem Klavier und legt seine Finger auf die gelb gewordenen Tasten. Es ist ein altes Instrument und muss mit viel Vorsicht bedient werden.
Er holt tief Luft, dann bewegt er seine Hände. Zu erst gelingt es ihm kaum, laute Töne zu erzeugen, aber es dauert nicht lange, bis ein Stück wie von selbst aus ihm herausfließt. Yoongi muss nicht nachdenken, um es zu spielen. Es ist Yong-Suns Lieblingslied und er hat es schon öfter gespielt als er zählen kann.

So viel Schmerz es für ihn auch birgt, Jeongguk scheint es zu gefallen. Er lächelt und als es zu einem Ende kommt, applaudiert er ein wenig.
»Estás jugando bien.« Du spielst gut. Es klingt anerkennend.
»Necesitas el piano sólo para una noche, ¿es correcto?« Das Klavier brauchst du nur für eine Nacht, stimmts?

Wieder nickt Yoongi nur. Er kann nicht sprechen; hat das Gefühl, seine Stimme würde die Überreste des Liedes aus seinem Kopf vertreiben und Angst, es dann für immer vergessen zu müssen.

»Mateo dijo, necesitas que lo para un funeral. Puedo transportarlo al cementerio por ti si quieres«, bietet Jeongguk an. Yoongi ist froh, dass er weiter spricht, obwohl er keine richtigen Antworten bekommen hat. Es vertreibt all die Erinnerungen an eigentlich glückliche Momente, die jetzt traurig sind, und hält ihn in der Gegenwart. Mateo hat gesagt, du brauchst es für eine Beerdigung. Wenn du willst, bringe ich es für dich zum Friedhof.

»Gracias«, antwortet Yoongi leise und zwingt sich zu einem Lächeln, wie es Hoseok am vorigen Tag auch getan hatte.
Seine Augen treffen Jeongguks und eine Weile lang sehen sie sich still an. Der junge Mann muss wissen oder mindestens ahnen können, wer gestorben ist. Bestimmt hat Mateo es ihm erzählt. Aber er sagt nichts dazu. Stattdessen fragt er: »¿Puedo ir al funeral? Me encantaría oírte tocar el piano de nuevo.« Kann ich zur Beerdigung kommen? Ich würde dich gern noch mal Klavier spielen hören.

»Con mucho gusto«, erwidert Yoongi, obwohl er nicht wirklich eine Meinung dazu hat. Gerne.
Dann erhebt er sich von dem Hocker, klappt den schweren Deckel zurück über die Tasten und wendet er sich zum gehen, nachdem er für einen Augenblick seine Reflektion auf dem Holz betrachtet hat.

Beim Ausgang schüttelt Jeongguk seine Hand. Die dünne Kette, die um seinen Hals liegt, glänzt in der Sonne, genau wie die Wellen vor den Fenstern.
»Estoy feliz de prestarte el piano. Nos vemos esta noche.« Freut mich, dir das Klavier ausleihen zu können. Wir sehen uns heute Nacht.

Yoongi nickt dankbar. »Hasta la noche«, verabschiedet er sich leise und verlässt den Laden.
Bis heute Nacht.

Eine angenehme Brise zieht durch die Straßen am Hafen, wiegt seine Haarsträhnen umher und verteilt den Geruch von Salz und Leben durch die Stadt. Wenn Yoongi seine Augen zusammenkneift und gegen das Ufer guckt, sieht er Yong-Sun beinahe vor sich. Wie sie dort gestanden hatte, als er sie das erste Mal hier besucht hatte. Mit ihrem Blick auf das weite offene Meer und ihrem Herzen gefüllt mit schierer Glücksseligkeit. Vielleicht hatte sie das Meer noch mehr geliebt als er es tut.

Und dennoch hatte sie sich dazu entscheiden, unter den Bäumen des Friedhofs begraben zu werden. Also kehrt Yoongi den Schaumkronen und Booten den Rücken zu und macht sich auf den Weg zurück.
Er läuft hinein, in die warme Stadt, die Augen suchend nach Jimin. Dann, wenn er ihn gefunden hat, wird er fertig sein. Er wird alles erledigt haben und nichts wird der Einlösung seines Versprechens mehr im Wege stehen. Ein Ende nach Yong-Suns eigenen Wünschen, wo sie doch über so vieles in ihrem Leben nicht selbst hatte entscheiden dürfen.

Yoongi findet den anderen Jungen an dem Brunnen, an dem sie sich zum ersten Mal getroffen haben. Sie verabreden sich für den Abend und dann bleibt für Yoongi nur noch, zu warten.
Der Himmel über ihm ist leer, aber die Erde darunter auch noch. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Yong-Sun ihre Ruhe finden wird.

Die Stunden füllen sich mit einer endlosen Wanderung durch die Stadt und als die Nacht schließlich herein bricht, weiß Yoongi, dass er sie nie wieder verlassen wird. Er wird nicht zurückkehren nach Korea und Tag werden wird es für ihn wohl auch nicht mehr. Aber damit kann er leben. Er versteht jetzt, was Yong-Sun hier her und zum Bleiben gebracht hat. Und er wird es ihr gleich tun, auch wenn er sich nicht sicher ist, weshalb. Vielleicht, weil er sich seiner Schwester hier näher fühlt als er es je zuvor irgendwo getan hat.

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good night, sun ― yoongiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt