„Warte doch bitte!", rief ich flehend, während ich so schnell wie möglich in seine Richtung lief. Als ich das Ende des Flures erreicht hatte, konnte ich jedoch gerade noch beobachten, wie die Tür zum Treppenhaus zufiel.
Mist!
Ohne zu zögern riss ich sie wieder auf und lehnte mich über das Geländer, um zu sehen, wie weit er in der kurzen Zeit gekommen war. Wir befanden uns im vierten Stock und er schien es bereits bis in den Zweiten geschafft zu haben. „Emmanuel! Ich weiß, wie das für dich ausgesehen hat, aber lass es mich bitte erklären!"
Natürlich dachte er überhaupt nicht daran, mich anzuhören. Unbeirrt setzte er seinen Weg ins Erdgeschoss fort, was mich dazu veranlasste, auf dem Weg nach unten jeweils zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Ich musste ihn einfach einholen, bevor wir auf diese Weise auseinandergehen würden.
„Passen Sie doch auf!", tadelte mich eine ältere Touristin empört, als ich sie versehentlich im Vorbeilaufen touchierte. Sie strafte mich zusätzlich mit einem abschätzigen Blick, was ich ihr nicht einmal übelnehmen konnte.
„Tut mir wirklich leid", antwortete ich entschuldigend, hatte allerdings keine Zeit, um ihre Reaktion abzuwarten. Stattdessen rannte ich hinter Emmanuel her, als würde es um mein Leben gehen. Auf eine gewisse Weise tat es das auch, denn ich wollte ihn nicht verlieren. Nein, ich konnte es einfach nicht zulassen.
Als ich das Erdgeschoss schließlich erreicht hatte, stürmte ich aus dem Treppenhaus und blickte mich hektisch um. Es waren einige Touristen in der Lobby, was es nicht gerade einfach machte, ihn wiederzufinden. Allerdings überragte er die meisten Menschen, so dass ich seinen dunklen Lockenkopf schließlich vor dem Eingang ausmachen konnte. Er stand einfach nur auf der Stelle, so als wüsste er selbst nicht, wohin er nun gehen sollte. Barfuß, mit zerzausten Haaren und völlig außer Atem bahnte ich mir den Weg durch die Menschenmenge. Die irritierten Blicke anderer Menschen ignorierte ich dabei. Es war mir schlichtweg egal, was sie von mir hielten. Einzig Emmanuel zählte für mich.
„Bitte! Hör mir nur einen kurzen Moment zu!", keuchte ich verzweifelt, als ich ihn endlich erreicht hatte. Ich stützte meine Hände für einen Moment auf meinen Oberschenkeln ab und versuchte meine Atmung zu regulieren, bevor ich mich schließlich wiederaufrichtete und ihn flehend ansah.
„Es war falsch von mir, dich noch einmal sprechen zu wollen. Dein Platz ist an der Seite von Lucas, das habe ich nun verstanden", erklärte er kopfschüttelnd, während er meinem Blick auswich. Er war verletzt, weil er die Situation mit meinem Exfreund vollkommen fehlinterpretierte. Seine Reaktion war für mich absolut nachvollziehbar. Umso mehr lag mir am Herzen, alles aufzuklären.
„Mein Platz war niemals an Lucas Seite! Das ist mir durch unsere gemeinsame Zeit mehr als deutlich geworden", versuchte ich meine Gefühle in Worte zu fassen. „Das, was du eben beobachtet hast, war ganz anders, als du jetzt wahrscheinlich annimmst."
„Es ist völlig egal, was ich annehme, Charlotte", erwiderte er leise, bevor er seine Lippen aufeinanderpresste und für einen Augenblick resigniert die Augen schloss. Fast so als versuchte er, die Bilder aus seinem Kopf zu verbannen.
„Lucas war in meinem Zimmer, weil er Antworten von mir wollte! Ich habe ihm von unserer Beziehung erzählt", redete ich einfach drauf los und als er mich erneut unterbrechen wollte, dachte ich gar nicht erst daran, es zuzulassen. „Ich habe ihm gesagt, dass ich dich liebe! Er ist emotional geworden und hat sich im Affekt Rotwein über sein Hemd gegossen. Daraufhin hat er sein Oberteil ausgezogen und ist aus meinem Zimmer gestürmt. Dies war genau der Moment, den du beobachtet hast!"
Hatte ich ihm gerade tatsächlich meine Liebe gestanden? Viel Zeit, um über diesen unpassenden Zeitpunkt nachzudenken, gab es jedoch nicht.
„Auch, wenn das die Wahrheit ist, hat unsere Beziehung doch trotzdem keine Zukunft", gab er nach einem Augenblick der Stille wehmütig zurück. Er brachte daraufhin endlich die Kraft auf, mich anzusehen. Als ich einen Schritt auf ihn zumachte und versuchte, seine Hand mit meinen Fingern zu umschließen, wich er sofort zurück. „Bitte nicht. Mach es nicht noch schwerer."
„Du bist zu mir zurückgekommen! Also gibt es einen Funken Hoffnung in dir und du darfst nicht zulassen, dass er erlischt", brachte ich unter leisem Schluchzen hervor, während sich meine Augen langsam mit Tränen füllten. Irgendwie spürte ich bereits, dass dieses Gespräch keine glückliche Wendung nehmen würde.
„Charlotte?", wandte sich Emmanuel plötzlich eindringlich an mich. Er bewegte sich nun doch wieder auf mich zu, bevor er tief einatmete und weitersprach. „Unsere gemeinsame Zeit war kurz und intensiv. Noch niemals habe ich solche Gefühle empfunden, wie für dich. Genau aus diesem Grund gibt es nur eine richtige Entscheidung, dies ist mir gerade klargeworden. Du verdienst nur das Beste und ich kann dir nicht einen Bruchteil dessen bieten, was du bei deiner Familie bekommen kannst."
Es gab kein Halten mehr, warme Tränen bahnten sich den Weg über meine Wangen. Warum schien eigentlich jeder anzunehmen, für mich entscheiden zu können?
„Ich stehe hier und sage dir, dass ich dich liebe! Mich interessiert nicht, was meine Familie mir bieten kann, verstehst du das denn überhaupt nicht?", flüsterte ich erschöpft, während ich mir mit dem Handrücken halbherzig die Tränen aus dem Gesicht wischte.
Mein Körper begann bereits zu zittern, als ich auf eine Reaktion von ihm wartete. Er musste doch das gleiche fühlen, wie ich. Tief in mir war ich mir dessen sicher. Trotzdem ahnte ich bereits, dass er sich bereits anders entschieden hatte.
„Und ich stehe hier und sage dir, dass ich dich niemals vergessen werde. Aber jetzt ist es an der Zeit ‚Auf Wiedersehen' zu sagen", entgegnete er mit einer erschreckenden Entschlossenheit in der Stimme, bevor er sich vorbeugte, um mir einen letzten Kuss auf die Stirn zu hauchen. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich von mir ab und verschwand schließlich zwischen den Touristen, während ich ihm wie paralysiert mit meinen Augen folgte. Selbst als er schon lange nicht mehr in meinem Blickfeld war, stand ich noch immer bewegungslos auf der Stelle.
Es fühlte sich so an, als hätte ich jegliches Gefühl über Zeit und Raum verloren.
Dieses Mal schien unser Abschied endgültig zu sein und mir blieb nichts Anderes übrig, als diese Tatsache zu akzeptieren. Mein Herz gehörte Emmanuel, daran würde sich auch nichts ändern, aber manchmal reichte Liebe allein anscheinend einfach nicht aus.
DU LIEST GERADE
Perfect Getaway.
Teen FictionDie 18-jährige Charlotte Campbell stammt aus einer wohlhabenden Juristenfamilie, wo sich alles stets um Leistung und Status dreht. Als sie kurz davorsteht, ihr Studium an der Harvard University aufzunehmen, wird ihr jedoch klar, dass sie sich nicht...