sechsunddreißig - Gefühlschaos

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Camille McNewson

„Ich habe mich schon gefragt, wann ich das Opfer des Ganzen zu Gesicht bekommen würde", meinte Doktor Marten mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen, als er mich und meine Freundinnen im Türrahmen entdeckte, „Die vollkommen aufgelöste Täterin habe ich schon vor zehn Minuten versorgt. Kommt rein, Mädchen."

Dankbar betrat ich das kleine Behandlungszimmer von dem Doktor, welches ich zum ersten Mal von Grace gezeigt bekommen hatte. „Ich hatte nicht geplant, Sie so schnell schon wieder aufzusuchen, Doktor", sagte ich.

Doktor Marten lachte, als er sich einen Stuhl zu der Liege heranzog, auf der ich Platz genommen hatte. „Das ist wohl bei den meisten meiner Patienten so. Ich bemühe mich immer, es nicht persönlich zu nehmen."

„Da machen Sie sich mal keine Sorgen, Doc. Marten. Wenn Camille es persönlich meinen würde, dann würde Sie es Ihnen sicherlich nicht ins Gesicht sagen. So viel Taktgefühl hat sie", meinte Harlow beschwichtigend, die auf unserem Weg zur Krankenstation zu uns gestoßen war. Sie hatte den eigentlichen Tumult verpasst, da sie mit Lennon eine der ersten Ladys gewesen war, die den Raum verlassen hatten. Schließlich waren die Schreie aber auch zu ihr durchgedrungen.

Der Doktor lächelte. „Es ehrt mich jedenfalls, dass sie gleich vier Zuschauerinnen mitgebracht hat. So unsympathisch kann ich also nicht sein, wenn so viele Ladys mich freiwillig aufsuchen." Er nahm vorsichtig das Taschentuch von meiner Wange und nickte nachdenklich. „Sie hat Sie ordentlich erwischt, was? Aber das bekommen wir schnell wieder hin."

Ich blieb ruhig sitzen, während er den Schnitt desinfizierte und die Wunde vollkommen versorgte. „Es ist wirklich lieb von euch, dass ihr mich begleitet habt, aber ihr dürft ruhig zum Essen gehen. Ihr müsst ausgehungert sein. Ich komme dann einfach nach", sagte ich an meine Begleiterinnen gewandt.

Adria widersprach vehement und gab vor, keinen Hunger zu haben, doch ihr knurrender Magen verriet sie. Solche Drehtage waren nicht nur nerven-, sondern auch kräftezehrend. Wir hatten seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, was auch der Grund dafür gewesen war, dass Harlow und Lennon das Studio so schnell wie möglich auf dem Weg zum Abendessen verlassen hatten.

„Bist du sicher?", fragte Scout und ich nickte lächelnd. Also erhoben sich meine Freundinnen mit einem dankbaren Lächeln und verabschiedeten sich von Doktor Marten.

„Wir sehen uns dann gleich!", rief Adria mir mit einem Blick über die Schulter noch zu und ich winkte ihnen hinterher.

Als wir nur noch zu zweit waren, blickte ich den Doktor an. „Alles klar, da wir nun allein sind, können Sie mir die eiskalte Wahrheit sagen. Wie lang habe ich noch?"

Doktor Marten lachte lautstark. „Es war sehr knapp, aber Sie werden wohl durchkommen."

Grinsend ließ ich auch den Rest der kurzen Behandlung über mich ergehen und hörte mir anschließend eine kurze Lektion über die Wundhygiene und die gebotene Vorsicht an, damit sich der Schnitt nicht wieder öffnete und entzündete. Brav nickte ich alle seine Anweisungen ab und war schließlich frei, den anderen beim Abendessen Gesellschaft zu leisten.

Als ich jedoch kaum zwei Schritte aus der Praxis war, kam mir Lord Daemon entgegen. Als er mich erblickte, hob er überrascht eine Augenbraue, als hätte er vollkommen vergessen, dass ich bei der Aktion seiner hysterischen Exfreundin verletzt worden war. Sofort verschlechterte sich meine Laune und ich blickte ihm missmutig entgegen.

„Hat sie Sie auch noch erwischt?", fragte ich sarkastisch, als wir einander gegenüberstanden. Zu meiner Verärgerung schien er überrascht zu sein, dass ich ihn angesprochen hatte. Wahrscheinlich wäre er einfach ohne einen Kommentar an mir vorbeigelaufen.

The Selection - never give upWhere stories live. Discover now