46. Der schönste und der schrecklichsteTag!

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24. Dezember 1983

Hannelore

Wie so oft in all den Jahren die ich hier gelebt hatte, starrte ich mit großen Augen die zahlreichen Portraits unserer Ahnengalerie an.
Generationen, über Generationen von erfolgreichen Geschäftsmännern, Familienoberhäupter, Patriarchen und in der Mitte der vielen Gemälde, das Familienwappen,......eine geöffnete, goldene Schere auf Himmelblauen Grund.
Nur eines suchte man hier vergeblich...!
Die Frauen und Kinder...der dort Abgebildeten.
Tja sofern es sich nicht um männliche Erben handelte, waren alle anderen eben nicht relevant....zumindest nicht in dem Sinne, um bildlich repräsentiert zu werden.
Dies hatte mir meine große Schwester Elvira schon sehr früh und sehr anschaulich erklärt.

"Pass gut auf Hanni,.....!" hatte sie mir damals gesagt, als ich gerade ein mal sieben Jahre alt war und wir vor der Bildergalerie standen.
".... für unseren "Vater" sind wir eine riesengroße Enttäuschung und weißt du auch warum?"
Ahnungslos hatte ich meinen Kopf geschüttelt und sie mit großen Augen angesehen.
"Weil wir Mädchen sind Hanni und in seinen Augen deshalb nichts wert, außer für eine einzige Sache.....Erben zu produzieren. Männliche Erben natürlich!
Und deshalb werde ich, sobald ich es kann,....hier verschwinden und ich rate dir, es genauso zu tun! Versprichst du mir das Hanni?"

Selbst als kleines Kind war mir schon die Kälte und Ablehnende Art unseres Vaters uns gegenüber aufgefallen, hatte dies aber stets damit verbunden irgendetwas falsch gemacht zu haben.....und versuchte daher immer brav zu sein und meinen Vater nicht zu enttäuschen.....bis ich eben erfuhr, das allein meine Existenz schon Enttäuschung genug war.

"Ja Vivi.....das mache ich.....versprochen!"

hatte ich ihr ernst geantwortet.....und später noch mehr Details erfahren.

Nämlich.....das unsere Mutter.....eben dies nicht war.
Elvira's Mutter war, nachdem meine Schwester geboren worden war, noch viermal schwanger geworden und hatte jedesmal eine Fehlgeburt erlitten.
Als sie ein weiteres mal daraufhin schwanger wurde, traten solch starke Komplikationen auf das sie und das Kind, der langersehnte Sohn,.....bei der Geburt verstarben.
Ein halbes Jahr später, heiratete unser Vater wieder....die gerade mal volljährig gewordene Tochter eines Geschäftspartners.......!
Wahrscheinlich war unser Vater in dem Glauben,......eine viel jüngere Frau als es Elvira's Mutter es gewesen war, würde ihm seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen, nämlich ihm endlich seinen Stammhalter zu schenken....doch stattdessen bekam er...mich!

Alle weiteren Versuche scheiterten jedoch und so fand er sich schließlich Zähneknirschend damit ab, doch keinen Sohn zu bekommen und setzte stattdessen darauf, einen passenden Schwiegersohn zu finden, der das Familienimperium in seinem Sinne weiterführen würde, bevor es möglicherweise noch, an weiter entfernten Familienmitglieder fallen konnte.

Ein knappes Jahr nach diesem aufklärenden Gespräch, fand unser Vater durch puren Zufall heraus das Elvira nicht nur so überhaupt gar kein Interesse am Erhalt der Familiendynastie hegte, sondern auch niemals irgendein Interesse an potentiellen heiratswilligen Herren der feinen Gesellschaft haben würde.

Eines Tages zwei Wochen vor dem achtzehnten Geburtstag meiner großen Schwester, war er früher als gedacht von seiner derzeitigen Geschäftsreise zurückgekehrt und begegnete auf seinem Weg durch das Haupttor unseres Anwesens, einem seiner Heiratskandidaten der ihm äußerst beleidigt mitteilte, das ihm auf's übelste mitgespielt worden wäre.
Im Klartext hieß das, das er bei Elvira gnadenlos abgeblitzt war.
Alle Überredungskünste meines Vaters schlugen fehl.....der junge Mann war nicht umzustimmen und brauste mit seinem schicken Sportwagen umgehend davon.

Wutschnaubend platzte unser Vater wenig später in Elvira's Zimmer,.....und das Desaster nahm seinen Lauf.....denn was er dort vorfand,.....trieb seine bis dahin schon hochkochende Wut, in Schwindelerregende Höhen.

Die Fremde im Zug  BAND 9Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt