Kapitel 3

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Ich werde durch das Klingeln meines Handys wach. Verschlafen setzte ich mich auf und greife danach. „Hallo?", brumme ich und streiche mir die Haare aus dem Gesicht.

„Hi. Hier ist Merlin." Im Gegensatz zu mir macht er einen sehr wachen Eindruck. Leicht gereizt stöhne ich auf. Wie zum Teufel kam er auf die bescheuerte Idee, mich mitten in der Nacht anzurufen?

„Merlin, hast du schon mal auf die Uhr geschaut? Wir haben halb fünf!" Ich muss mich bemühen nicht hysterisch zu werden, denn ich möchte nicht, dass meine Eltern aufwachen.

„Wie gut, das morgen Sonntag ist." Ich kann förmlich hören, wie Merlin grinst. Idiot!
„Also, warum rufst du mich an? Und dann auch noch so spät?", entgegne ich genervt und schalte meine Stehlampe ein, die gleich neben meinem Bett platziert ist.

„Naja, ich habe mein Handy wieder gefunden und habe mir gedacht, ich könnte dich ja mal anrufen."

Ich atme ein und aus und versuche mich nicht aufzuregen. Aber mich mitten in der Nacht grundlos zu stören wäre für mich schon ein Motiv, Mord zu begehen. Ich bin kurz davor, einfach aufzulegen, aber anscheinend fällt Merlin doch noch ein richtiger Grund ein.

„Du erinnerst dich sicherlich noch an Freya?" Wie sollte ich auch nicht? Immerhin habe ich sie gestern erst kennengelernt und so vergesslich bin ich dann auch wieder nicht.
„Sie ist wunderbar, aber ich glaube, es war ihr neulich auf der Party alles zu viel." Merlin hört sich ziemlich verzweifelt an und wenn er mich wegen einem Mädchen anruft, muss ihm echt was an ihr liegen.

„Wie meinst du das?", hake ich nach und bin plötzlich hellwach. „Ich meine, bis auf Artemis haben wir uns doch all gut benommen." Und selbst Artemis konnte sich halbwegs zurück halten, füge ich in Gedanken hinzu.

Kurz habe ich das Gefühl, dass Merlin aufgelegt hat, weil er mir nicht antwortet. „Können wir uns vielleicht treffen?", fragt er dann schließlich und das so leise, dass ich Mühe habe, ihn zu verstehen. Ich würde gerne mit einem Ja antworten, doch es ist Dunkel draußen und meine Eltern wäre alles andere als begeistert, wenn ihnen mein verschwinden auffallen würde.

„Merlin", sage ich deshalb vorsichtig, doch er unterbricht mich: „Elena, bitte. Du wohnst doch eh im Keller, oder nicht? Da kommst du doch unbemerkt raus. Bitte." Seine Stimme zittert und wie gern würde ich ihn jetzt umarmen.

Ich schaue zu dem kleinen Fenster rüber, das auf gleicher Höhe mit dem Hintergarten ist. Als kleines Kind bin ich etliche Male dort hinausgeklettert, damit ich nicht die Haustür benutzten musste. Ein kleines Lächeln ziert mein Gesicht, als ich an diese unbeschwerten Tage zurückdenke. Damals wussten wir noch nicht, wie schmerzhaft die Liebe manchmal sein kann. Wie waren glückliche Kinder und fühlten uns unendlich. Und nun bin ich fast volljährig. In guten drei Jahren darf ich legal Alkohol trinken und Merlin muss nicht mehr für uns diese Art von Einkäufen erledigen. Auf einmal macht mir das alles Angst. Ich werde bald die High School beenden und anschließend studieren, neue Menschen kennenlernen und meine Freunde vielleicht aus dem Auge verlieren.

Und all diese Gedanken zwingen mich dazu, mich doch heimlich raus zu schleichen, um für Merlin da zu sein. „Okay", sage ich mit fester Stimme und voller Entschlossenheit, „wo treffen wir uns?"

Merlin schlägt das Red Bar vor, eine kleine Kneipe, die rund um die Uhr geöffnet hat. Ich bin sofort dabei, denn das Red Bar spielt nicht nur gute Musik, sondern hat auch leckeres Essen und eine nette Bedienung.

„Bis gleich", verabschiede ich mich und lege auf. Dann schiebe ich einen Stuhl an die Wand, öffne das Fenster und klettere hinaus. Es ist eine laue Nacht und ich atme tief ein. Ich laufe hinaus auf die Straße; kein Auto ist zu sehen und mache mich auf zum Red Bar. Der Weg dorthin ist nicht wirklich weit. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es in fünfzehn Minuten dort zu sein.

Als ich die kleine Kneipe erreiche, wartet Merlin bereits auf mich. Er raucht mal wieder und sieht ziemlich mitgenommen aus. Seine Augen sind gerötet und die Haare nicht wie sonst perfekt gestylt. Zur Begrüßung umarme ich Merlin. Er raunt mir ein leises „Danke" ins Ohr.

Schweigsam betreten wir das Red Bar. Aus einem Lautsprecher singt Elvis Presley gerade Burning Love. Ich mag das Lied.

Merlin und ich setzten uns an einem Tisch weiter hinten im Raum. Es ist nicht wirklich viel los. Nur ein Mann und eine Frau, die sich verliebt angucken sitzen an der Bar und trinken etwas. Ansonsten ist niemand da.

Die Bedienung, ein Mann, den ich auf Anfang fünfzig schätze, kommt an unseren Tisch und fragt, was wir trinken wollen.

„Eine Cola bitte", sagt Merlin und mich wundert es, dass er sich nichts mit Alkohol bestellt. Der Mann nickt, schreibt die Bestellung auf und schaut dann mich an. „Für mich auch eine Cola." Vielleicht überlebe ich den Tag, wenn ich genügend Koffein zu mir nehme. Auch mir nickt der Mann zu und schlurft dann zurück zum Tresen.

Ich spiele eine Weile mit einem versifften Bierdeckel rum, der auf dem Tisch liegt. Es ist unangenehm, wenn Merlin so schweigsam ist.
„Also, was ist jetzt?", frage ich daher und schaue ihm tief in die traurigen Augen.

und mittendrin sind wirHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin