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Yannik Kroeger


Unglaublich, wie normal hier alles aussah. In Anbetracht dessen, wo ich mich befand, beinahe wie ein wohnlicher Raum. Neben der Zimmertür –gut drei Meter von ihr entfernt – befand sich eine kleine Sitzecke, mit zwei Sesseln. Beide aus Leder, einer in Gelb und einer in Rot. Zwischen ihnen stand ein modisch metallischer Kaffeetisch, auf dem eine Tischblume blüht. Weitere Pflanzen dekorierten in den Ecken, auf Regalen und auf dem gegenüber stehenden Schreibtisch. Die Wände wurden in ihren Lachsfarben erhellt, von der hereinscheinenden Sonne. Neben dem Schreibtisch erstreckte sich ein breites Bücherregal zur Decke, in dem sich verschiedene Ordner befanden. Ich war mir sicher, sie für Patienten offen stehenzulassen war selten, dämlich. Andere, könnten sich während der Wartezeit langweilen und herumschnüffeln wollen – so wie ich. Doch die waren mir egal. Ordner voller Probleme, mir unbekannter Menschen. Beginne ich mich um die Probleme anderer zu kümmern, bedeutete es, meine eigenen haben für mich keine Priorität. Doch das hatten sie. Was mich jedoch lockt, wer hinter dem Namen Frau Steiner steckte. In der ersten Minute hier hielt ich sie schon einmal für eine gutgläubig und fröhlich Person. Vielleicht auch naiv. Vorausgesetzt natürlich, sie hatte sich ihr Büro selbst eingerichtet, wo von ich ausging. Ich hoffte mehr über sie vom Schreibtisch zu erfahren, auf dem mir ein Bilderrahmen den Rücken zuwand. Direkt ging ich auf diesen zu und brachte dabei die Dielen unter den weichen, braunen Teppich zum Knarren. Wie vermutet. Ein Familienfoto. Von ihrem Mann, der Tochter und der Psychologin selbst. Sehr wahrscheinlich wusste sie bereits einiges über mich, aufgrund der Akten und doch gab mir dieser Fund das Gefühl ihr vorraus zu sein. Ich wusste nun, sie hat eine Familie, ist etwa fünfundfünfzig Jahre alt und wirklich verdammt naiv. Im Ernst. Hatte sie keine Sorge davor, jemand könnte es gegen sie verwenden? Vielleicht hatte sie es aber auch absichtlich hier hingestellt, um eine Art Vertrauensbasis zu schaffen, in der Zeit, in der sie nicht da war. Wir reden jetzt nicht miteinander, aber das da bin ich. Mit einem leisen und Mark erschütternden quietschen, öffnete sich die Tür. Es war zu spät so zu tun, als wäre ich ein vorzeige Patient, weshalb ich das Bild langsam absetze und sie unbekümmert ansah. Sollte sie ruhig wissen, was ihre Klienten, während ihrer Abwesenheit trieben. Vielleicht wäre es ihr auch eine Lehre. Das Foto war allem anscheinen nach etwas älter. Die Frau, die vor mir steht, hatte deutlich mehr Falten unter einem schlecht gemachten Make-up versucht zu verstecken. Ihre Haare waren schwarz gefärbt... oder sind sie auf dem Foto blond gefärbt? Nein, schwarz. Es sah zu kraftvoll aus für ihr Alter und mit dem zweiten Blick, wirkte sie mit der Farbe nur noch älter. Eine Frau, die siich also schön und jung halten wollte, aber keine Ahnung hatte wie. Das grinsen, was sie mir zuwarf, wirkte echt... echt gut ein studiert. Sie blieb etwa in der Mitte des Raumes stehen. Ihre Atmung ging ungewöhnlich schnell.
„Tut mir leid, dass du warten musstest, Yannik. Setzt dich doch bitte." Ich gab mir Mühe, ihre Tonlage zu verstehen, doch sie klang für mich einfach nur leise. Es war kein Flüstern, aber die Kraft dahinter fehlte. Zu gerne wollte ich glauben, sie fühlte sich verunsicher von meiner Schnüffelei. Doch ihre Bewegungen blieben zu flüssig. Entweder erwischte sie öfters andere beim Herumlungern oder sie rechnete damit. Vielleicht doch nicht so naiv?
„Schon gut, ich hätte auch länger warten können." Und dies meinte ich auch so. Ein offen stehendes Foto alleine war zu wenig, um es als schnüffeln zu bezeichnen. Ich ging an der Psychologin vorbei, zur Sitzecke und setzte mich auf den roten Sessel, hinter dem das Regal stand. Der gelbe befand sich an der Wand zur Ecke. Ich ging davon aus, dieser ist für die Patienten vorgesehen. Gefangen in der Ecke wie eine Spinne im Netz unter prüfenden Blicken. Ein Grund, den gelben zu meiden. Sie wartete ab wo ich mich hinsetzte, verzog aber keine Miene. Schade. Ihr prüfender Blick löste sich und dann eilte sie zum Schreibtisch, richtete penible genau das Foto und rüstete sich schließlich mit einer Akte, Notizblock und Stift aus. Ich beobachtete sie dabei, während ich überlegte, ob sie nervös oder gestresst war, so aufgeregt sie sich mit mal bewegte. Dann setzte sie sich in den gelben Sessel und breitete sich auf dem kleinen Tisch aus.
„Wie geht es dir? Hast du dich gut eingefunden?" Ich schnaubte verächtlich aus.
„Können wir den Smalltalk teil überspringen?"
„Oh... ähm... klar. Ja natürlich. Aber mich würde es wirklich interessieren." In ihrer Stimme konnte ich jetzt einen leicht französischen Akzent raushören, der zuvor unterging, ab jetzt aber unüberhörbar blieb. Kurz fragte ich mich, ob sie von meiner Mutter beauftragt wurde, was unmöglich war.
„Ich bitte Sie. Sie wollen doch nur, wie jeder andere hier wissen, ob ich schuldig bin oder nicht."
Zwar schüttelte sie ihren Kopf, aber mit ihrem leichten räuspern gab sie mir zu verstehen genau richtig zuliegen. „Ich werde hier kein Geständnis abliefern, falls Sie es sich erhofft haben."
„Wenn du kein Smalltalk magst, dann antworte wenigstens mit Ja oder Nein, um ein paar Fakten abzugleichen. Ginge das?" Mit dem Schulterzucken gab ich ihr eine vage Antwort.. Es kam eben darauf an, was für Fragen. Ich war gewählt, auch zu lügen, wenn es sein musste. Meine Geste nahm sie aller anscheinend als Ja auf, da sie direkt begann.
„Also. Du heißt Yannik Kroeger?" Ich nickte.
„Bist am 9. März 2004 geboren und damit siebzehn Jahre alt?" Sie schaute von der Akte hoch und mich abwartend an, also nickte ich erneut.
„Du lebst seit der Scheidung deiner Eltern, bei deinem Vater?" Das stimmte so nicht ganz, wenn aber offiziell schon, weshalb ich wieder nickte.
„Bis vor kurzem besuchtest du die Abschlussklasse der Albert-Schweizer Schule?" Eine erneute stumme Zustimmung meinerseits folgte. Sie klappt zu meiner Überraschung die Akte zu und legte sie auf den Tisch. Wusste sie nicht mehr? Erneut eine Taktik, als wolle sie sagen Mich interessiert deine Vergangenheit nicht. Beginnen wir unvoreingenommen.? Nein, das ergab keinen Sinn. Während ich darauf lauerte, was als Nächstes kommt, schien sie genau so abzuwarten.
„Ähm... war es das? Kann ich wieder gehen?" Durchbrach ich die Stille und bekam dasselbe einstudierte Lächeln wie zuvor.
„Du wolltest keinen Smalltalk und denkst, ich will ein Geständnis von dir. Ich schätze, du hast ein genaues Bild davon, was wir hier machen. Also lasse ich dir die Führung." Ernsthaft? Das war ihre Methode? Doch sie hatte recht, ich wusste bereits worüber ich reden wollte. Nicht aber direkt mit ihr, einer Psychologin, sondern einfach, weil ich in den letzten Tagen keinen zum Reden hatte. Ziemlich beschissen, wenn man zu den lauten Denkern gehörte, die Bestätigung brauchten.
„Weiß ich ja. Ich muss nachdenken. Wenn sie also einfach nur still sein würden." Sich den Mund verbieten zulassen gehörte wohl nicht zu ihrer Gleichung. Auf ihrer Stirn entstanden mehr Falten als ohne hin schon.
„Ich werde aber mit schreiben." Sollte mir recht sein. Ich brauchte sie zum Nachdenken, um auf Antworten zu kommen, wie ich hier her geraden konnte. Solange sie also leise schrieb, sollte es mir recht sein.
„Gut. Wie auch immer." Unwillkürlich griff ich nach meinem Handgelenk, nur um meine Hand wieder senken zu lassen. Ich vermisste das Lederband. Meine Uhr.

a case for madnessWhere stories live. Discover now