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„Das ist doch komplett bescheuert." Zu sehr darauf konzentriert, nicht auf dem Dickicht bedeckten Abhang herunterzurutschen, antwortete ich Rachel nicht. Unter mir, kein Meter entfernt ragte ein Vorsprung aus Wurzeln hervor. Prüfende Blicke folgten, als ich beschloss, dass er stabil aussah und mich behutsam auf diesen runter schlittern ließ. Glück gehabt, das Wurzelkonstrukt war stabil genug. Ich nutze diese paar Sekunden, um Luft zu bekommen, während ich nach oben sah. Gefühlt waren wir schon den ganzen Tag auf den Weg nach unten, doch waren wir bisher nicht weit gekommen. Sechs, vielleicht sieben Meter. Wobei der Anfang am schwersten war. Der Abhang begann mit einer geraden nach unten, als hätte sich die Erde dort geteilt. Lediglich Büsche und dünne Bäume, zogen eine grenze rum. Ein Blick unter mir bestätigte, dass es ab jetzt schräg abwärts ging. Für drei Herzschläge überlegte ich, ob es nicht einfacher wäre, sich von hier an runter zu rollen. Doch die umgefallenen Bäume, Äste jeder dicke und vereinzelte Felsen, die etwa so hoch waren wie meine Beine lang, machten wagemutige Aktionen zu einer dummen Idee. Ich sah neben mir zu Rachel, die gerade in ihrer schlanken Figur einen von den dünnen Bäumen versuchte zu erreichen. Ihre Konzentration war ihr dabei klar anzusehen. Neugierig ob sie es schaffte, beobachtete ich sie. Und es gelang ihr, wenn auch sehr ungeschickt. Mit dem Rücken lehnte Rachel sich gegen den Stamm und sah in den Himmel, eher sie die Augen schloss. Ihre Lippen begannen sich zu bewegen und ich vermutete, dahinter ein leises Gebet. Dann öffnete sie ihre Augen und wand sich mir zu. Rachels Augen verengten sich und auf ihre Stirn entstanden tiefe Falten. Ich konnte nicht anders als zu grinsen.
„Was? Steigt dir das Adrenalin zum Kopf?" Mit einer Kopfbewegung für ein Nein holte ich zwei tiefe Atemzüge.
„Vergiss nicht, das hier war deine Idee."
„Meine? Ich kann mich nicht daran erinnern, gesagt zu haben. Hey Yannik, lass uns vermisste Tiere suchen und dabei unser Leben aufs Spiel setzten." Sie war sauer. Eindeutig. Und gerade deshalb fand ich es so amüsierend.
„Nein. Aber du wolltest die vermissten Tiere suchen und warst der Meinung, sie sind im Wald. Es kommt auf dasselbe hinaus."
„An einem See oder so. Nicht zum Abgrund der Hölle." keifte Rachel und ich sah erneut runter. Nun gut, es sah nicht besonders einladend aus, aber wie zur Hölle? Außerdem waren wir doch auf dem Weg zu einem Bach.
„Willst du dich weiter beschweren? Ich frag nur, dann würde ich es mir hier bequemer einrichten." Rachel machte mit ihrer Hand eine Andeutung darauf, als würde sie etwas nach mir werfen wollen. Ich war mir sicher, wenn sie was zum werfen gehabt hätte, wäre es auch geflogen. Dabei war sie sonst immer sehr friedliebend... Noch ein Grund es, neben meiner eigenen Erschöpfung lustig zu finden. Rachel wand sich so weit um den Baum, dass sie noch immer sicher gegen diesen gelehnt stehen konnte, aber jetzt auch den bevorstehenden Weg sehen konnte. Sie seufzte.
„Gab es keinen einfacheren Weg?"
„Doch, aber der hätte länger gedauert. Außerdem sah er von da oben nicht so schwer aus." Das sah es wirklich nicht, sonst hätte ich Rachel sicher auch nicht dazu bringen können, mit hinunterzuklettern. Sie bereute es sicherlich so eben, mir vertraut zu haben. Da war sie aber auch nicht die einzige.
„Gott bitte, lass mich hier heil runter kommen." Ich schmunzelte erneut. Gleichzeitig nahm ich es als Startsignal, weiterzuklettern. Ich hielt mich an den Wurzelgestrüpp fest und tastete mit einem Fuß nach einer Stelle, die sich stabil anfühlte. Von da aus ging es weiter. Meine Arme und Beine zogen, schrien das sie keine Lust mehr hatten. Mein Schweiß auf der Stirn mischte sich mit dem frischen Aprilwind und kühlte mich weiter ab. Auch wenn mir in meinen Klamotten heiß war, waren die frei gelegten Hautpartien wie Hände und Gesicht, eiskalt. Allmählich wurde es sichtbar, dass ich weiter vorankam. Der Boden kam immer näher. Immer wieder steuerte ich ein sicher aussehendes Hindernis an, holte an diese Luft, überlegte mir mein weiteres vorgehen und kletterte so weiter. Selbiges machte auch Rachel. So ging es eigentlich ganz gut, wenn es nicht dennoch so anstrengend gewesen wäre. Ich stieß etwas fester gegen den letzten Stein und lehnte mich gegen. Geschafft. Nur noch ein kleiner Hopser, dann wäre ich wieder auf geradem Untergrund. Und auch wenn ich mich wirklich danach sehnte, brauchte ich einfach was gegen meinen Rücken. Ich suchte Rachel, die inzwischen recht weit von mir entfernt war. Natürlich, die Natur hatte nicht bedacht, dass zwei Teenager hier irgendwann mal runter wollen, demnach hat sie sich auch nicht so aufgebaut um uns zusammen zu halten. Etwa fünf Meter trennten uns und er war auch noch ein Stückchen höher als ich. Gerade sah ich, wie er erneut auf einen dünnen Baum zu rutschte und halt fand. SIe war ziemlich schmutzig, doch ein Blick an mir runter, bestätigte nur, dass es unausweichlich war. Da hörte ich es mit einem Mal laut rascheln, als würde ein großes Tier auf mich zu stürmen, gefolgt von Fluchen. Ich erkannte Rachels stimme und sah von meiner schmutzigen Hose wieder auf, in ihre Richtung. Doch da, wo sie zuvor noch stand, war sie nicht mehr. Stattdessen sah ich Rachel im Blickwinkel auf dem Pfad liegen. Ich drückte mich vom Stein ab und schlitterte auf dem Weg, während ich rüber rief.
„Yo. Bist du okay?" Sie bewegte sich nicht, also ging ich langsam auf sie zu. Währenddessen überlegte ich mir bereits, was ich tun sollte, wenn Rachel blöd aufgekommen ist. Sie blieb weiter ruhig. Ich setzte zum laufen an, da erhob Rachel sich plötzlich und setzte sich hin. Sie lebte und ich spürte eine wohl eher unangebrachte Erleichterung. Wir kannten uns gerade einmal seit etwa drei Monaten, wobei das nicht so ganz richtig war. Wir gingen bereits seit zwei Jahren in dieselbe Klasse, hatten aber bis vor kurzem kaum miteinander geredet, erst seit dem sie mich aus dem Nichts angesprochen hatte. Jedenfalls gehörte es nicht zu meinem Plan, wegen jemanden, mit der ich gerade erst anfing, Zeit zu verbringen, in Schwierigkeiten zu geraten. Und ein Wald, an so einer ablegenden Stelle würde Probleme bedeuten, wenn sie tot gewesen wäre.
„Verdammt, das tut weh." Murmelte sie, sobald ich in hör weite war.
„Hast du dich verletzt?" Meine Frage kam zeitgleich zu meinen prüfenden Blicken während ich um ihr rum ging, wobei ich da vor allem auf den Kopf, Rücken, Nacken achtete, kein Blut vorzufinden.
„Ich weiß nicht. Ja? Man mir schmerzt alles." Ich konnte hinten nichts sehen und auch vorne war kein Blut.
„Kannst du aufstehen?" Wenn ja, ist wenigstens auch die Wirbelsäule unbeschadet. Rachel zuckte mit den Schultern, was mich schon einmal beruhigte. Wohl keine Schäden. Somit reichte ich ihr meine Hand. Rachel griff mit ihrer rechten Hand nach meiner und zischte.
„Ich glaube, ich habe mir mein Handgelenk gebrochen." Rachel wirkte, als würde sie sich gerade die Tränen verkneifen.
„Was ist mit der anderen?" Etwas zögerlich, griff sie mit ihrer linken Hand nach meiner und zog sich hoch. Das ging wenigstens. Jetzt wo Rachel stand und ich mir keine Gedanken machen musste, sah ich hoch und versuchte abzuschätzen, von wo aus wir gestartet waren.
„Shit. Ich denke, die ist echt gebrochen."
„Besser als die Wirbelsäule oder der Kopf." Nuschelte ich. Ich glaubte, unseren Ausgangspunkt gefunden zu haben, sah auf den Weg und nickte in die Richtung.
„Wir müssen da entlang. Zum Glück sind wir nicht so weit vom Weg abgekommen."
„Yannik, ich will wirklich lieber zu einem Arzt."
„Dann gehe. Soll ich dann Fotos machen, wenn da keine Tiere sind? Oder was brauchst du um mir zu glauben?" Damit ging ich vor und Rachel kam mir nach.
„Ist das dein Ernst? Bist du so davon besessen, dass ein Mörder die Tiere entführt hat, dass dir alles andere egal ist?" Ja. Ich blieb stehen und sah sie an.
„Also was? Sollen wir jetzt zurück und morgen wieder her kommen? Also gut." Genervt ging ich den Weg weiter. Rachel folgte mir auch weiterhin.
„Ja. Den im Gegensatz zu dir glaube ich nicht daran." Ich schwieg, doch Rachel schien gerade erst anzufangen. Ich hörte ihr kaum zu. Hin und wieder begann sie mich zu beleidigen, aber meine Konzentration galt dem Wald. Von dieser Seite aus, war es schwerer, sich zu recht zu finden. Früher war ich oft hier und kannte mich daher gut aus. Vor etwa vier Jahren aber zogen wir auf die andere Seite. Mit dem Umzug und der tatsche, dass ich kein Grund hatte alleine hier herzukommen, war ich seither zwei, höchstens dreimal hier. Wir erreichten eine Gabelung, an der ich mich mit kurzen Blicken umsehen musste. Schließlich bog ich recht ab. Mit einem Mal wurde ich an der Schulter gepackt und taumelte etwas nach hinten. Rachel. Sie sah alles andere als glücklich aus. Zwar hatte sie ihre Hand bereits wieder weggenommen, doch die Kraft, mit der sie mich packte, war noch immer zu spüren.
„Wenn es hier nicht raus geht..." Sie ließ ihren Satz unbeendet. Das sollte wohl auch so bleiben.
„Was dann?" Die Hundert Dollar Frage so wie sie mich ansah. Ihre Körperhaltung fiel in sich zusammen. Vermutlich, weil Rachel nichts hatte, womit sie mir Drohen konnte.
„Sag einfach, dass wir auf den Weg raus sind." Ich schnalzte mit der Zunge in einer Bewegung als würde ich gerade einen Kaugummi im Mund bewegen und setzte meinen Weg fort.
„Ja. Wir sind auf den Weg raus." Verzögert zu meinen Schritten begann Rachel sich nun auch wieder in Gang zu setzten. Ich bereute es, mit ihr hier her gekommen zu sein. Wobei wir überhaupt erst ihretwegen hier waren. Doch das hatte Rachel allem Anschein nach, bereits komplett vergessen. Rachel holte mich ein und ich konnte im Blickwinkel sehen, wie sie sich ihren Arm stütze. Man konnte es auch übertreiben.
Der Himmel begann bereits zu dämmern. Auch wenn die Tage inzwischen länger gingen. Solange ich noch sehen konnte, wo ich auftrat, sollte es mich recht sein.
Dann sah ich endlich den See. Mein Tempo erhöhte sich und ebenso auch Rachels.
Die Erderwärmung und die Umweltverschmutzung von vorbei laufenden Spaziergänger, hatten den See nicht kaltgelassen. Zumindest war der Wasserspiegel in meiner Erinnerung deutlich höher gewesen. Auch die Erddünen um den See wirkten auf mich höher. Es sah aus, wie eine Miniaturausgabe einer Berglandschaft aus Vogelperspektive.
„Du verdammter Arschloch." Fragend drehte ich mich zur Seite. „Ich habe ehrlich schmerzen und trotzdem hast du nur dein Stolz im Auge? Das sieht für mich nicht aus wie der Ausgang. Du hast mich..." Ich hob eine Hand, die sie zum Schweigen brachte. „Fünf Minuten und du bist draußen. Kannst schon einmal vorgehen." Rachel folgte, mit ihren Augen, meinem Finger. Peinliche Stille. Sie hob ihren Finger und spiegelte somit meine Haltung.
„Fünf Minuten?" Bestätigend nickte ich. „Oh." Rachel senkte ihre Hand und ich tat es ihr gleich.
„Wenn ich irgendwas finde, gebe ich dir morgen beschied." Damit wand ich mich wieder dem See zu und suchte nach irgendwelchen Spuren. Auch wenn ich bei den Pfadfindern gewesen war, reichte mein hängen gebliebenes Wissen höchstens noch zum Feuer machen. Über Spuren lesen hatte ich keine Ahnung mehr. Dennoch hoffte ich, etwas zu entdecken, was irgendwie weiter half. Doch nichts. Nicht auf den ersten Blick. Hohes Gras und vereinzelte Bäume wuchsen zwar auf den Erhöhungen und Äste, Stämme lagen hier rum, aber nichts, wo ich mich als Hauskatze verstecken würde. So begann ich um den See herumzulaufen. Besonders groß war er nicht. In zehn Minuten hätte ich ihn umkreist. Rachel folgte mir und ich warf ihr einen schnellen ,,was willst du?,, Blick zu. Sie deutete ihn richtig.
„Nun... wenn der Ausgang fünf Minuten entfernt ist, dann halte ich es noch fünf weitere aus."
Kann sie sich mal entscheiden? Ich nickte. Wir fanden nichts. Nicht einmal ein Vogel war in der unmittelbaren Umgebung zuhören, nur aus der Ferne wie ein verstummendes Echo. Auf der anderen Seite hingegen blieb ich stehen.
„Okay. Du musst nichts sagen. Du hast recht. Hier ist nichts." Ihre Worte stimmten mich gerade aber nicht glücklich. Stattdessen ging ich in die Hocke und sah mit zusammen gekniffenen Augen in den Hügel rechts. Von dem wir gerade kamen.
„Kannst du von hier erkennen, was das ist?" Es dauerte ein paar Sekunden eher Rachel sich neben mir hockte.
„Was meinst du? Ich kann gar nichts sehen." Ich deutete darauf.
„Ich meine das Graue unter dem Gestrüpp." Wieder verschwendete ich einige Sekunden nur um mitgeteilt zu bekommen, sie könnte nichts erkennen. Also seufzte ich und forderte Rachel auf, hier zu warten. Ich ging die Schritte zurück, über den Punkt, an dem ich zu glauben meinte, was gesehen zu haben. Doch mit dem plumpen Blick nach unten fand ich nichts. Dafür war einfach zu viel im Blickfeld. Super. Wenn es so weiter ging, könnte ich über Bergsteigen als Hobby nachdenken. Ich überprüfte eine dünne, biegsame Wurzel. Zog und bog fest an ihr und beschloss, sie wird mich gut halten. Mit ihrer Hilfe kletterte ich dann den Hügel runter. Es war deutlich schwerer als der todbringende Abhang von vorhin. Hier war die Erde viel aufgewühlter und feuchter. Nicht nur einmal verlor ich daher den halt unter meinen Füßen. Rachel rief quer hinter mir, ich solle Vorsichtig sein. So eine Klugscheißerin. Zu meiner Freude befand sich ein kleiner Vorsprung weiter unten, auf den ich mich gleiten ließ. Ich sah mich etwas um und fand das graue Ding eine Armlänge neben mir. Aus der Ferne hätte ich gedacht, es wäre so was wie ein Rohr, ein Abfluss oder so. Aber aus der Nähe sah es viel heller aus und mehr bläulich als gräulich. Wie konnte ich es überhaupt für Metall halten? Nun war ich aber hier und ich wollte wissen, was es ist. Ich fand mit einer Hand halt im Gras. Auch wenn es mich nicht halten würde, war das Gefühl halt zu haben, mehr wert als gar nichts. Dann machte ich mich lang und meine Fingerspitzen der rechten Hand berührten das etwas. Es fühlte sich seltsam hart und weich zugleich an und sobald ich daran etwas rüttelte, kamen die ersten klein Tiere zur Flucht raus. Ich rüttelte weiter daran, drehte es, versuchte alles, um es unter dem Gewicht der Erde zu befreien. Zwar wurden die Bewegungen leichter, doch egal wie sehr ich daran zog, tat sich nichts. Tief Luft geholt und ich trat dichter an den Rand des Vorsprungs, um mit beiden Händen dran zu ziehen. Rachels Unterstützung bestand erneut aus Rufe zur Vorsicht. Mit einem Mal gab der Widerstand nach und die Hand löste sich. Ich fand gerade noch mein Gleichgewicht, um nicht ins Wasser zu fallen. Warte was? Ich hatte wirklich eine Hand in der Hand. Vor Schreck ließ ich sie fallen und wich nach hinten. Ich konnte spüren, wie mir die Farbe wich und mein Magen sich verkrampfte. Es knackte und dann stürzte ich mit der nachgebenden Erde und meinem Fund.
„Yannik!" Hörte ich gefolgt von einem stechenden Schmerz in meinem Ellenbogen der auf einen Stein traf. Irgendwo zwischendrin machte ich eine halbe Rolle und dann traf ich im Wasser auf. So dumm ich auch war, mich nicht auf das unausweichliche vorzubereiten, sog ich vor Schreck nach Luft und bekam eine gute Menge des Wassers in die Lunge. Dann spürte ich den Boden, auf dem mein Hintern zuerst aufkam. Ich drehte mich und stieß mich hoch. Das Wasser ging mir gerade einmal bis zum Becken. So niedrig war der See damals wirklich nicht. Ich sah die Leichen blasse Hand neben mir schwimmen und griff danach. Wasserblasen entstanden um die Hand und sie begann unterzutauchen, was mir seltsam vorkam. Und das war es auch. Jetzt, wo ich sie wirklich wahrnahm, mir richtig ansah, stellte ich fest, sie war nicht echt. Wie auch bei Rachel vorhin, war ich erleichtert, über den ersparten Ärger, den mir eine Hand eingebrockt hätte. Doch soviel aufwand für so ein olles Plastikteil? Da hätte ich den Ärger bevorzugt. Jetzt durfte ich klitschnass einmal durch die Stadt. Was für ein beschissener Deal. Ich drehte mich zu Rachel um und wich erneut einen Schritt zurück. Sie stand nicht mehr an Ort und Stelle wo ich sie zurückgelassen hatte. Sondern genauso pitschnass wie ich, direkt vor mir. Ihr Gesichtsausdruck beförderte sie direkt auf meine potenzielle Serienkiller-Liste.
„Habe ich nicht gesagt, du sollst aufpassen?" Mit der Stimme brachte es sie auf meine Top Zehn... auch wenn ich noch nicht soviel hatte.
„Du bist mit rein gesprungen? Wieso? Das Wasser ist doch nicht so tief." Ich widerstand dem Bedürfnis mir mit den Fingern den eklig, modrigen, Salzgeschmack des Wassers von der Zunge zu scherben.
„Glaubst du, ich wäre es, wenn ich gewusst hätte, dass selbst meine Badewanne tiefer ist?"
„Ach echt? Du musst eine coole Wanne haben." Doch darum sollte es wohl nicht gehen. Als Antwort bekam ich ein Schwall Wasser ins Gesicht.
„Die Kälte zieht meine Gedärme zusammen und du kannst noch blöde Witze reißen?" Ein Witz sollte es eigentlich nicht sein. Ich fragte mich wirklich, was für eine Wanne sie haben musste, wenn das Wasser tiefer war. Trotzdem zuckte ich nur mit den Schultern. Rachels Stimmung, die sonst so unerschütterlich war, verschwand mit dem Moment endgültig. Dies stellte sich als ziemlich angenehm heraus. So still hatte ich sie bisher selten erlebt. Ein Prozess für sich war hingegen hier wieder raus zu kommen. Da Rachel weiterhin darauf bestand, ein gebrochenes Handgelenk zu haben, war ich es der sie raus zog. Zwischenzeitlich dachte ich sogar, sie machte sich extra schwer. Ich rechnete damit, Rachel sage wenigstens so was wie ,,Das Loch hier sollte man absperren,, aber es kam nichts. Wie übergossene Pudel gingen wir nachhause. Zu der Hand, die ich beschloss, mit zunehmen, sagte sie nur sie sei hässlich. Was aber keine Einladung zu einer Diskussion war, weshalb ich auch dazu schwieg.

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Ich blieb still und sah an die Lachsfarbende Wand, neben der Psychologin und dachte über diesen Tag nach. Überlegte, ob es schon da anfing, alles außer Kontrolle zu geraten. Daher erschreckte ich mich auch, als Frau Stein sich bewegte.
„War es die Hand, die..." Schnell hob ich meinen Finger an den Mund. Erfolgreich ließ es sie verstummen.
„Keine Änderungen in den Zeitraffer." Flüsterte ich, als sehen wir uns ein Film im Kino an. Mehr sagte ich allerdings nicht. Die Psychologin wartet geduldig, doch irgendwann war ihre Geduld über strapaziert.
„Also Yannik. Wenn es heute nichts weiterzureden gibt, würde ich die Sitzung jetzt beenden." Damit sah ich mich nach einer Uhr um, fand aber keine. Nicht einmal eine Armbanduhr an ihrem Handgelenk. Ich nickte.
„Als Hausaufgabe für das nächste mal möchte ich das du dir Gedanken darüber machst, wie man mit seinen Freunden umgeht."
Ich mache kein Geheimnis daraus, mein Unmut zu zeigen, auch wenn ich erneut nickte, sprach meine Stirn und der entflohende Seufzer für sich. Was dachte sie sich dabei? Dann erhob ich mich und ging zur Tür.
„Ah und Yannik? Danke das du mir so sehr vertraust, mir alles zu erzählen." Eine Frau, die eindeutig an selbst Überschätzung litt. Ohne zu widersprechen, schenkte ich ihr eines meiner unechten lächel und gehe durch die Tür. Auf der anderen Seite warteten bereits zwei dieser glatzköpfigen Typen auf mich, die ich mir viel besser als Türsteher eines Bordells vorstellen konnte. Ab hier wurde es auch wieder viel dunkler. Dunkle Holzverkleidungen an den Wänden, bis zur Hüfthöhe, dann ging es weiter mit grau. Rotes Licht schimmerte von den Decken und gab dem ganzen eine Atmosphäre wie in einer Dunkelkammer. Zumindest wenn man von den metallischen Türen absah, die sich alle in einem drei Meter Abstand befanden. Vereinzelt nahm ich Geräusche wahr, die wohl von anderen Menschen stammen. Doch was genau diese Geräusche verursachten entzog sich meiner Vorstellungskraft. Sie waren leise, mal so was wie ein Kratzen und dann wieder wie ein Wimmern. Zu dumpf um genau deuten zu können, welche Beabsichtigung dahinter steckte. Der Gang selbst schien endlos. Bevor ich das Ende eines Ganges ausmachen konnte, bogen wir auch schon ab. Abzweigungen fanden sich ebenfalls in gleichmäßigen Abständen und sorgten dafür, schnell meine Orientierung über Bord zu werfen. Eins stand fest. Wo auch immer ich mich befand, war so gebaut, um einen Ausbruch so gut wie unmöglich zu machen. Unmöglich, wenn man niemals aus der Zelle raus kam. Wobei der kurze Weg zur Psychologin auch keine Anhaltspunkte lieferte, wo sich der Ausgang befinden könnte. Und ich suchte, wirklich. Wie schon auf den Weg zu Frau Steiner. Schließlich blieben wir vor einer Tür stehen, die von einem der glatzköpfigen Türsteher geöffnet wurde. Wie konnten sie hier die Orientierung behalten? Gab es Hinweise, die ich übersah? Wurde ihnen das Konstrukt eingetrichtert? Ich setzte an zufragen, doch da schnappte mich der zweite am Nacken. In voller Ungeduld stieß er mich in meine Zelle - zumindest nahm ich an, in meiner zu sein. Dann schloss sie sich. Im Gegensatz zu Frau Steinerts Bürotür, war diese absolut leise. Im wiedergefundenen Gleichgewicht richte ich mich auf und sah an die kahlen stellen. Jap, das war meine. Direkt am ersten Tag schaffte ich es einen Steinklumpen aus der Wand zu ziehen, so groß wie meine Fingerkuppel des kleinen Fingers und schrieb an die Wand ,,Fuck y,, dann brach der Stein. Seufzend ließ ich mich auf den genauso kahlen Boden fallen. Ein Ort, an dem man nur Depression bekommen konnte. Selbst so jemand wie ich.

a case for madnessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt