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Ich muss hier raus, das ist klar. Doch wie soll ich hier drinnen etwas ausrichten? Es gibt kein Fenster, die Tür ist massives Eisen ohne einen Türgriff auf meiner Seite und auch ein Lüftungsschacht war nirgends zu sehen. Den muss es aber geben. Da war ich mir beinahe sicher. Besonders Morgens kann ich die kühle Luft riechen, von der Nacht gereinigt. Doch habe ich hier schon alles abgeklopft, ohne etwas zu finden. Ich drücke mein Rücken fester an die eisige Mauer und mit langgestrecktem Bein ziehe ich das Bettlacken ohne Decke drinnen, zu mir. Stur blicke ich auf die Wand vor mir. So langweilig. Alles hier ist so langweilig und aussichtslos. Meine einzige Beschäftigung bleibt daher, weiter über die Geschehnisse nachzudenken.

Tatsächlich war Rachels Handgelenk gebrochen, wie sich am nächsten Tag herausstellte. Wenigstens hatte sie sich über Nacht abgeregt und kann darüber witzeln, sie fühle sich wie Hulk, mit dem Grünen verband drum. Sie versuchte zwischenzeitlich auch Steine kaputt zuhauen und damit die Standfestigkeit ihres Gipses zu testen. Stein und Gips blieben etwa gleich auf. Dazu durfte ich mir immer wieder anhören, wie ihre Mutter beinahe in Sorge ausbrach. Rachels Reise ins Krankenhaus hielt sie ebenfalls für ein reines Abenteuer, das immer wiederholt werden konnte. Ich hatte bereits beim ersten Mal kaum was dazu gesagt, doch inzwischen nickte ich nur noch oder summte verstehend. Was aber mein größtes Unglück, dafür ihr größtes Glück war... sie erhielt Aufmerksamkeit. Zunächst von unseren Klassenkameraden, dann von den Parallelklassen. Die Geschichte veränderte sich auch mit der Zeit und so dachte inzwischen jeder, wir wären die weißen Ritter, für die verschwundenen Tiere. Na klasse. So vergingen einige Tage, in denen ich mit jenen sprechen musste, die zu weit weg von Rachel standen und mir irgendwas aus dem Ärmel zog. Immerhin konnte ich schlecht sagen, wir wären im Wald gewesen, um Rachel zu beweisen, in unserer Stadt läuft ein Psycho herum. Na ja konnte ich schon und wenn ich mir noch einmal anhören würde, wie toll wir wären, würde ich es auch tun. Ja, ich war frustriert. Die ganze Aufmerksamkeit nur für Rachel, die zu blöd zum Klettern war. All das vor geheuchelte Interesse. Aber vor allem, weil seit der Stadler Farm keine neuen Meldungen kamen. Sollte es vielleicht doch nur bei diesem einen Mal bleiben? Konnten Mörder zu Beginn so geduldig bleiben? Von Tag zu Tag verlor ich zunehmend an Hoffnung. Der einzige Trost war, wir konnten an den Tischtennisplatten stehen. Mit einem guten Grund, weil die anderen uns hier haben wollten. Das musste Aaron akzeptieren und ich... ich konnte in aller Ruhe das Mädchen im Auge behalten. Leider war mir ihr Name noch immer unbekannt. Bisher gab es noch keine Gelegenheit, die richtigen Menschen nach ihren Namen zu fragen oder gar, wer sie war. Diejenigen die ich zwischendurch fragen konnte waren ihr auch unbekannt, klar, wenn sie das Mädchen kaum ansahen dabei. Die unbekannte war stärker auf Aaron fixiert als ich zunächst dachte. Zwischendurch hatte ich sogar das Gefühl, sie achte darauf, wie er atmete, um es im selben Takt zu tun. Einfach nur unheimlich und verrückt. Zugegeben, ich fand sie schön. Sehr schön sogar. Ihre geheimnisvolle Ausstrahlung zu Beginn, schwand mit jedem Tag und jedem Blick mehr und wurde von einer Stärke ersetzt, die ich nicht ganz einzuschätzen wusste. Doch bis auf ihr aussehen war ich nicht weiter.
Täglich grüßt, das Murmeltier fand seine Fortsetzung zu Hause. Zumeist begrüßte mich Ramona bereits mit fertigem Mittagessen, welches ich versprach am Abend anzufassen. Abends bestellte ich mir dann was während den Hausaufgaben und kurz vor dem zu Bett gehen. In der Zeit dazwischen durchsuchte ich das Internet, nach irgendwelchen Ereignissen in der Stadt. Die gab es auch, zur Genüge. Osterevents, Raubüberfälle, Kakerlaken Skandale in Restaurants. Das Interessanteste war ein Suizid fall am Bahnhof. Eine sechsundzwanzig jährige Frau, allein erziehende Mutter. Allem Anschein nach war der Grund Depressionen. Unter dem Artikel gab es viel Mitgefühl zu den Eltern und den beiden Kinder. Doch auch das war so weit weg von dem, was ich suchte und lesen wollte.

So schlichen die Tage an die Osterferien ran. In der Woche danach, ließ der Trubel um uns allmählich nach und ich fand mich und Rachel zunehmend auf der Wiese wieder, wenn wir in den Pausen raus gingen. Es war ärgerlich aus der Ferne zu beobachten. Zumal es so auffälliger war. Ein kleiner Teil wünschte sich dahingehend wieder die Aufmerksamkeit zurück.
„Sag mal... Weißt du, wer das ist?" Es war ein ungünstiger Moment, da Rachel gerade dabei war, verzweifelt ihr Thema für Geschichte zu suchen. Aber ich gab ihr genug ausreden bisher.
„Hm? Wer?" Ich nickte direkt vor mir auf dem Baum unter dem, das Mädchen stand. Wie jede Pause versteckt im Schatten. „Ach das. Das ist Svenja."
„Aaah." Was hätte ich auch sonst sagen sollen? Svenja also. Einen unpassenderen Namen für sie gab es wohl nicht.
„Sag nicht... Du findest sie toll?" Meine Hand begann unwillkürlich mein Nacken zu massieren, auf der Suche nach etwas, was ich Antworten könnte.
„Interessant trifft es wohl mehr." Rachel steckte sich ihr Handy in die Hose und nahm ihre bekannte Sonnen-Liege Pose ein. Mit dem Gips sah es weniger locker aus als sonst, aber sie schien es bequem zu finden.
„So bescheiden. Lüg mich nicht an. So wie du sie angaffst, stupsen deine Augen sie schon bald an." Mist. Ich ließ mein Nacken los und sah zu Rachel.
„So ist es nicht. Ehrlich."
„Hm. Klar. Kein Wunder, dass du keine Freunde hast. Ein paar Gespräche über Frauen würde dein Image mal aufpolieren."
„Pff. Wie soll ich mit einer Frau über Frauen reden? Das endet nur in einem Konkurrenzkampf und das wiederum nervt mich. Sie ist hübsch ja, aber sonst ist da wirklich nichts."
Rachel verzog ihre Stirn, bis tiefe Falten entstanden, die sich mir bisher nie gezeigt hatten.
„Hast du den Frauen als Freunde? Bis auf mich?"
„Nein. Sonst nicht." Schweigen entstand. Rachel sah mich weiterhin an, als würde sie etwas sagen wollen. Da sie aber kein Ton von sich abgab, versuchte ich mich in ihre Pose. Es war unangenehm und immer wieder fand ich ein Stock unter meinen Arm, die sich zu vermehren schienen, wenn ich einen Weg nahm. Wie konnte sie immer so sitzen? Rachel musste bereits Hornhaut an den Armen entwickelt haben. Da der heutige Tag der bisher wärmste in diesem Monat war und die Sonne so hell schien als würde diese die Erde begrüßen, schloss ich meine Augen. Der Geruch von gemähten Rasen stieg mir in die Nase und die Welt um mich drum wurde zunehmend stiller. Selbsterklärend, dass es meiner Inneren ruhe zu schulden war, die alles Weitere ausblendete. Zunehmend stieg das Bedürfnis, eine Runde zu schlummern.
„Wenn ich einschlafe d.. Hmpf.,, Etwas, mit der Kraft eines scharf geschossenen Balls von einem Profispieler, traf auf meine Seite ein. Die Stelle begann direkt an, heftig zu pochen. Mit jedem pochen schmerzte es mehr. Es ging so schnell, selbst meine Augen waren noch geschlossen. Eher ich sie öffnete, hielt ich meine Hand auf die Rippen gedrückt, als würde ich so den Schmerz dämmen und dann sah ich Rachel. Sie stand direkt über mir, ihre gesunde Hand geballt – und sicher auch die eingegipste bereit bei einem falschen Wort, einer falschen Bewegung erneut zu zutreten.

a case for madnessWhere stories live. Discover now