0 1 | s c h w e i g e n d e r ä u m e

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s o p h i e

ICH WÜRDE NIE wieder auf meine Freunde hören.

Zu dieser Einsicht war ich nun gekommen, doch wie es sich herausstellte, kam sie zu spät. Ich saß bereits in einer Bar, eine Portion Pommes vor mir und ein Typ, dessen Augen den Bildschirm über der Theke verfolgten neben mir.

Wir hatten bisher vielleicht zehn Sätze gewechselt, dabei saßen wir bereits dreiundvierzig Minuten und zwanzig Sekunden auf den Hockern an der Theke. Woher ich das so genau wusste? Weil wir zum Anpfiff gekommen waren und die erste Halbzeit gerade am Auslaufen war. Es waren bereits zwei Tore gefallen und wie sich herausstellte, hatte Micah die eine Sache, die ich nie wieder in einem Mann haben wollte, gekonnt ignoriert. Einen Fußballfan.

Mit einem Seufzen griff ich nach einer weiteren kalten Pommes und versuchte, meine Augen so gut es ging vom Fernseher fernzuhalten. Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, die Sportart zu ignorieren, so gut wie es während der Saison nur ging. Aber ich hatte meine Rechnung nicht mit meinen Freunden gemacht, die mich aus der Wohnung lotsen und in die Arme eines Fremden treiben wollten.

Es war Micah gewesen, der dieses Date arrangiert hatte. Wie sich herausgestellt hatte, teilten wir einige Interessen, die uns verbanden. Wie eine Vorliebe für Pollock, denselben Modegeschmack und ein Faible für Männer, die uns die Herzen brachen.

Doch jetzt musste ich überlegen, ob ich diese Freundschaft nicht doch noch einmal überdachte. Wenn er einen Typen für mich herauspickte, der mich auf dem ersten Date in eine Sportsbar schleppte, dann hatte Micah seine Aufgabe wohl doch nicht ganz so gut verstanden. Oder er hasste mich noch immer, weil ich ihm bei unserem letzten Treffen gesagt hatte, er würde in seinem schwarzen Rollkragenpullover kombiniert mit einer Goldkette wie The Rock aussehen.

Der Abpfiff ertönte und ich griff erleichtert nach meinem Bier. Fünfzehn Minuten Ruhe. Über die Theke hinweg warf der Barkeeper mir einen mitleidigen Blick zu. Vielleicht wäre er für dieses Date die bessere Wahl gewesen. Doch dann fiel mir ein, dass er in einer Sportsbar arbeitete und den ganzen Tag über von Fußball umgeben war. Ich ließ den Gedanken ganz schnell wieder fallen.

"München ist auf einem echten Zerstörungstrip", brummte mein Date, Leon, mit einem zufriedenen Lächeln. "Jung aufzukaufen war die beste Entscheidung seit Haas. Der Junge holt uns noch den Pokal, glaub mir das."

Ich wollte schnauben, nicht nur, weil mein Exfreund mich selbst auf meinem ersten Date nach unserer Trennung noch verfolgen musste, ohne sich auch nur im Geringsten anzustrengen, sondern auch, weil ich mir sicher war, dass Leons Einschätzung bestimmt so verlässlich war wie die eines Profis. Jeden Abend vor dem Fernseher zu sitzen und fünf Jahre in der Kreisliga zu spielen, qualifizierten ihn seiner Meinung nach wohl zu solchen Aussagen. Aber ich konnte ihm sicherlich glauben, wenn er das doch sagte.

"Also, Leon", versuchte ich, das Gespräch doch noch auf ein anderes Thema umzulenken. Wer wusste schon, vielleicht war er hinter all dem Macho-Gehabe doch mein Traummann, der mich über die Trennung hinwegbrachte und mich wieder für die Welt öffnete. Man sollte ein Buch niemals aufgrund des Einbands beurteilen. Vielleicht war sein Interesse für Fußball eben jener Einband, den ich gekonnt ignorieren musste. "Was machst du beruflich?"

Das war das schlimmste am Daten. Ellenlanger, unbedeutender Smalltalk, der sich so hohl anfühlte, wie er mich auch zurückließ. Wie alt bist du? Woher kommst du? Was ist deine Lieblingsfarbe?

"Ich bin beim Finanzamt", entgegnete er und riss seinen Blick endlich vom Flachbildschirm weg. Das erklärte das schrecklich langweilige Hemd, das nicht richtig saß. Vielleicht doch nicht mein Traummann. "Was ist mit dir?"

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