3 2 | h e r k u l e s a u f g a b e

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r o b i n

MEIN PULS RASTE, der Kies unter meinen Schuhsohlen knirschte und der Maihimmel schien plötzlich zugezogen, obwohl noch strahlender Sonnenschein geherrscht hatte, als wir in den Wagen gestiegen waren. Sophie hatte sich in meiner Armbeuge eingehakt, den Blick auf die verschiedenen Steinplatten gerichtet, die wir auf unserem Weg passierten.

Niemand von uns hatte ein Wort gesprochen, seitdem wir aus dem Auto gestiegen waren. Ich, weil ich zu nervös war, um auch nur einen Satz hervorzubringen, Sophie, weil sie aussah, als würde sie bereits jetzt mit den Tränen kämpfen. Ein Wort und der Damm, den sie so sorgsam aufrecht zu erhalten versuchte, würde vermutlich brechen.

Sie führte mich auf eine abgelegene Grünfläche, weg von den anderen Grabmälern, die aus dem Gras hervorragten. Ich war bisher nicht oft auf Friedhöfen gewesen. Meine Großeltern lebten noch. Ich konnte mich nur an die Beerdigung meines Großonkels erinnern, den ich nur zweimal kennengelernt hatte. Ich war vielleicht fünf gewesen, von meiner Mutter in schwarze Kleidung gesteckt worden und hatte die Beisetzung stumm verfolgt, nicht wirklich bewusst, was vor meinen Augen gerade geschah. Aber ich erinnerte mich an das Schluchzen der Frau meines verstorbenen Familienmitglieds, das mich unwohl auf der Kirchenbank hatte herumrutschen lassen. Seitdem hatte ich nicht mehr sehr viele andere Erfahrungen mit Friedhöfen gemacht und wenn ich ehrlich war, war mir das recht gewesen.

Aber jetzt standen wir hier, vor einer Denkmaltafel, die größer war als die normalen Grabsteine. Statt einem Namen war ein Satz eingraviert, der mich meine Schritte verlangsamen ließ.

Hier ruhen die Kinder, die das Licht nie sahen. Die Kleinsten der Kleinen.

Mein Blick fiel auf die Grabkerzen, die bemalten Gedenksteine und Schnuller, die sich zu Fuße des Steines sammelten. Mit einem Mal wurde mir klar, wie viel Trauer sich vor mir sammelte. Wie viele verlorene Zukünfte, Träume, Hoffnungen unter diesem Stein begraben lagen. Dass ein Teil von mir und Sophie unter dieser Erde ruhte, sich unter der Tafel verbarg, direkt zu unseren Füßen.

Verzweiflung packte mich in einer stählernen Faust, zu wissen, dass es nur eins von vielen war, die dort vergraben lagen. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie viele schon vor ihr beigesetzt worden waren. Wie viele noch folgen würden. Wie viele Eltern, die doch keine geworden waren, genau dort standen, wo Sophie und ich gerade waren. Fußstapfen, die niemand füllen wollte und die es schließlich doch wurden.

„Warst du schon hier?", fragte ich an Sophie gewandt, deren Blick ebenfalls auf der Ansammlung an Erinnerungsstücken haftete.

Ihre dunklen Augen wanderten für einen Sekundenbruchteil zu mir. Ich erkannte die Trauer, die sich in ihnen sammelten nur zu gut. „Einmal", gestand sie und vergrub ihre Hände tiefer in ihren Jackentaschen. „Ich habe eine Kerze mitgebracht und angezündet."

Ich wollte mir nicht vorstellen, wie sie allein und trauernd hierhergefahren war, an einen Ort, der sowieso schon hoffnungslos genug war. Dass sie hilflos über dem Grabstein gestanden und daran gedacht hatte, dass ich nicht hier war. Dass sie auch diese Sache allein auf ihren Schultern getragen hatte.

Meine Finger wanderten in meine Jackentasche, schlossen sich um das kleine Stofftier, das sich dort befand und zogen es schließlich hervor. Mein Griff verfestigte sich etwas, als ich einen weiteren Schritt auf die Gedenktafel zumachte, in die Hocke ging und den Bären neben einer Kerze und einem der bemalten Steine ablegte. Ich fuhr mit den Fingerspitzen über das weiche Fell, dachte daran, dass unser Kind nicht einmal so groß geworden war wie ein verdammtes Kuscheltier in Schlüsselanhänger-Größe und kniff die Augen zusammen.

„Es tut mir leid", murmelte ich an niemand bestimmten gewandt. „Ich hätte dich mit allem geliebt, was ich habe, Lani. Das musst du mir glauben. Auch wenn ich dich nie kennengelernt habe – ich hätte dich so sehr geliebt."

weltschmerz | ✓Where stories live. Discover now