3 1 | g e w i c h t s t e m m e n

3.7K 326 10
                                    

r o b i n

NACH EINER WOCHE in München packte Sophie ihre Koffer ein weiteres Mal. Dieses Mal jedoch mit dem Ziel, ihre Wohnung zu kündigen und die wichtigsten Dinge nach München mitzunehmen, bis wir wussten, wo wir ihre restlichen Sachen verstauen konnten.

Übergangsweise würde sie zu mir ziehen. Forster hatte keinen Widerspruch eingelegt, als ich ihn dem Vorschlag unterbreitet hatte. Vielleicht, weil er sich fühlte, als würde er Verbündete in seinem engen Umfeld gebrauchen können, die nicht nur von den Schlagzeilen sprachen, die er in letzter Zeit gemacht hatte.

Ich hatte jedoch nicht vor, ihm allzu lange auf der Pelle zu sitzen. Ich hatte noch ein Jahr, das ich auf jeden Fall in München sein würde. Wenn mein Vertrag verlängert wurde, vielleicht sogar noch mehr. So oder so wollte ich etwas Eigenes, etwas, in dem Sophie sich ausbreiten und malen konnte, ohne sich auf ein Studio verlassen zu müssen, in dem sie sich insgeheim nicht mehr sicher fühlte.

Forster, der noch immer das Training aussetzte, erinnerte mich daran, dass ich mich dringend bei meiner eigenen Mutter melden musste. Kurze Textnachrichten und verpasste Anrufe reichten nicht mehr aus. Nicht, wenn ich das Gefühl bekam, der schlechteste Sohn der Welt zu sein und befürchtete, dass sich das auch nicht mehr ändern würde.

Meine Mutter nahm beim dritten Klingeln ab.

„Robin?" Sie klang besorgt, beinahe panisch. „Ist irgendetwas passiert?"

Mein Schuldgefühl erdrückte mich beinahe. Es saß auf meiner Brust wie eine riesige Steinplatte, die ich allein nicht mehr beiseiteschieben konnte. „Nein, es ist alles in Ordnung. Ich wollte mich nur mal melden."

„Oh." Die Überraschung war ihr deutlich anzuhören. „Das ist toll. Wir haben schon eine ganze Ewigkeit nichts mehr von dir gehört. Aber du bist ja auch viel beschäftigt. Das Champions League Finale nächsten Monat beansprucht dich momentan vermutlich voll und ganz..."

Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich Einspruch einlegen wollte. Die Champions League forderte unser Team momentan tatsächlich bis an seine Grenzen, ganz zu schweigen vom Pokalfinale, das ebenfalls nächsten Monat anstand. Doch wenn ich ehrlich war, hatte ich in den letzten Wochen weniger Gedanken an einen möglichen Sieg verschwendet, als mir lieb war. Ich wollte gewinnen, aber noch mehr wollte ich endlich das Gefühl haben, anzukommen. Die Vorahnung, dass das erst passieren würde, wenn Sophie hier bei mir war, hatte mich langsam aber sicher beschlichen.

„Tut es", erwiderte ich kleinlaut. „Aber ich hätte mich trotzdem melden sollen."

Meine Mutter schwieg, beinahe als wäre sie überfordert mit der Entschuldigung, die schon längst überfällig war. „Jetzt habe ich dich ja am Telefon, Schatz. Was machst du heute noch?"

An ihrem Tonfall erkannte ich, dass sie wohl erwartete, dass ich noch einen Abstecher in eine Bar oder eins der Restaurants plante, in die Inès mich immer geschleppt hatte. Jetzt schien mir die Vorstellung, meine vier Wände noch zu verlassen wie eine Qual, wenn ich stattdessen auch mit Eispacks auf der Couch liegen und eine Serie schauen konnte. Immerhin würde ich dann morgen früh fit sein, wenn mein Wecker wieder vor Sonnenaufgang klingelte.

„Es wird vermutlich ein eher ruhiger Abend", gestand ich, während mein Blick auf eine Haarklammer fiel, die Sophie auf dem Couchtisch hatte liegen lassen. Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus. Ich liebte es, dass sie ihre Spuren hier hinterließ. Dass es etwas gab, das mich daran erinnerte, dass sie wiederkommen würde. In ein paar Tagen würde sie bereits wieder hier neben mir sitzen, ihr kupferrotes Haar auf der grauen Couch ein so lebendiger Kontrast, dass es mein Herz zum Stolpern brachte. Zusammengerollt und mit ihren Beinen über meinen Schoß, während ihr vermutlich bereits um kurz nach neun die Augen zufielen. Die Vorstellung machte mich so glücklich, dass ich sie nicht für mich behalten konnte. „Sophie ist gerade gegangen."

weltschmerz | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt