KAPITEL EINS

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Triggerwarnung: Solltest du sensibel im Bezug auf homophobe Gedanken und Taten reagieren, dann überspringe das Kapitel bitte!

„Papa?", dumme Idee. Wieso tat ich das gerade? Ich sollte einfach auf der Stelle umkehren, wieder zurück in mein Zimmer gehen und das alles hier vergessen. Aber ich konnte nicht. Wie festgefroren stand ich immer noch an der selben Stelle, wie vor ein paar Minuten noch.

„Hm.", grunzte er mir zu während er weiterhin in seine halb leere Kaffeetasse starrte und halbherzig ein Kreuzworträtsel in der Zeitung ausfüllte.

Okay, ganz ruhig. Jetzt oder nie. Während die eine Hälfte meines Gehirns mir insgeheim zurief dann lieber nie bewegte die andere Hälfte meinen Mund ohne mein Zutun dazu sich zu öffnen.

„Ich möchte dir etwas sagen... es ist mir sehr wichtig. Also bitte höre mir ganz kurz zu...", mein Beine zitterten vor Nervosität und hätte ich meinen Kiefer vor Anspannung nicht so zusammengebissen würden mit Sicherheit auch meine Zähne klappern.

„Bevor du irgendetwas sagst: Ja, ich bin mir sicher, dass ich das, was ich dir gleich erzählen werde, auch so meine. Ich denke darüber schon seit Jahren nach und je älter ich werde desto mehr macht es mir zu schaffen und ich weiß einfach nicht mehr, was ich tun soll. Ich fühle mich so schrecklich einsam damit und mit jedem Tag wird es irgendwie schwerer so zu tun, als wäre nichts und wenn ich jetzt nichts sage dann drehe ich durch.", meine Stimme zitterte und die ersten Tränen standen mir schon in den Augen.

„Ich stehe auf Mädchen.", mit einem lauten Aufatmen schloss ich meinen Mund. Hätte ich Freunde, denen ich vertrauen könnte, hätte ich es zuerst mit ihnen geteilt. Würde mein Bruder noch zu Hause wohnen, hätte ich es ihm zuerst gesagt. Würde meine Mutter noch hier leben, wäre ich damit zuerst zu ihr gegangen. Ich hätte es es jedem lieber erzählt, als Papa. Aber es war niemand hier, mit dem ich hätte reden können. Papa war der einzige, der mich in den Arm nehmen könnte, um mir zuzuhören. Ohne ihn war ich allein mit meinen Gedanken, die viel zu oft stärker waren, als mein Selbstvertrauen.

Mein Bruder studierte in der nächsten Großstadt und kam nur selten, wenn er mal frei hatte und nicht wie verrückt lernen musste. Aber selbst, wenn er Semesterferien hatte blieb er lieber dort, als hierher zurück zu kommen und ich verstand es. Ich verstand nur zu gut, weshalb er nicht hierher wollte. In diese kleine Stadt voller kleiner Menschen und trauriger Erinnerungen. Mama hatte uns alleingelassen als ich vier war. Im Grunde hat sie uns zurück gelassen. Sie und Papa haben sich scheiden lassen. Danach ist sie weggezogen. Ich weiß noch ganz genau, dass ich unsere kleine Familie geliebt habe, weil wir alle so glücklich zusammen gewesen waren. Doch vielleicht war das die ganze Zeit über nur eine schöne Illusion gewesen und ich hatte es in meiner kindlichen Freude nicht begreifen können.

Nach der Trennung hatte Papa sich verändert. Es war schwierig mit ihm geworden. Er hatte keinen guten Job und wir hielten uns nur gerade so über Wasser. Das lag phasenweise vor allem daran, dass er hunderte von Dollar für Alkohol ausgab, den er dann abends in sich hinein schüttete, wenn er dachte, ich wäre schon im Bett. Doch ich sah die leeren Flaschen im Mülleimer und ich roch den beißenden Gestank seines Atems. Aber ich hatte immer gewusst, dass er mich dennoch über alles liebte. Es war nur schwieriger geworden, nicht unmöglich.

Mindestens war ich mir bis gerade eben sicher gewesen, dass es so war. Aber jetzt wagte ich nicht vom Boden aufzusehen, voller Angst er könnte diesen enttäuschten Blick haben, mit dem er mich immer ansah, wenn ich mal wieder mit einer schlechten Arbeit von der Schule kam (was in letzter Zeit sogar für meinen Geschmack viel zu oft geschah). Mit schnell pochendem Herzen zwirbelte ich weiterhin nervös an einem Faden herum, der sich aus dem Saum meines viel zu groß geratenen Pullis gelöst hatte.

Teenage YearsWhere stories live. Discover now