23. Rückkehrer

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| Sechs Monate später |

Das Jahr 1923 war ein dunkles Jahr für die Shelbys. Tragödien ließen Familien oft wieder näher zusammenwachsen, doch in diesem Fall lief es anders.

Ada war schon seit Jahren diejenige, die Distanz zu ihrer Tante und ihren Brüdern wahrte. Sie war genug damit beschäftigt, Karl großzuziehen. Seine Herkunft konnte ihm in dieser Gegend früher oder später ohnehin in die Quere kommen. Solange es jedoch in ihrer Macht stand, wollte sie ihren Sohn beschützen.

Ada hatte für Tommy da sein wollen, als er am Boden war. Doch spätestens als er das Glas nach ihr geworfen und beinahe Karl erwischt hätte, war wieder einmal eine Grenze überschritten worden.
Inzwischen lag dieser Vorfall jedoch fast ein Jahr zurück. Zwangsläufig hatte sie zwischendurch eine Menge Zeit mit ihrer Familie verbringen und mit ihnen zusammenarbeiten müssen.

Es war viel passiert und nichts davon war gut. Und so gern Ada Tommy oder den Rest ihrer Familie auch unterstützt hätte und gerne jetzt noch helfen würde, war sie mit ihrer eigenen Trauer und ihrem eigenen Leben ausgelastet genug.

Umso überraschter war sie, als plötzlich ein unangemeldeter Gast vor ihrem Haus in London stand.
Mit Karl auf dem Arm sah sie aus dem Fenster, als sich eine junge Frau der Vordertür näherte. Noch vor drei Monaten hätte sie an dieser Stelle Alarm geschlagen und die Peaky Blinders hätten das gesamte Gebäude abgesichert. Inzwischen war die Gefahr jedoch eliminiert und trotz des flauen Gefühls, das bei überraschenden Gästen noch blieb, siegte die Neugierde.

Mit gerunzelter Stirn lief Ada von Fenster zu Fenster und verfolgte die Frau in dem braunen Mantel mit ihrem Blick. Ein Hut verdeckte ihr Gesicht, doch Ada glaubte erkannt zu haben, wer sich gerade eben auf den Weg zu ihr machte.

Noch ehe sie klingeln konnte, eilte Ada bereits zur Tür und öffnete. Und tatsächlich bestätigten sich ihre Vermutungen: Alice Blackham stand auf ihrer Türschwelle und sah sie nicht halb so überrascht an wie Ada in diesem Augenblick dreinguckte.
Für eine Weile herrschte erstauntes Schweigen zwischen den beiden Frauen.

Karl war es, der die Stille schließlich brach. »Wer bist du?«, fragte der Vierjährige direkt heraus, was endlich auch Ada aus ihrer Schockstarre befreite.
»Das ist Alice... Eine alte Freundin«, antwortete sie an Alice' Stelle ihrem Sohn hektisch und setzte ihn damit auf dem Boden ab. »Es... Es ist wohl schon etwa ein Jahr her, dass du sie zuletzt gesehen hast.«
Damit war Karls Interesse auch schon wieder verflogen und der Junge lief zurück ins Wohnzimmer zu seinen Spielsachen.

Alice hingegen stand immer noch verschwiegen vor der Haustüre. Es hatte sie schon genug Überwindung gekostet, überhaupt hierher zu kommen. Doch zu hören, dass Ada sie eben als alte Freundin bezeichnet hatte, beruhigte sie.
»Willst du nicht reinkommen?«, bot Ada ihr endlich an. Stumm nickte Alice und lächelte dankbar, während sie eintrat.


Knapp ein Jahr war es her, dass Alice schon einmal hier vor Adas Türe gestanden hatte. Damals war sie mit all ihrem Hab und Gut und verquollenen Augen hier aufgeschlagen. Sie hatte die Entscheidung getroffen, Tommy und das Arrow House hinter sich zu lassen und hatte zunächst Unterschlupf bei Ada gesucht. Diese hätte ihrem Bruder sein Glück zwar von ganzen Herzen gegönnt, doch wie hätte ausgerechnet sie jemanden vorwerfen können, aus Selbstschutz die Flucht zu ergreifen?

Ada hatte Alice damals für kurze Zeit aufgenommen. Sie hatte ihr zugehört und sie hatte sie nicht verurteilt — und vor allem hatte sie niemandem je ein Wort darüber gesagt. Noch nicht einmal wenige Tage später, als Tommy in desolatem Zustand hier aufgetaucht und zusammengebrochen war.

Wie sie Alice allerdings jetzt begegnen sollte, wusste Ada selbst nicht mehr. Schon wieder herrschte betretenes Schweigen, als beide Frauen am Tisch Platz genommen hatte und jeweils eine Tasse Tee vor sich stehen hatten.
Seufzend ließ Ada sich nach hinten gegen die Stuhllehne fallen.
»Ich habe nicht mit dir gerechnet«, sprach sie ihre Gedanken schießlich aus. »Nicht heute, nicht morgen — ehrlich gesagt nie wieder.«

Schutt und Asche || Peaky BlindersDonde viven las historias. Descúbrelo ahora