45 - Die Farbe des Schmerzes

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Alles war leer.

Alles war grau-weiß.

Alles war grau-weiß, außer dieses Fleckchen Blau.

Wie konnte so ein Fleckchen Blau nur so viele Emotionen hochkommen lassen?

Wie konnte es dich innerlich zerreißen, wo es doch so friedlich erschien?

Wenn ich für einen kurzen Moment die Augen schloss, halten Schleier von dem Abend nach.

Bilder und wilde Farben, die durchs Zimmer geflogen waren. Schleier der Leidenschaft, die nun puren Schmerz verursachten.

Sein Gesicht vor meinen Augen, das Leuchten in seiner Seele und das Verlangen nach mir. Der Spaß, den wir zusammen hatten und das Feuer, das wir miteinander geteilt hatten. Alles, was davon geblieben war, war dieser blaue Farbstrich an der Wand. Erst vor einigen Minuten hatte ich ihn bemerkt. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie ein kleiner Farbklecks Schmerz auslösen konnte.

Luke. - Der Name ging mir seit Wochen nicht mehr aus dem Kopf. Aus Hass und Eifersucht wurde Liebe. Aus Liebe wurde Leidenschaft. Aus Leidenschaft wurde wertvolle Zeit zu zweit, bis der gestrige Tag gekommen war.

Wie konnte ich mich bloß so in ihm getäuscht haben? Wie konnte ein Mensch nur so scheinheilig tun und einem in dem Glauben lassen, dass er wirklich liebt und so empfindet, wie man es selbst tat?

Ich war so naiv gewesen, zu glauben, er wäre etwas Besseres. Er wäre das genaue Gegenteil von Oliver. Er wäre mein Schutzengel. Der eine Mensch, dem ich vertrauen könnte. Er hätte mich nicht ausgelacht oder mich ignoriert. Er hätte seine Meinung mit mir geteilt und mich vor dem Bösen mit Schwert und Schild beschützt.

Alles war weg.

Alles war kalt.

Alles war leer.

Selbst, als ich die Treppen geistesabwesend hinunterschlich, regte sich kein einziger Muskel in meinem Gesicht. Mein Herz schien nicht länger mehr zu existieren. Ich war nur noch ein wandelnder Geist in einem einsamen Schloss, der selbst noch in einhundert Jahren das Tageslicht außerhalb der Mauern nicht erblicken würde.

Mom und Dad schliefen noch. Es war stockfinster. Ich bemühte mich erst gar nicht, das Licht anzumachen. Schwarz innen, schwarz außen.

Vielleicht sollte ich Marilyn besuchen. Solange ich nicht in die Literaturabteilung oder ins oberste Geschoss gehen würde, wäre ich vor zerschmetternden Erinnerungen bewahrt. Marilyn brauchte eine Entschuldigung von mir. Sie hatte alles mitansehen müssen und ich hatte sie alleine in diesem Raum voller Gewalt und negativer Stimmung gelassen. Das war, als würde man die elegante, hübsch klingende Nachtigall in eine Hölle voller gefolterter Tote schicken und sie niemals wieder herauslassen. Sie könnte niemals mehr singen wie zuvor. Ihr Gesang würde selbst ersticken, wenn sie da einmal herauskommen würde.

Ich entschied mich schließlich doch dazu, sie besuchen zu fahren. Das Skateboard, das ich seit Wochen nicht in Benutzung hatte, lag schon bald in meinen Händen. Ich öffnete die Haustür und musste feststellen, dass die Sonne langsam durch die Bäume in der Ferne drang.

Beinah stolperte ich über eine Gestalt, die mindestens genauso finster angezogen war, wie der langsam verschwindende Nachthimmel.

Erinnerungen kamen wieder in mir auf und ließen mich hin und her taumeln. Als Luke das letzte Mal vor der Tür gesessen hatte, hatte er unbedingt wissen wollen, wie das Date mit Oliver gewesen war und hatte ernsthaft auch ein Date mit mir verlangt. Damit hatte es angefangen, damit endete es.

Ohne ein weiteres Wort zog ich an ihm vorbei. Er schien die ganze Nacht schlafend vor meiner Haustür verbracht zu haben. Siegessicher schlug ich die Tür hinter mir zu. Leider war das Geräusch so laut, dass ich ihn weckte. Luke schreckte hoch und brauchte einen Moment, um seine Orientierung wiederzuerlangen.

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