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Kapitel

Sie bekam es kaum noch mit, dass er wieder landete. Die Anspannung hatte wohl ihren Tribut gefordert und die Erschöpfung lastete nun Bleischwer auf ihr. Sie wusste nur das auf einmal der Halt unter ihrer Wange weg war, dass seine Hände sie sicher umfasst hielten und von seiner Schulter herunter hoben. Sie spürte, dass er sie aufhob und an sich drückte, nur ganz kurz, war aber zu müde, um sich dagegen zu wehren oder auch nur auf eigenen Füßen zu stehen.
Sie hörte ihren eigenen Atem langsam, fast wie in Zeitlupe einsaugen und dann mit seinen schweren Schritten in die Höhle hinein in der es hallte auch wieder aus sich ausfließen. So unendlich langsam, verglichen mit seinen Schritten.

Gleich darauf setzte er sie auf einem Stein nieder, hielt ihre Stirn mit der einen Handfläche und schöpfte Wasser mit der anderen Hand für sie aus dem Teich.
Trink, deine Kehle brennt. Du hast Durst!
Woher nur kam dieser Gedanke in ihrem Kopf? Fast schon wie eine Stimme...
Diesmal kümmerte es sie nicht einmal, dass sie beim Trinken mit den Lippen seine Handinnenfläche berührte. Sie trank nur, immer wieder, bis sie irgendwann dann schwach den Kopf schüttelte und er sie einfach wieder aufhob und weiter zum Lager trug.

Mell fühlte wie er plötzlich vom Boden absprang, fühlte sich kurz wie im freien Fall schweben, dann wieder in der Schwerkraft ankommend gegen ihn fallen. 
Puh...!
Keuchend blinzelte sie ins dämmrige Höhlenzwielicht hinein, und wünschte sich einfach nur noch Ruhe.
Er hielt sie aber noch etwas länger auf den Armen fest und drückte sie dabei erneut ein klein wenig an sich, bevor er sie dann doch sachte auf seinem Drachenlager ablegte und sie sich dort seitlich von ihm wegdrehte und ganz klein zusammenrollte.
Sie wollte nur noch schlafen, nichts anderes mehr. Nur noch Schlafen und vergessen ... dass sie den Drachen dazu gebracht hatte seine eigenen Leute zu killen, nur weil sie die Menschen vor denen hatte retten wollen.
Die gurgelnden Schreie und das Geräusch von brechenden Knochen begleitete sie in ihre Wirren Träume.

*

Beunruhigt wie noch nie zuvor strich Darren ihr mit den Fingerspitzen das nun wieder so wirre Haar aus dem Gesicht zurück und glättete es dabei ein wenig. Ganz sachte strich er ihr dann auch noch mal über ihre Wange und den Hals.
Sie schlief  bereits tief und fest und bemerkte rein gar nichts mehr davon. Auch nicht, dass er sich noch hinter sie legte und dann vorsichtig an sie heran schob, noch immer die menschliche Form haltend, was ihm gerade erstaunlicherweise ziemlich leicht viel. Vor allem, als er auch noch ganz Vorsichtig seinen Arm um ihre Mitte herum legte, wie er es die ganze Zeit über schon gewollt hatte, wenn sie schlief.
Doch dazu war sie leider bisher noch viel zu ängstlich und Schreckhaft gewesen.
Nun, dachte er hoffnungsvoll, vielleicht ab jetzt aber nicht mehr ganz so stark.
Ja...
Vielleicht würde sie seine Art um ihre Gunst und Zuneigung zu werben ja doch mal gut finden und es bemerken, dass er sich zumindest Mühe gab die Kontrolle über dich zu bewahren und das richtige zu tun, statt seinen rohen Eis-Instinkten zu folgen.
Er musste es ihr auf jeden Fall erzählen, wenn sie demnächst wieder erwachte, da es ja ein Akt der Werbung um ihre Gunst war, der ihn dazu gebracht hatte diesem Clan den alten Weg zu weisen und ihn tatsächlich für sich zu beanspruchen. Der Wunsch in ihr, die Menschen – Sklaven zu befreien war unvorstellbar groß gewesen und sehnsuchtsvoll. Also hatte er nun sicher bei ihr etwas gut gemacht. So zumindest hatte Geron es ihm früher immer erklärt. Tu den Mädchen einen Gefallen und sie denken gut über dich. Ignoriere ihre Wünsche und Bedürfnisse und sie können den Dragon nicht leiden und meiden ihn.
Nun... zumindest die Nah-Sing hatte er damit beeindruckt.
Sie hatten ihm sogar Schattenanwärter hinterher geschickt. Er schüttelte über diesen neuen Brauch den der alte Koru ihm bei seinem Erwachen geschildert hatte nochmals den Kopf.

Ein Eis brauchte keine Diener, die willig und Selbstlos ihr Leben für ihren Herrn hingaben und auch alle seine Befehle augenblicklich befolgten. Er hatte nur zu dem einen genickt, der Koru noch leise erklärt hatte das sein erster Wächter gerade den Clan in Gefahr brächte, indem er dem Eis in seinem Befehl nicht folgte.

Aber sowieso hätte er den grausamen nicht am Leben lassen können. Mell hasste ihn mehr als alle anderen Drachen und sie hielt ihn für einen Lügner und Betrüger. Darren würde ihn niemals am Leben gelassen haben, wenn seine Connonfäe ihn nicht leiden mochte und auch nie in ihrer Nähe akzeptiert hätte. Es war ein guter Einfall von ihm gewesen ihr die Möglichkeit zu geben nicht mit anzusehen wie er tötete. Es zu sehen hätte wieder einen tiefen Keil zwischen sie beide getrieben, doch nun hatte sie sich ihm sogar in ihrer Erschöpfung anvertraut, obschon sie noch nicht gänzlich geschlafen hatte.
Doch das Zushad machte sie gerade extrem müde, wenn er sich in Gestalt so eng mit ihr verband und sie sogar bannte, nur damit sie überhaupt auf ihn aufstieg...
Nun zumindest beim ersten Mal hatte er das so tun müssen. Zurück war sie freiwillig hochgeklettert. - Vor Angst zitternd und in Gedanken bei dieser grausigen Hetzjagd auf sie und die anderen Mädchen, welche nicht überlebt hatten.
Das hätte er zuvor noch etwas mehr bedenken sollen. Denn hätte er sie noch einmal so bannen müssen, wie beim ersten Mal wäre die vermutlich sofort nach dem Aufsteigen bewusstlos geworden vor geistiger Erschöpfung.
Denn jede Einmischung in das Bewusstsein eines Menschen kostete diesen unglaublich viel Kraft. Das hatte zumindest Geron immer gesagt, doch bis heute hatte er es nie selbst erlebt.
Doch immerhin wurde sie durch die Erschöpfung nun etwas nachgiebiger. Und wenn sie gar  bemerkte, dass er sie gehalten und gewärmt hatte, doch ihr dabei wieder nichts schlimmes angetan hatte, obschon sie so müde und damit hilflos gewesen war, konnte ihm das später auch nur wieder zum Vorteil gereichen.
So wuchs ihr Gutglaube in ihn beständig an, wie auch ihr Misstrauen und die Furcht vor ihm ganz langsam schwinden mochten.
Und ja, auch dafür erkannte er schon erste Anzeichen. Zuletzt hatte sie schon gar nichts mehr gedacht, kein Wort, kein Gefühl, außer dem Durst der heiß in ihrer Kehle brannte. Es hatte auch seine Kehle schmerzen lassen, da er ja alles mit empfand, was sie fühlte. Aber dann hatte sie wieder aus seiner Hand getrunken, diesmal gierig und benommen, ja... Doch welch ein unglaubliches Gefühl es in ihm auslöste, wenn ihr weicher Mund seine Handfläche berührte... Sein Herz war sogar beinahe stehen geblieben... und dann hatte es doch viel zu schnell weitergeschlagen, als sie nur wieder und wieder so gierig trank.

Deshalb hatte sie ihn das letzte Mal wohl auch nicht auf diese Weise berühren wollen. Hatte sie gewusst, dass es ihn noch viel Fühlender machen würde? Oder es geahnt?
Gerade zu anfang hätte er damit wohl gar nicht gut umgehen können. Hätte vielleicht sogar die Kontrolle verloren.
Ja... Sie war also wirklich klug, seine Mell, dachte er bewundernd und betrachtete das regelmäßige Heben und Senken ihrer Brust und auch ihr wunderschönes, bleiches Gesicht.
Im Gegensatz zu seiner eigenen Haut, die doch sehr gebräunt war, war das ein unglaublicher Anblick, an dem er sich nicht sattsehen konnte.
Er wollte sie so nicht alleine lassen, sie nicht verlassen, jetzt da sie gerade so tief schlief. Er konnte es auch gar nicht.
Sein Instinkt befahl ihm nun sie Tag und Nacht zu beschützen.
Sie hatte so unglaubliche Angst empfinden... dort auf dem Clanland der Nah-Sing. Schon als sie die Augen öffnete und erkannte das sie mitten unter ihnen standen.
Es wärmte sein eisiges Herz, dass sie dort ganz nahe bei ihm geblieben, ja sich sogar regelrecht hinter ihm versteckt und auch noch nicht einmal versucht hatte ihm in dieser dicht bewohnten Gegend davon zu laufen.
Nein, sie hatte sich sogar an seinem Hemd festgehalten. War freiwillig aufgestiegen, als er sich verwandelte um zurück zu kehren.
Sie war lieber bei ihm als bei den Nah-Sing.
Soviel stand nun also fest.
Es war im Grunde nur ein kleiner Schritt, zeugte jedoch davon, dass seine Methode sich ihr gegenüber zu geben und zu verhalten, richtig und gut war.
Zunächst Abstand zu halten und nur an und an zu zeigen, dass er da war. Es hatte sie beruhigt, ihn zunächst nur aus der Ferne zu betrachten. Doch wenn sie schlief war er stets bei ihr. Dann beschützte er sie direkt, dann konnte er sie auch berühren und wärmen, wenn ihr zarter Leib in der kalten Felsenhöhle fröstelte.

Wie hatten diese Dragon seine süße Mell nur willentlich so zurichten, so brutal behandeln können? Egal ob es nun dem Zweck diente sie so sehr zu brechen, dass sie ihm nicht mehr von ihm fort laufen würde... Das war keine Entschuldigung, die er auch annehmen konnte. Mell selbst würde sie niemals annehmen und für immer diesen Clan fürchten, der sich nun der Seine nannte.

Kurz wunderte er sich wieviel er gerade doch über die Ereignisse nachdachte, über sie und diesen seltsam grausigen Clan.
Früher wäre es ihm egal gewesen, was geschehen war, doch nun nicht mehr. Wegen ihr.

Ein wenig näher schob er sich noch an sie heran um ihren oft viel zu kalt anfühlenden Leib zu wärmen und gleichsam ihren Schlaf zu bewachen.
Denn ein Eis schlief nie.

Ice Dragon - Die Seele der DrachenWhere stories live. Discover now