12 ~ Lando

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Erschöpft schloss ich die Augen und presste meine Stirn gegen den kühlen Klodeckel, der aufgeklappt vor mir thronte und mich förmlich zu verhöhnen schien.
Der säuerliche Geschmack des Erbrechens brachte mich beinahe wieder zum Würgen, weshalb ich eilig zum Waschbecken krabbelte und mir den Mund ausspülte.

Entschlossen und doch wackelig zog ich mich am Handtuchhalter hoch, betätigte die Klospülung und starrte mich dann im Badezimmerspiegel an.
Mein Gesicht war kreidebleich und mein Magen grummelte immer noch, aber da war absolut nichts mehr, was ich noch hätte erbrechen können.

Angespannt knetete ich meine Hände und warf einen hilfesuchenden Blick auf mein Handy, das die Uhrzeit anzeigte. Normalerweise dauerten diese Episoden, in denen es mir so beschissen ging, höchstens eine halbe Stunde und die musste ich einfach irgendwie überleben.

Ich versuchte mich auf die Zahlen zu konzentrieren und den Sekundenzeiger beinahe hypnotisch anzustarren, dann spürte ich endlich, wie das Engegefühl in meiner Brust nachließ und ich wieder normal atmen konnte.
Erschöpft und erleichtert spritzte ich mir eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht und klatschte mir ein wenig gegen die Wangen, damit Blut hineinschoss und ich nicht mehr ganz so sehr nach einer Leiche aussah.

Kaum hatte ich das getan, hörte ich ein lautes Klopfen an der Tür und beeilte mich, sie zu öffnen. Mein Trainer Jon stand davor und sah mich prüfend an.
Natürlich war es nicht das erste Mal, dass er mich so bleich sah, aber bisher konnte ich ganz gut vor ihm verheimlichen, dass ich so extrem nervös war.

"Deine Eltern sind angekommen", informierte er mich und ich nickte mit einem perfekt aufgesetzten Lächeln auf den Lippen.

"Alles klar, ich komme in einer Minute zu ihnen."

Jon nickte verständnisvoll und ließ mich wieder allein, woraufhin ich die Tür schloss und mich müde dagegen lehnte.

"Komm schon Lando, du packst das", flüsterte ich atemlos, dann warf ich einen letzten Kontrollblick in den Spiegel und lief zur Hospitality, vor der meine Eltern bereits auf mich warteten.
Als sie mich entdeckten, begannen beide zu lächeln und ich bemühte mich, um es so ehrlich wie möglich zu erwidern.

"Hey Mum, hey Dad", begrüßte ich sie und ließ mich von beiden in eine herzliche Umarmung ziehen, bevor ich mich unter der Hand meiner Mum hinwegduckte, die mir durch die Haare wuscheln wollte.

"Ey, nicht meine Frisur zerstören!", beschwerte ich mich lachend, als sich hinter mir eine Stimme einmischte.

"Welche Frisur?"

Überrascht drehte ich mich um und riss die Augen auf.

"Ollie?"

"Überraschung", entgegnete mein Bruder grinsend, bevor auch er mich in seine Arme zog. Ich brauchte noch ein paar Sekunden bis ich wirklich begriffen hatte, dass auch mein Bruder hier war und boxte ihn gegen den Arm.

"Wieso hast du nichts gesagt?"

"Weil es dann keine Überraschung gewesen wäre, du Genie",
antwortete er lachend und wuschelte mir durch die Haare, weil ich dieses Mal nicht schnell genug reagiert hatte,
"Wo ist denn deine Freundin?"

"Sie ist nicht meine Freundin, du Idiot", erwiderte ich, wobei ich genau spürte, wie meine Wangen ein klein wenig erröteten. Auch meinem Bruder fiel es auf, aber er sagte glücklicherweise nichts, sondern lächelte nur wissend, was ich einfach ignorierte.

Suchend schaute ich mich um und entdeckte unseren Teamchef Andreas, den ich fragend ansah.
"Hey, hast du Vicky gesehen?"

"Sie sitzt drinnen und ist mal wieder in ihr Buch vertieft", antwortete er schmunzelnd und ich begann ebenfalls zu schmunzeln. Ja, das klang absolut nach ihr.

"Danke, bis nachher."

Lächelnd wandte ich mich wieder meiner Familie zu.
"Sie ist drinnen, also wollen wir reingehen?"

Alle nickten und folgten mir und sobald ich die Hospitality betreten hatte, entdeckte ich die Blondine bereits. Sie kaute nachdenklich auf ihrer Lippe herum, was ich schon öfter bei ihr bemerkt hatte, wenn sie konzentriert war, und ehrlich gesagt fand ich das irgendwie süß.

Dass wir uns ihr näherten, bekam die Amerikanerin nicht mit und als ich vor ihr stand und schmunzelnd vor ihr Gesicht schnipste, zuckte sie überrascht zusammen und starrte mich vollkommen verwirrt an.

Es dauerte einige Sekunden bis ihr wieder einzufallen schien, wo sie war und wer ich war, dann begann sie zu lächeln und stand auf.
"Hey."

"Selber hey. Meine Eltern sind da und mein Bruder ist als Überraschung auch mitgekommen", informierte ich sie und drehte mich dann zu meiner Familie um, die uns in diesem Moment erreichte.

"Vicky, das sind meine Mum Cisca, mein Dad Adam und mein Bruder Ollie."

"Es freut mich, Sie alle kennenzulernen."

"Oh, bitte sag ruhig Du zu uns", antwortete meine Mum sofort, bevor sie Vicky kurzerhand in eine Umarmung zog. Der Amerikanerin entfuhr ein überraschtes Quieken, dann lachte sie leise und ließ meine Mum über sich ergehen.

Nachdem sich die beiden voneinander gelöst hatten, schob Vicky sich ein wenig überfordert eine lose Haarsträhne hinters Ohr, fing sich aber schnell wieder und setzte ihr übliches Lächeln auf, bevor sie sich meinem Bruder zuwandte.

"Und du bist also als Überraschung mitgekommen?"

"Ja, meine Freundin macht einen spontanen Wochenendtrip mit einer Kollegin und da dachte ich mir, ich könnte meine Sturmfreiheit nutzen, um meinem kleinen Bruder live beim Fahren zuzuschauen."

"Ich bin sicher er freut sich darüber."

"Na das will ich doch für ihn hoffen. Im Fernsehen hieß es, du seist Eiskunstläuferin. Stimmt das?"

Ich konnte sehen, wie sich Vickys für einen kurzen Augenblick verhärtete, dann nickte sie angespannt und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

"Ja, aber- aber im Moment mache ich eine Pause."

"Oh, verletzungsbedingt?", erkundigte sich meine Mum sofort besorgt und Vicky nickte schwach.

"Genau. Aber das wird schon wieder."

Ich beeilte mich, das Gespräch schnell in eine andere Richtung zu leiten und als es Zeit wurde, machten wir uns alle gemeinsam auf den Weg zur Box. Meine Familie lief ein kleines Stück vor und Vicky und ich ließen uns etwas zurückfallen, sodass ich die Gelegenheit bekam, in Ruhe mit ihr zu sprechen.

"Du hättest ihnen nichts vormachen müssen wegen deiner Karriere."

"Hab ich das? Ich hab ihnen einfach nur gesagt, was die Welt weiß und was sowieso jeder glaubt. Wenn meine Mutter erfahren würde, dass es einen Menschen gibt, der die Wahrheit kennt, würde sie mich wahrscheinlich umbringen und dich gleich mit, damit du nichts ausplaudern kannst."

Mit großen Augen sah ich sie an und hätte gerne gelacht, aber an ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass das kein Scherz gewesen war. Egal wie es mit Vicky und mir weitergehen würde, ich hoffte, dass es noch sehr, sehr lange dauern würde, bis ich ihre Mum kennenlernte.

Under Pressure (Lando Norris FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt