33. Nathan

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Ich konnte Alex' Nervosität praktisch spüren, als wir durch das grosse Haus, das wir immer für die Alphatreffen benutzten, gingen. Sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, doch ich sah, wie sie unruhig mit den Ärmelenden ihres grünen Pullovers spielte. Ich war mir sicher, dass ihre Augen im Moment rastlos durch den Flur schweiften und sich alles zu merken versuchten, auch wenn die Brille mir den Blick in ihre Augen verwehrte. Obwohl ich ebenfalls aufgeregt war, wollte ich sie etwas beruhigen und griff daher sanft nach ihrer Hand. Die wunderschöne Frau neben mir wandte verwundert den Kopf zu mir und ich versuchte mich an einem beruhigenden und aufmunternden Lächeln. Alex lächelte kurz zurück und wir liefen Hand in Hand weiter.

Schon die letzten Tage war meine Gefährtin ständig in ihren Gedanken versunken und schaute nachdenklich und manchmal fast schon besorgt ins Leere. Ich wusste, dass die Situation ihr zu schaffen machte, doch sie sagte mir leider nicht, was genau sie bedrückte. Ich konnte also nur vermuten, was in ihrem hübschen Köpfchen vor sich ging.

Die ganze Situation wurde jedoch durch meine eigene Nervosität auch nicht besser. Ich machte mir riesige Sorgen, dass Alpha Ciaran sie erkennen könnte. Denn Ciaran war ein arroganter, machtgieriger Vollidiot, der seine Stellung als Alpha des Silver Moon Rudels unter allen Umständen behalten wollen würde. Und sollte publik werden, dass Alex die Tochter von John und Sabrina Silver war und sie noch dazu klare Zeichen eines Alphatiers aufwies, wäre Ciaran die längste Zeit Alpha gewesen.

John und Sabrina waren gute Rudelführer gewesen, die sich liebevoll um ihr Rudel gekümmert haben und für alle die Hilfe brauchten da waren. Sie führten das Rudel gerecht und vergrösserten seinen Einfluss und sein Ansehen konstant, ohne dabei jemals gewalttätig geworden zu sein. Sie waren hervorragend in dem was sie taten und bei allen sehr beliebt. Ich konnte mich leider nicht daran erinnern, wann und ob ich sie überhaupt getroffen hatte, doch es wurde viel von ihnen geredet und auch mein Vater erzählte oft von seinem besten Freund und saget mir, dass wenn ich auch so ein Alpha werden würde wie John, dann könne ich stoltz auf mich sein.

Alpha Ciaran und seine Gefährtin Lilith hingegen waren komplett anders. Wie genau sie an die Spitze des Rudels gekommen waren, war mir nicht ganz klar. Normalerweise rückte der Beta nach, wenn der Alpha verstarb ohne einen Nachkommen zu hinterlassen. Manchmal gab es auch Geschwister des Alphas, die für den Posten geeignet waren. Soviel ich wusste, gab es auch noch die Möglichkeit, dass derjenige, der den amtierenden Alpha umgebracht hatte, dessen Posten übernahm. Früher soll es deshalb oft zu Machtkämpfen gekommen sein, doch heute gab es das eigentlich nicht mehr. Die Alphamörder wurden oft als Rache für den Alpha umgebracht und nicht als neuer Anführer akzeptiert, so dass es sich nicht mehr lohnte, den Alpha zu bekämpfen. Ich wusste nicht, welche Variante Ciaran an die Macht gebracht hatte oder ob er eine andere nutzen konnte, aber es spielte auch keine grosse Rolle.

Ciaran war nun schon über drei Jahre der Alpha des Silver Moon Rudels und stellte sich schnell als tyrannischer, ungerechter Mistkerl heraus. Doch er war leider ziemlich stark, sodass sich niemand gegen ihn wehren konnte. Und wenn dieser Kerl Alex erkennen würde, würde das ganz sicher nicht gut enden.

"Nate! Daimon! Lange nicht gesehen!", hörte ich die laute, aufgedrehte Stimme von Kilian, die mich aus meinen Grübeleien riss. Kilian tauchte grinsend vor uns auf und schlug erst mit Daimon und dann mit mir ein. "Stimmt ist schon eine Weile her", entgegnete ich dem etwas kleineren, blonden Mann vor mir. Kilian war genau wie Noah drei Jahre älter als ich. Er war ein aufgedrehter Spassvogel und ein lustiger Typ. Ausserdem war er Noahs bester Freund und sein Beta.

Durch Lina hatten wir die beiden Jungs besser kennengelernt und einige Zeit mit ihnen verbracht. Lina war eine Sandkastenfreundin. Sie wuchs in unserem Rudel auf und unsere Mütter waren immer gute Freundinnen gewesen, weshalb auch wir schon früh viel Zeit miteinander verbracht hatten. Dann als kurz nach Linas erster Verwandlung das Südrudel zu Besuch bei uns war, erkannte sie in Noah ihren Gefährten und zog zu ihm. Da Lina, Daimon und ich jedoch noch immer so gut miteinander waren, besuchten wir uns oft gegenseitig, weshalb wir dann eben auch Noah und Kilian besser kennen lernten.

"Kil, kannst du glauben, dass Nate seine Gefährtin gefunden hat und uns noch nichts gesagt hat?", schrie Lina mit schriller Stimme. Kilian machte grosse Augen und starrte mich überrascht an: "Was? Ehrlich? Wieso weiss ich das nicht? Wer ist sie und wie sieht sie aus?" Natürlich zogen wir die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf uns. In dem grossen Wohnzimmer, in dem wir mittlerweile waren, waren schon fast alle, die am Alphatreffen teilnehmen würden.

Da war Alpha Frederick vom Nordrudel, der gemeinsam mit seiner Frau Enya auf einer Couch sass und sich mit Caleb seinem Beta unterhielt. Frederick war ein stattlicher Mann mit dunklem Haar und grünen Augen. Er war bereits um die 40 Jahre alt und gehörte damit zu den ältesten Alphas hier. Soviel ich wusste, war er dabei seinen Nachfolger, einer seiner Söhne, auf seinen zukünftigen Posten vorzubereiten.

Als nächstes gab es dann das Westrudel, welches unter der Führung von Alpha Maverick stand. Er hatte verstrubbelte, rote Haare und war ein sehr aufbrausender und teilweise leicht aggressiver Mann, Ende 20. Seine Gefährtin verstarb schon vor einigen Jahren und seither soll er wohl so kalt und unberechenbar sein. An seiner Seite war sein Beta Tim, ein sehr ruhiger und überlegter Kerl. Die beiden standen am Fenster und schauten mit desinteressierten Blicken zu uns rüber.

Alpha Severin, ein eher etwas kleinerer, blonder Mann Mitte 30, leitete gemeinsam mit seiner Gefährtin Jara und seinem Beta Lukas das White River Rudel. Severin war während der Besprechungen meistens ruhig und nur, wenn er ein Anliegen hatte, erhob er die Stimme und konnte dann auch sehr stur werden. Auf mich wirkte er manchmal wie ein strenger Vater, der alles mit Adleraugen beobachtete und über alles Bescheid wusste. Jara schien bei diesem Treffen nicht dabei zu sein, denn ich entdeckte nur Severin und Lukas.

Bei dem Alphatreffen waren auch noch das Rudel von Noah, also das Südrudel, mein Rudel und das Silver Moon Rudel. Das waren die sechs Rudel hier in der Umgebung. Und alle bis auf das Silver Moon Rudel, also Alpha Ciaran, seine Gefährtin Lilith und den Beta Cassian, waren bereits da. Und alle starrten uns teils belustigt, teils genervt oder auch absolut desinteressiert an.

Noch bevor ich auf Kilians Fragen antworten konnte, schob sich meine wunderschöne Gefährtin an mir vorbei. "Hallo. Freut mich. Ich bin Alex." Sie sprach ruhig und gefasst und ich war wirklich überrascht, wie gut sie ihre Nervosität überspielen konnte. Sie war den Umgang mit anderen Wölfen nicht gewöhnt und die Macht, die von den vielen hochrangigen Werwölfen ausging, dürfte sie durchaus einschüchtern. Doch sie überspielte es einfach und stellte sich aufrecht neben mich.

Ich bemerkte, dass die Blicke aller Anwesenden auf Alex fielen und das gefiel mir gar nicht. Obwohl sie sich bestmöglich verkleidet hatte, macht sich die Angst um sie von Neuem in mir breit. Zudem gefiel es mir nicht, dass so viele Kerle sie zu mustern schienen. "Was ist denn mit dir los? Es ist Hochsommer und du rennst hier vermummt wie eine Mumie rum. Und die Sonne blendet hier drinnen wohl auch kaum." Kilian wie immer geradeheraus, ohne seine Worte auch nur eine Sekunde zu überdenken. Lina stiess ihn erschrocken und tadelnd in die Seite, doch ich konnte in ihrem Blick erkennen, dass sie sich das Gleiche auch schon gefragt hatte. Ich versuchte mir schnell eine plausible Erklärung einfallen zu lassen.

Und schon wieder war Alex schneller als ich. "Du fragst mich was mit mir los ist, während du ein Shirt von Justin Bieber anhast?", fragte sie Kilian mit hochgezogener Augenbraue. Das viel mir ja erst jetzt auf. Sofort wurde sein Gesicht knallrot und er meinte: "Mir gefielen die Farben!" Wegen der Verzweiflung in seiner Stimme konnten wir uns alle das Lachen nicht mehr verkneifen und Lina tätschelte ihm beruhigend die Schulter. Und so schnell fiel das Thema von der Frage nach Alex' Kleidung wieder ab. Das war wirklich clever von ihr.

Doch die belustigte Stimmung verflog sofort wieder, als eine kratzige Stimme hinter uns blaffte: "Was soll das hier werden? Wir sind nicht hier um über den albernen Clown da zu lachen, sondern weil wir einiges zu besprechen haben! Und ich habe keine Lust hier ewig mit euch festzusitzen! Also macht endlich vorwärts, damit wir endlich beginnen können!" "Der braucht uns gar nicht so anzufahren, schliesslich haben wir nur noch auf ihn warten müssen, da er mal wieder zu spät kommt", murmelte Kilian genervt.

My wolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt