Cass

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Cass
Ich ziehe mir gerade meine Sneakers an, als mein Handy unter der Bettdecke vibriert. Mit einer eher uneleganten Bewegung schmeisse ich mich bäuchlings auf’s Bett und krame unter der Decke danach. Da ich mich nacher mit Xander zum Joggen treffe, gehe ich davon aus, dass er es ist. Wäre nicht das erste Mal, dass er mich versetzt. Nicht weil er keine Zeit hätte oder er unsportlich wäre. Nein, er ist einfach eine stinkfaule Socke. Er meint, dass Joggen was für Weicheier sei, ein richter Mann muss sich auf der Hantelbank oder im Bett verausgaben. Whatever. Ich habe sogar schon versucht ihn mit sexuellen Gefälligkeiten zu locken, aber keine Chance. Unsere Zusammenkunft am Pool ist jetzt schon über eine Woche her und seitdem haben mich weder er noch Paxton angefasst. Von Bishop fangen wir erst gar nicht an. Ich habe ihn ein paar Mal gesehen, aber er hat weder mit mir gesprochen, noch mich sonst irgendwie beachtet. Ich lasse Mr. Grumpie noch eine Weile schmollen, aber lange sehe ich mir das nicht mehr an. Er wird mir bald Rede und Antwort stehen müssen.
Ohne aufs Display zu schauen, nehme ich den Anruf an. «Na mein Grosser, was kommt denn diesmal dazwischen?» Ich bin so gespannt auf Xanders Antwort, dass mir das Blut in den Adern gefriert, als ich die Stimme am anderen Ende höre. Eine Stimme, die ich in den letzten Wochen so gut ausgeblendet habe, dass ich mir schon einreden konnte, dass sie nicht existiert. Und jetzt holt mich die Realität mit aller Brutalität zurück. «Naja gross ist so manches an mir und dazwischen kommen, kann ich auch.» Dimitris Lachen lässt mich erschaudern. Die Galle kommt mir hoch und ich muss mich zusammenreissen, dass ich das Handy nicht fallen lasse. «Dimitri, tut mir leid, ich dachte du wärst jemand anderes.» Ich spreche automiasch Russisch, falls jemand plötzlich ins Zimmer kommen könnte. «Aha. Und wen hast du den erwartet? Grosser kann wohl schlecht jemand weibliches sein. Gehst du mir etwa fremd Cassandra?» Er klingt zwar amüsiert, aber ich weiss, dass hinter seinen Worten eine klare Drohung liegt. Ich setzte mich auf. «Nein Dimitri das tue ich nicht. Ich dachte du seist mein Joggingpartner, Max. Der ist stockschwul keine Angst.» Oh Gott hoffentlich nimmt er mir die Lüge ab. Er lässt mich wissen, dass ich die Joggingrunde für heute aussetzen lassen muss. Er ist wieder in der Stadt und will mich sehen. Dann hängt er auf. Fuck!
Schnell ziehe ich mir Sneakers und die Jogginghose aus und ersetzte sie durch meine Stiefel und Lederhosen. Das Top lasse ich an und ziehe mir die Lederjacke drüber. Mit dem Helm in der Armbeuge sprinte ich aus meinem Zimmer und gehe zur Garage. Dabei schreibe ich Xander eine Nachricht, dass er für heute erlöst ist und wir uns am Abend sehen werden. Mit einem weinenden Emoji gibt er mir Bescheid, dass er zu Tode betrübt sei, sich aber auf heute Abend freue. Spinner. Das Handy schiebe ich in meine innere Jackentasche, setze mich auf meine Maschine, stülpe mir den Helm über und brettere aus der Garage.
Sobald ich den Bürokomplex erreicht habe, steigt mein Puls in unermessliche Höhen. Was wird mich erwarten? Die Ungewissheit macht mich fast irre. Wie gerne würde ich einfach kehrtmachen, den Jungs alles erzählen und einfach bei ihnen bleiben. Aber Dimitri würde mir das nie durchgehen lassen. Er würde sich zuerst meine Familie, allen voran Ana, vornehmen und mein Leben zur Hölle machen, bevor er sich dann mir widmen würde. Ich hasse mein Leben. Den Helm sichere ich an der Maschine und gehe an den beiden Gorillas vorbei, die wieder vor der Haupteingangstüre stehen. Diesmal lasse ich meine grosse Klappe mal zu und gehe ohne ein Wort an ihnen vorbei ins Innere. Hier hat sich nicht viel verändert. Wie immer ist alles in Weiss und wieder komme ich mir total Fehl am Platz vor. Vor Dimitris Türe halte ich kurz inne und atme konzentriert ein und aus bis sich mein Puls beruhigt hat. Er wird mich nicht töten, er braucht mich noch. Leise klopfe ich an und als ein «Herein» ertönt, drücke ich die Klinke nach unten und gehe ins Zimmer.
Ich bin nicht sonderlich überrascht, dass Sergei auch anwesend ist. Zwar könnte ich gut auf ihn verzichten, aber wenn man ja schon mal in der Hölle ist, muss man sich wohl oder über die ganze Freakshow reinziehen. Beide stehen in ihren schwarzen Anzügen an den bodenlangen Fenstern und blicken hinaus. Sobald ich in Hörweite komme, unterbrechen sie ihr Gespräch und wenden sich mir zu. «Da ist sie ja endlich.» Dimitri kommt mit ausgetreckten Armen auf mich zu und zieht mich an seine Brust. Als ob wir alte Bekannte wären, die sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen haben, drückt er mich fest. Ich könnte kotzen. Ist das sein fucking Ernst?
Nach der Umarmung schiebt er mich eine Armlänge von sich weg und begutachtet meine Erscheinung. «Siehst gut aus Cassandra. Was meinst du Sergei?» Er geht einen Schritt zur Seite und Sergei tritt zu uns. Auch er nimmt micht in den Arm und jetzt muss ich wirklich die Galle runterschlucken. Ich winde mich unter seinen Armen und befreie mich. «Hast Recht Boss, sie sieht heiss aus, aber die Widerspenstigkeit sollte man ihr noch austreiben.» Sergei geht an mir vorbei und setzt sich auf einen der Sessel, der vor Dimitris Schreibtisch steht. Mit einer Handbewegung gibt mir Dimitri zu verstehen, dass auch ich mich setzen soll. Widerwillig gehe ich zu Sergei und setze mich neben ihn. Er legt seine Hand auf meinen Oberschenkel und drückt so fest zu, dass wahrscheinlich Flecken entstehen. Ich will seine Hand wegschieben doch sein Griff ist so fest, dass er es mir unmöglich macht und ich gebe auf gegen ihn zu kämpfen. Es hat keinen Sinn, es würde ihn nur noch mehr reizen.
«Wie ist es dir ergangen Cassandra?» Ich hasse es, wie Dimitri meinen Namen ausspricht. Es klingt so falsch aus seinem Mund. «Kannst du uns Ergebnisse liefern?» Ungemütlich rutsche ich auf dem Sessel hin und her. Ich weiss warum ich hier bin, aber in den letzten Wochen, mit den Jungs, konnte ich alles um mich vergessen. Endlich konnte ich das Leben führen, dass ich mir so sehr gewünscht habe. Und jetzt zerplatzt alles wie eine Seifenblase. Ein Räuspern kommt aus meinem Mund. «Leider habe ich noch keine News. Die Mittelmänner halten sich extrem bedeckt, es ist…» Weiter komme ich leider nicht. Sergei hat meinen Sessel nach hinten gekippt und ich falle auf meinem Rücken zu Boden. Der Aufprall ist so stark, dass es mir die Luft aus den Lunden presst. Mein Hinterkopf knallt ungebremst auf den Steinboden und ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Gerhinerschütterung erlitten habe. Alles dreht sich. Der Sessel wird brutal zur Seite geschoben. Mein Blick ist verschwommen, aber ich kann sofort erkennen, dass Sergei jetzt auf meinem Becken hockt, und etwas Kaltes an meinen Hals hält. Ein Messer. Ich schlucke und versuche mich ruhig zu halten. Dimitri erschient über uns und sieht über Sergeis Schulter zu mir hinab. Missbilligend schüttelt er seinen Kopf. Ich fokussiere mich darauf, bis meine Sicht wieder klarer wird. «Cassandra, Cassandra. Was mache ich nur mit dir?» Ich gehe davon aus, dass es eine retorische Frage ist und gebe ihm deshalb keine Antwort.
Sergeis Hand knallt auf meine Wange und mein Kopf schleudert zur Seite. Es brennt wie die Hölle. «Keine Angst, diesmal wird man deine Verletzungen nicht sehen.» Ich weiss nicht, ob mich Sergeis Worte beruhigen sollen oder nicht. Ich gehe eher von zweitem aus. «Heute Abend steigt eine Studentenparty im DEX. Du wirst dort sein und uns einen Namen oder sonst was liefern. Wir haben lange genug gewartet.» Wieder knallt mir eine Hand gegen die andere Wange. «Sergei wird dich begleiten, aber keine Angst, er wird sich im Hintergrund halten.» Endlich steht er auf und ich kann wieder atmen. Ich halte mir die Wangen und versuche dadurch das Brennen zu dämpfen. Aber ohne Erfolg.
«Wie stellst du dir das vor? Seit Wochen bin ich dran und erreiche nichts. Jetzt soll sich alles in einer Nacht erledigen?» Sergei tritt neben Dimitri und beide sehen auf mich herab. «Es ist mir scheissegal wie du es anstellst, aber deine Deadline endet heute Nacht.» Er richtet sich seinen Anzug und geht davon. Die Türe knallt hinter ihm ins Schloss und ich bin mit Sergei allein. Eine Tatsache, die ich eigentlich nie wieder zulassen wollte. Scheisse!
Langsam stehe ich auf und damit er meine Unsicherheit nicht bemerkt, schiebe ich mich an ihm vorbei. Doch ich komme nicht weit, er zieht mich am Arm zurück und ich knalle mit meinem Rücken gegen seine harte Brust. «Bis jetzt war ich noch nett zu dir Bitch, aber das kann ich sehr schnell ändern. Die Seitengasse vom DEX. Wir treffen uns dort, drei Uhr.» Ich winde mich unter seinem Griff. «Und wenn ich keine Antworten liefern kann?» Eigentlich kenne ich ja die Antwort schon, aber irgendwie muss ich es nochmal hören, um mir wieder richtig bewusst zu werden, warum ich hier bin. «Tja, dann werde ich mich erst Ana zuwenden. Was meinst du? Steht sie auf Sexspiele mit einem Messer?» Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, gleitet er mit seinem Messer über meinen Bauch. «Und wenn ich wieder in Russland bin, werde ich deiner geliebten Mutter einen Besuch abstatten und sie wieder zu der Alkoholikerin machen, die sie früher war.» Wie ich gesagt habe, sie würden sich zuerst um meine Familie kümmern und dann um mich. Ich lasse mich gegen seine Brust sinken und schliesse für einen kurzen Moment die Augen. Ich komme aus der Sache nie wieder raus. «Okay. Ich werde mich bemühen.» Damit lässt er mich los und ich gehe sofort einen Schritt von ihm weg. «Habe auch nichts anderes erwartet. Enttäusch mich nicht.» Sergei lässt mich stehen und verschwindet durch dieselbe Türe, durch die auch Dimitri gegangen ist. Was soll ich tun? Wie zum Teufel soll ich ihnen etwas liefern?
Als ob sie mich erhöhrt hätte, vibriert mein Handy und ich sehe eine Nachricht von Ana. Sie ist heute Abend im DEX und muss mit mir reden. Ich bete zu Gott, dass sie etwas Brauchbares für mich hat. Sonst bin ich am Arsch.

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