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„Warum genau müssen wir uns jetzt hier bei mir treffen?", wollte ich von Nicole wissen. „Weil dein Liebster misstrauisch geworden ist und deshalb bei dir vorbeikommen und entdecken könnte, dass du gar nicht an deiner Dissertation arbeitest?"

Auf Nicoles Drängen hin, hatten wir unseren Treffpunkt nun von ihrer Wohnung in das Wohnzimmer meiner Mutter verlegt, was mir nicht unbedingt gefiel. Eigentlich hatte ich auch keine Lust mehr auf den ganzen Mist, aber ich war damals schon meistens eine Mitläuferin und daran schien sich nichts geändert zu haben.

„Ganz genau", bestätigte sie, öffnete rascheln eine große Tüte Gummibärchen, fischte drei heraus und schob sie sich alle auf einmal in den Mund. Sie hielt mir und Stefan die Tüte hin, doch wir schüttelten beide den Kopf.

„Sind ja beste Voraussetzungen für eure Hochzeit", stellte ich grimmig fest.

„Bloß nicht neidisch werden. Wenigstens heirate ich überhaupt und bin nicht so beziehungsgestört wie ihr beiden", versetzte Nicole und nahm noch ein Bärchen aus der Tüte. Sie schien so etwas wie eine Heißhungerattacke zu haben.

„Das sagt ja wirklich die Richtige, die ihren Verlobten anlügt, um ungestört Sherlock Holmes zu spielen." Solche Unterstellungen wollte ich mir nun wirklich nicht anhören.

Stefan ignorierte ihre Bemerkung, die ja auch ihm galt, tapfer und zog es scheinbar vor, sich gar nicht erst in unseren Zickenkrieg einzumischen. Ohnehin wirkte er leicht abwesend, was vielleicht auch auf den übermäßigen, und langsam auch besorgniserregenden, Konsum von Schmerzmitteln zurückzuführen war.

„Egal, lassen wir das", lenkte Nicole ein. „Wir sind immer noch keinen Schritt weiter und heute ist mein letzter freier Tag! Ich hab ja nicht einen auf den Schädel bekommen, sodass ich für eine ganze Woche krankgeschrieben wurde."

„Ich habe ja nicht darum gebeten", sah sich Stefan nun doch zu einer Reaktion genötigt. „Du kannst dir ja die ganze Tüte von diesem Mistzeug da reinstopfen und dann mehrere Tage auf dem Klo verbringen. Dann hast du deine Krankschreibung. Aber ich schätze, das ist nicht ganz, was dir vorschwebt, oder?"

Säuerlich verzog Nicole das Gesicht, legte aber die Gummibärentüte vorsichtshalber auf den Wohnzimmertisch.

 „Wie unheimlich charmant du doch bist. Aber hey, wozu hast du denn eigentlich eine Zulassung? Du kannst mich doch krankschreiben! Bei deinem Vater fliegen doch bestimmt massenweise diese gelben Zettel rum. Kannst dir ja einfach einen nehmen, unterschreiben, Stempel drauf und fertig!"

„Das mache ich ganz bestimmt nicht!"

„Schade, dann wären doch die langen Jahre Medizinstudium mal wenigstens für etwas zu gebrauchen."

„Ähm, wollten wir nicht weiter überlegen, wo Julias Tagebuch sein könnte?", mischte ich mich ein. Sonst würde dieses Gezanke noch ewig weitergehen. Je länger wir zusammenhockten, desto mehr verfielen wir wieder in frühere Verhaltensmuster. Sowieso schien die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit in letzter Zeit immer mehr zu verschwimmen.

„Ja genau, ich hatte mir da was überlegt", schaltete Nicole sofort um. „Wir müssen uns in Laura hineinversetzen und uns überlegen, wo sie und nicht wir das Tagebuch verstecken würde. Wir müssen versuchen, wie sie zu denken!"

Was für eine bahnbrechende Idee!

„Aha, na dann viel Spaß." Aus nachvollziehbaren Gründen, schien Stefan die Vorstellung, sich in Laura hineinversetzen zu müssen, nicht sehr zu gefallen.

Ich stellte mir das auch als nicht so einfach vor, denn wir hatten Laura scheinbar gründlich unterschätzt. Sie war doch um einiges hinterhältiger gewesen, als ich immer angenommen hatte. Einen Mörder eiskalt zu erpressen, anstatt zur Polizei zu gehen, war ja schon ein ganz anderes Kaliber als die paar Intrigen und Lästereien gegen Julia früher.

Die Nacht im MaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt