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Die Sonne geht langsam hinter dem Dom unter und färbt die Stadt in rotgoldenes Licht. Wir schlendern über den Bahnhofsvorplatz, durch einen riesigen Schwarm von Tauben hindurch, die nicht mal wegfliegen, so sehr sind sie an Menschen gewöhnt.

Auf den Treppen des Doms herrscht reges Getümmel. Jugendliche und Erwachsene jeden Alters sitzen oder stehen in Grüppchen zusammen, eine Gruppe aus vier Schwarzen Männern und einer Frau machen Musik mit Trommeln und anderen kleinen Instrumenten und singen dazu, während einige Passanten sich zu einer Traube um sie herum gesammelt haben und zu den afrikanischen Klängen mehr oder minder talentiert tanzen.

Einige Menschen trinken Bier oder Longdrinks aus der Dose und bereiten sich auf eine lange Partynacht in der Altstadt oder auf den Kölner Ringen vor.

Ein paar Meter weiter sitzen oder liegen einige Obdachlose, zusammengerollt auf oder in ihren Schlafsäcken, zwei von ihnen streiten lautstark während ein anderer gerade seelenruhig seinen Hund, einen großen, dunklen Mischling streichelt, der sein Nassfutter direkt aus der Aluschale frisst. Auch sie sind Köln, das alles gehört dazu. Freud und Leid, Vergnügungsmeile und bodenloses Elend nur ein paar Meter voneinander entfernt.

"Ich präsentiere: mein Lieblingsrestaurant", eröffnet Noan mir und zeigt überzeugt auf eine kleine, bunt beleuchtete Dönerbude.

Es ist keine dieser Dönerbuden, die mit zusätzlichen Gerichten vom Holzkohlegrill, Fleisch vom Wagyu-Rind und täglich selbst gebackenem Brot auf Edelrestaurant machen und 10€ für einen Döner nehmen. Es ist ein klassischer, ehrlicher Imbiss, bei dem das Fleisch vom Drehspieß vor Fett trieft und der Döner noch in Alufolie eingewickelt wird. Hier geht man nicht hin, wenn man Essen gehen will. Hier stolpert man betrunken vorbei, wenn der Bärenhunger nach einer durchzechten Partynacht einen treibt, um den Alkohol im Magen mit fettiger Nahrung zu kontern oder man hetzt hierhin, um auf der Durchreise zwischen zwei Zügen noch schnell etwas Warmes zu futtern, wenn man nach stundenlanger Fahrt mehr braucht, als ein belegtes Brötchen aus dem Boardbistro. Kurzum: nach der enttäuschenden Erfahrung bei meinem einstigen Lieblingsitaliener genau das richtige für meinen knurrenden Magen.

"Weißt du was?", frage ich Noan. Er schüttelt den Kopf. "Das klingt genau nach dem, was ich jetzt brauche", antworte ich zufrieden.

Es riecht einfach himmlisch. Der Duft von frisch geröstetem Brot, Joghurtsauce mit viel zu viel Knoblauch, als dass man noch knutschen könnte, wenn der andere nicht wenigstens dieselbe Dosis hatte, und der würzige Geruch des gebtatenen Kalbsfleisches erfüllen die Luft in einem meterweiten Radius der kleinen Blechbude.

Wir treten direkt vor die Glastheke, da wir gerade die einzigen Kunden weit und breit sind und Noan sieht mich skeptisch an. "Ich hoffe du weißt, dass deine Bestellung jetzt sowas wie ein Test ist. Egal wie schön du bist, manche Fehler kann ich nicht akzeptieren."

Er sieht mich so ernst an, dass ich mir das Lachen kaum verkneifen kann. "Ich glaube, wir wissen beide, dass es da keine Diskussionen gibt", beruhige ich ihn überzeugt.

Dann wende ich mich dem älteren Mann mit den grauen Haaren zu, der mit einem großen Messer in der Hand zwischen Verkaufstheke und Drehspieß steht, und mich erwartungsvoll ansieht. "Hallo, einen Döner mit allem, bitte. Und eine Cola."

"Einmal mit alles und Cola, kommt sofort", antwortet er mit starkem Akzent, strafft die Schultern und wischt die linke Hand an seiner weißen Schürze ab. "Und was kriegst du, mein Freund?", fragt er Noan.

Ich drehe mich zu dem jungen Mann mit den schönen, goldbraunen Augen um, der selig grinst und plötzlich eine so tiefe Zufriedenheit ausstrahlt, dass ich wieder lachen muss. "Chef, wie die Dame gesagt hat: keine Diskussionen. Einen Döner mit allem und eine Cola."

ONE NIGHT TILL SUNRISEWhere stories live. Discover now