23:00 Uhr

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Die Sonne versinkt immer weiter hinter dem Rhein, was wir einen Moment lang von der berühmten Hohenzollernbrücke aus beobachten. Der zuvor orange Lichtkegel ist mittlerweile blutrot gefärbt, die Dämmerung setzt ein und die vielen Lichter der Restaurants am Rheinufer entlang verpassen diesem Abend eine romantische Stimmung.

Noan steht dicht neben mir, so nah, dass mich sein süßer Duft einhüllt, doch mit genug Anstandsabstand, dass ich mich nicht bedrängt fühle.

Beinahe verleitet mich die angenehme Atmosphäre dazu, mich noch ein wenig näher an ihn zu schieben, doch ich tue es nicht. Wenn er in diesem Augenblick seinen Arm um mich legen würde, würde ich ihn nicht abweisen.

"Wirklich schön", kommentiere ich selig, an das Stahlgeländer gelehnt, den Blick auf die sanften Wellen gerichtet.

"Egal wie oft man schon hier war, selbst wenn man in Köln wohnt, der Rhein verliert irgendwie nie seine Magie, nicht wahr?", philosophiert Noan und lässt seinen Blick ebenfalls in die Ferne schweifen.

Wortlos nickend stimme ich ihm zu.

"Hast du schonmal ein Schloss hier aufgehängt?", frage ich neugierig.

"Wieso, willst du es suchen?", antwortet er mit einer Gegenfrage, nicht ernst gemeint, in Anbetracht der schätzungsweise 40.000 Schlösser, die hier hängen und täglich Zuwachs bekommen.

Interessiert betrachte ich einige von ihnen: Rote, silberne, goldene, blaue, rosane, quadratisch oder in Herzform, von ganz klein bis ganz groß ist alles dabei, beschrieben mit Buchstabenkombinationen, Daten oder Namen, manche sogar mit Fotos graviert.

"Quatsch", antworte ich schmunzelnd. "Ich habe nur eine gute Überleitung gesucht, um herauszufinden, wie es so um deine Beziehungsfähigkeit steht."

Noan kommt einen Schritt auf mich zu und fixiert mich schmunzelnd mit seinen hellbraunen Augen. "Innerhalb einer Woche von einem Korb zu einem Check meiner Beziehungsfähigkeit. Entweder bist du sehr wankelmütig oder ich habe dich einfach wahnsinnig überzeugt", stellt er zufrieden fest und schenkt mir ein überlegenen Lächeln.

"Freu dich nicht zu früh", entgegne ich und recke ihm mein Kinn trotzig entgegen. "Es ist nie gut, wenn man sich seiner Sache zu sicher ist."

Noan legt den Kopf schief. Das goldene Licht der untergehenden Sonne zeichnet seine Haut weich, er sieht aus wie perfekt gefiltert. "Zwei Beziehungen, beide so anderthalb bis zwei Jahre", antwortet er bereitwillig. "Und du?"

"Eine Beziehung, zwei Jahre", antworte ich einsilbig. Es gibt kein Thema, über das ich noch weniger reden will als meinen Ex.

Noan scheint das zu bemerken, denn er lässt seinen Blick kurz wieder über das Wasser schweifen, bevor er mich auffordernd ansieht. "Wollen wir unten am Wasser weiterlaufen?", schlägt er vor.

Ich bin ihm dankbar, dass er das Thema so diskussionslos auf sich beruhen lässt und folge ihm weiter über die Brücke und am Ende eine Treppe herunter zum Rhein.

Einen Moment lang laufen wir nur schweigend nebeneinander her, doch es ist kein unangenehmes Schweigen und der Druck, die Stimme zwanghaft mit belanglosem Smalltalk überbrücken zu müssen, bleibt aus, was für mich ein sehr gutes Zeichen ist, da es zeigt, dass ich mich in Noans Gegenwart sehr wohl fühle.

"Na ihr beiden, ihr seht aus, als hättet ihr Lust auf eine Schifffahrt", spricht uns plötzlich ein älterer Mann mit Kapitänsmütze und Pfeife im Mundwinkel an.

Überrascht fahren wir beide zu ihm herum.

"Wir haben noch ein paar Plätze frei und legen in zehn Minuten ab. Wenn ihr noch mitfahren wollt, mache ich euch einen guten Preis. Last-Minute-Rabatt quasi."

ONE NIGHT TILL SUNRISEWhere stories live. Discover now