Kapitel 21

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Das verlängerte Pfingstwochenende kam und mit ihm öffneten auch die örtlichen Freibäder. Mein Vater musste am Wochenende leider arbeiten, wollte aber am Pfingstmontag unbedingt mit mir ins Freibad. Ich hatte nichts dagegen und freute mich schon darauf, vor allem, da ich genau wusste, wo sich das UV-Shirt befand, das meine wasserfesten Pflaster überdecken konnte. Ein positiver Nebeneffekt des Shirts war auch, dass ich meine Arme nicht eincremen musste, denn ich hasste Sonnencreme, konnte im Sommer aber auch nicht ohne sie. Am Montag schliefen mein Vater und ich aus, frühstückten dann gemeinsam und fuhren anschließend die paar Minuten zum Freibad. Mein Vater nahm die Tasche vom Rücksitz und schlenderte mit mir im Schlepptau zum Eingang. Wir hatten beide schon unsere Badesachen und unsere Crocs an. Mein Vater bezahlte den Eintritt und schon waren wir in der großen Anlage mit dem Schwimmerbecken, dem Wellenbecken, dem Kinderbecken und dem Rutschen- und Sprungbecken. „Da hinten unter den Bäumen ist es schattig, da können wir unsere Handtücher hinlegen“, meinte mein Vater und zeigte auf eine Gruppe Bäume, die sich zwischen dem Kinderbecken und dem Spielplatz befand. Ich nickte und folgte meinem Vater zu den Bäumen.

„Jette! Papa!“, rief da mit einem Mal jemand. Wir drehten uns synchron um und sahen Emma wild mit den Armen fuchtelnd auf uns zukommen. Offensichtlich hatte nicht nur Papa die Idee mit dem Freibad gehabt. Emma kam vor uns zum Stehen. Hinter ihr tauchten meine Mutter und Stephan auf. „Hallo, Emma Schatz“, begrüßte mein Vater meine Schwester und ignorierte die anderen beiden völlig. „Hallo, Jette. Schön dich zu sehen“, begrüßte meine Mutter mich, ohne auf meinen Vater zu achten. Ich verschränkte meine Arme und wandte den Kopf demonstrativ in Richtung Emma. „Guten Tag“, hörte ich Stephan höfflich sagen, doch auch er wurde von meinem Vater und mir ignoriert. „Jette? Kommst du gleich mit mir ins Wellenbecken?“, fragte Emma und hibbelte von einem Bein auf das andere, was mich leicht zum Schmunzeln brachte. „Klar. Lass mich nur kurz mein Handtuch hinlegen, dann komme ich ins Becken.“ „Ach, wir müssen uns auch noch einen Platz suchen. Treffen wir uns dann direkt im Becken?“ „Natürlich, bis gleich.“ „Bis gleich.“ Meine Mutter nahm meine Schwester an der Hand und führte sie weg von meinem Vater und mir, was mir aber auch nur recht war.

Mein Vater und ich gingen zu unserem auserkorenen Platz und breiteten unsere Handtücher auf dem trockenen Gras aus. Sofort ließ sich mein Vater auf sein Handtuch fallen und ächzte dabei leicht. „Wirst du alt?“, neckte ich ihn, wodurch ich mir einen spielerischen Schlag gegen mein Schienbein einhandelte. „Rede nicht so mit deinem armen, alten Vater“, grinste mein Vater mit erhobenem Zeigefinger. „Ich bleibe erst einmal hier und sonne mich ein bisschen. Vielleicht schaue ich später mal im Becken vorbei.“ „Langweiler“, schmollte ich, doch gab es auf, als mein Vater sich zurücklehnte und seine Sonnenbrille über seine Augen zog. „Na gut. Ich bin mit Emma im Wellenbecken.“ Mein Vater brummte nur. Ich stellte meine Crocs in der Wiese ab und lief barfuß los.

Schon von Weitem konnte ich meine Schwester im Wasser erkennen. Sie hatte eine knallrosane Schwimmbrille auf und einen roten Badeanzug an, sodass man denken könnte, sie wäre ein Leuchtfeuer oder ein Warnsignal oder irgendwas in der Art. Ich lief ins Wasser und zu Emma. „Da bist du ja endlich!“, rief sie aus und sprang auf mich drauf im Versuch, mich unter Wasser zu tunken. Da ich sie aber schon gut genug kannte um zu wissen, dass sie das versuchen würde, blieb ich standhaft stehen. Ich packte Emma an der Hüfte, zog sie von mir runter und warf sie vor mich ins Wasser. Prustend tauchte sie wieder auf und zog einen Schmollmund. „Warum fällst du nie um?“ Fehlte nur noch, dass sie mit dem Fuß aufstampfte wie ein Kleinkind. „Ich kenne dich eben“, grinste ich, doch sie schmollte weiter. Um dem Einhalt zu gebieten, holte ich mit den Armen aus und schon ergoss sich ein Wasserschwall über Emma. Diese schaute mich zuerst mit großen Augen an, ehe auch sie mit den Armen ausholte und dann wie ein Wasserrad Unmengen an Wasser auf mich spritzte. Lachend kniff ich meine Augen zusammen – ich hatte natürlich keine Schwimmbrille mitgenommen – und spritze ebenso Wasser in ihre Richtung, doch wegen ihrer Schwimmbrille brachte es nur wenig. „Ok, Auszeit, Auszeit“, lachte ich nach ein paar Minuten und machte das Peace Zeichen, um für Ruhe zu sorgen. „Meinetwegen“, gab Emma auf. Genau in diesem Moment gab es ein lautes Signal. „Die Wellen fangen an!“, quietschte Emma und schon war ich vergessen. Meine Schwester lief und schwamm so weit im Becken nach vorne, wie es ihr bei den ganzen Menschen möglich war. Ich folgte ihr und achtete darauf, dass ich sie nicht aus den Augen verlor. Alte Angewohnheit. Die Wellen waren wie sie nun mal in jedem Wellenbecken waren. Ganz vorne groß, wurden dann immer flacher und hörten nach zehn Minuten komplett auf. Emma und ich ließen uns auf den letzten Wellen zum Beckenausgang treiben und lagen dann im seichten Wasser. Wir schauten uns an und mussten lachen.

„Na ihr beiden? Habt ihr Spaß?“ Mein Lächeln gefror. „Und wie!“, rief Emma und grinste Stephan breit an, der vor uns stand und sich zu uns hinuntergebeugt hatte. „Schaut mal, ich habe den Wasserball mitgebracht. Wollen wir zusammen spielen?“ „Auf jeden Fall!“, rief meine Schwester und stand auf, um ins etwas tiefere Wasser zu gehen. Ich befand mich in einer Zwickmühle. Eigentlich wollte ich nichts mit Stephan zu tun haben, aber ich wollte auch Emma nicht enttäuschen und weiter Zeit mit ihr verbringen. Das hieß dann wohl oder übel, dass ich auch etwas Zeit mit Stephan verbringen musste. „Na klar“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, stand auf und folgte Emma. Stephan stellte sich mit etwas Abstand zu uns hin und warf den Ball zu Emma. Sie fing ihn gerade noch so auf, indem sie in die Luft hüpfte. „Gefangen!“, rief sie triumphierend, wandte sich mir zu und warf den Wasserball. Es war ein leichtes den Ball zu fangen. Emma hatte wie immer fast zu kurz geworfen. Ich drehte mich zu Stephan und legte meine ganze Kraft in den Wurf. Der Ball flog weit über seinen Kopf. „Nicht schlecht“, meinte Stephan, drehte sich um und holte sich den Ball. So ging das eine ganze Weile weiter. Stephan warf den Ball perfekt zu Emma. Emma warf den Ball immer fast zu kurz zu mir. Und ich versuchte, den Ball soweit weg von Stephan wie möglich zu werfen. Mit der Zeit fand ich sogar Gefallen daran, ihn so zu ärgern, auch wenn er es jedes Mal mit einem positiven Kommentar und einem Lächeln abtat.

„Ich hab Hunger“, quengelte Emma dann und ich atmete leicht aus. Endlich konnte ich diesem Spiel und vor allem Stephan entkommen. „Dann gehen wir mal zu unserem Platz und dann Pommes holen. Willst du auch was, Jette?“, meinte Stephan und sammelte den Wasserball ein. „Nein danke. Ich gehe zu meinem Vater und dann sehe ich weiter“, winkte ich schnell ab und folgte Emma aus dem Wasser. Stephan trottete neben uns her. „Ach, komm doch mit uns Pommes holen. Dann können wir auch zusammen essen“, sagte Emma. „Ich esse lieber mit Papa, aber du kannst ja zu uns kommen, wenn du willst“, meinte ich.

Plötzlich piekste mich etwas in den Fuß. Ich quietschte auf, hob den Fuß hoch und umklammerte ihn. „Verdammter Mist, das war ne scheiß Wespe!“, fluchte ich und versuchte, die aufkommenden Schmerzenstränen zu unterdrücken. „Was? Zeig mal!“, sprang Stephan sofort neben mich, griff sachte nach meinem Fuß und sah sich die Stichstelle genauer an. „Immerhin steckt kein Stachel drin. Bist du allergisch gegen Wespen?“, wollte er wissen und blickte von meinem Fuß in mein Gesicht. „I-Ich weiß nicht. Wurde n-noch nie gestochen“, stammelte ich und konnte nicht verhindern, dass mir eine Träne über die Wange lief. Der Schmerz nahm von Sekunde zu Sekunde zu. „Ok, setzt dich mal hier hin. Sag sofort bescheid, wenn dir schwindelig wird. Emma, pass auf deine Schwester auf. Ich besorge eine Zwiebel und ein Kühlpad.“ Ich setzte mich hin und hielt weiterhin meinen Fuß fest umklammert, von dem der Schmerz nun pochte. Emma setzte sich neben mich und tätschelte meine Schulter. „Tut es sehr weh?“ „Ja!“ „Bitte nicht weinen.“ Emma drückte mich einmal fest und schon war Stephan wieder da. Er drückte mir eine aufgeschnittene Zwiebel auf die Stichstelle. Ich zog zischend die Luft ein. „Ganz ruhig, das wird helfen.“ So saßen wir bestimmt fünf Minuten da, während denen ich genauestens von Stephan im Auge behalten wurde. „Dir ist nicht schwindelig? Schlecht? Kopfschmerzen?“ „Nein, nur mein Fuß tut weh“, antwortete ich leise. Stephan atmete aus. „Dann bist du nicht allergisch. Gott sei Dank. Hier.“ Er tauschte die Zwiebel durch das Kühlpad aus. „Emma, geh doch zu eurem Vater und sag ihm bescheid, wo wir sind und was passiert ist“, bat Stephan meine Schwester, die eifrig nickte und aufsprang. „Und pass auf, dass du nicht auch noch von einer Wespe gestochen wirst“, rief er ihr noch hinterher.

Kurze Zeit später kam mein Vater auf uns zu und nahm mich langsam hoch, wobei er besonders auf meinen Fuß und auf das Kühlpad achtete. „Danke, dass Sie sich um Jette gekümmert haben“, bedankte er sich bei Stephan, ohne ihn anzusehen, und brachte mich dann zu unserem Liegeplatz. Nach einer halben Stunde tat der Stich schon gar nicht mehr weh und Papa besorgte Pommes für uns beide. Nach einer Dreiviertelstunde gingen wir dann ins Schwimmerbecken und drehten ein paar Runden, ehe ich ihn erweichen und mit zu den Rutschen nehmen konnte. Dort trafen wir auch Emma und Stephan wieder, wobei Emma und ich die beiden Erwachsenen kurzerhand hinter uns ließen und zusammen jede Rutsche mehrmals rutschten. Doch wie das im Leben nun einmal so war, ging alles Schöne viel zu schnell zu Ende. Schon rief mein Vater nach mir. Ich verabschiedete mich mit einer festen Umarmung von Emma und lief zu unserem Liegeplatz, wo ich mein Handtuch in unserer Tasche verstaute. Auf dem Rückweg besorgten wir uns noch ein Eis und verließen dann das Freibad. „Sowas können wir öfters machen, wenn ich frei habe“, beschloss mein Vater und das stille ‚Dann aber ohne deine Mutter und Stephan‘ hing unausgesprochen und doch deutlich in der Luft.

Zur Feier des ersten Schultages meines letzten Schuljahres (12. Klasse. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich dieses Jahr mein Abi mache) kommt heute ausnahmsweise auch mal ein Kapitel. Hope you like it ;)
Eure Ronja

Der neue Freund meiner Mutter (AS FF)Where stories live. Discover now