Der Bruder

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Darius war einige Lenze älter als Aralaya. Als ihre Eltern gestorben waren, hatte er sich um seine kleine Schwester gekümmert. Sie hatten sich gemeinsam Nahrung beschafft und in den Strassen der Stadt Unterschlupf gesucht. Die beiden waren unzertrennlich.

Doch eines Tages waren Gesandte des Tyrannen gekommen und hatten Darius für das Heer eingezogen. Er hatte sich nach Kräften gewehrt, aber die Soldaten hatten ihn mit Schlägen abtransportiert. Aralaya war schreiend und weinend hinterher gelaufen, aber das hatte keinen gekümmert.

Seither hatte sie Darius nicht mehr gesehen

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Seither hatte sie Darius nicht mehr gesehen. Sie hatte viele Nächte geweint, bis sie sich an das Alleinsein gewöhnt hatte. Und jetzt war er hier! Und Truppenführer der Armee des Tyrannen!

Aralaya beobachtete ihn eine Weile. Als er sich etwas vom Rest der Truppe entfernte, um sich zu erleichtern, stand sie plötzlich neben ihm.

«Sei gegrüsst, grosser Bruder, lange ist es her.»

Darius sprang vor Schreck zur Seite und beschmutzte daher beim Wasserlösen seine Rüstung

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Darius sprang vor Schreck zur Seite und beschmutzte daher beim Wasserlösen seine Rüstung. Dann starrte er sie ungläubig an:

«Aralaya, bist Du es?»

Aralaya lächelte nur. Schliesslich rief er erfreut:

«Du lebst!»

Doch dann wurde er schnell wieder ernst.

«Du bist die Wolfshexe? Verdammt, ich habe den Auftrag, Dich tot oder lebendig dem König zu bringen.»

«Dann versuch's doch mal», lachte Aralaya und verschwand so plötzlich wie sie gekommen war wieder im Gebüsch.

«Warte doch, Aralaya, ich würde niemals zulassen, dass Dir jemand etwas antut», flüsterte Darius aufgeregt.

«Triff mich heute Nacht, wenn der Mond über den Baumwipfeln steht, am Silbersee.» Dann war das Mädchen verschwunden.

Als es Nacht wurde, stand Darius wie verabredet am Seeufer. Aralaya beobachtete ihn eine Weile von den Bäumen aus. Er war ohne Rüstung gekommen, und es war sonst niemand hier. Dann tauchte sie neben ihm auf. Er erschrak wieder kurz, war diesmal aber rasch wieder gefasst.

Darius hatte ein Hemd und einen Rock mitgebracht und reichte diese dem Mädchen:

„Damit Du nicht mehr nackt sein musst."

Aber das Mädchen antwortete:

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Aber das Mädchen antwortete:

„Kleider bringen Leid und Pein. Roben, Uniformen und Rüstungen werden gebraucht, um andere zu unterdrücken. Die Menschen verstecken ihre Lügen hinter ihren Röcken und merken nicht, dass sie sich dabei selbst verleugnen. Wenn es kalt ist, habe ich warme Felle, sonst brauche ich keine Kleider."

„Aber schämst Du Dich nicht, nackig von allen gesehen zu werden?", erstaunte sich Darius.

Und da sprach Aralaya: „Gott hat uns und alle Kreaturen ohne Kleider geschaffen, und genau so sind wir vollkommen. Warum sollten wir uns dafür schämen? Unsere Scham leugnet unsere Vollkommenheit und entfernt uns von Gott. Und Menschen, die sich von Gott entfernen, versuchen, ihr Unglück mit Reichtum und Macht wettzumachen. Aber nur die Verbindung mit Gott macht wahrhaft glücklich."

Darius spürte in seinem Herzen die tiefe Weisheit seiner Schwester und schaute sie staunend an.

Dann erzählten sich gegenseitig ihre Erlebnisse, seit das Schicksal sie getrennt hatte. Darius hatte sich zu Beginn gegen seinen Heeresdienst gewehrt. Er hatte sein ganzes Leben unter dem Tyrannen gelitten und wollte keinesfalls diesem dienen. Doch die Heeresführer liessen ihn während vielen Monden im Gefängnis hungern und quälen. Als er schliesslich alle Hoffnung verloren hatte, gab er auf und liess zu, im Kriegsdienst ausgebildet zu werden. Bald zeigte sich, dass er besonders kräftig und geschickt im Umgang mit dem Schwert war. So wurde er Truppenführer.

Letzthin war ein Soldat in grosser Angst vom Alten Wald zurückgekehrt und hatte von einer Hexe erzählt, welche mit dem Teufel im Bunde stehe. Sie trage keine Kleider und stelle ihre teuflische Unzucht für jeden sichtbar zur Schau. Sie könne aus dem Nichts auftauchen und die Wölfe mit bösen Zaubern gegen unglückliche Reisende hetzen. So hatte der Tyrann befohlen, dass Darius mit zweihundert Männern in den Alten Wald ziehe, um die Ordnung wieder herzustellen.

Da musste Aralaya lachen. Sie erzählte, wie sie aus dem Gefängnis flüchtete, und dann alles weggab, sogar ihre Kleider, und sich so im Wald ihr Herz mit Glückstalern füllte. Und wie sie dann versuchte, den Raubzügen des Tyrannen Einhalt zu bieten.

„Dann hast Du keinen Pakt mit dem Teufel geschlossen?", fragte Darius.

Und das Mädchen antwortete: „Im Gegenteil, ich habe mich mit Gott verbunden."

Darius wies darauf hin, dass sie sich nun mit dem mächtigen König angelegt hatte, und dieser keine Ruhe geben würde, bis sie tot war. Er ging unruhig und nachdenklich hin und her. Er musste dem König als Beweis den Leichnam der Wolfshexe und gestohlenes Gut bringen. Da erzählte ihm das Mädchen vom Knaben, welcher sie am Vortag angegriffen hatte, so dass die Wölfe ihn töten mussten. Die Gebeine lagen noch in der Nähe der Wolfshöhle. Die Wölfe hatten ihren Hunger gestillt und dafür gesorgt, dass ausser Knochen nicht mehr viel übrig war. Das Gut hatten die Soldaten ja bereits gefunden.

Und so fuhren Darius und die verbliebenen Soldaten am nächsten Morgen mit den Gebeinen und den Geldsäcken zurück zum Schloss des Tyrannen. Darius versprach, bald zurückzukehren, sobald er den König von seiner erfolgreichen Mission überzeugt hatte.

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