Der Beginn des Widerstands

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Am nächsten Tag kamen die Eintreiber. Wie üblich waren sie zu viert mit Kutsche und Ross unterwegs. Der Buchhalter war von zwei bewaffneten Soldaten und einem Kutscher begleitet.

Doch diesmal fanden sie im ersten Dorf nur einen alten Mann vor, der splitternackt und lächelnd auf dem Dorfplatz sass. Den Körper hatte er mit Kriegsmalerei verziert: schwarze Streifen unter den Augen, rote auf den Wangen, weisse auf der Brust. Die meisten Frauen waren mit den Tieren in den Wald gezogen und die Kinder hatten sich versteckt, so dass das Dorf nun ganz verlassen aussah. Sogar die Vögel hatten aufgehört zu singen, als die Eintreiber eintrafen. Nur einige Bogenschützen und -schützinnen hatten sich hinter den Fenstern versteckt und spannten ihre Bögen.

«Was ist denn hier los, bist Du bescheuert oder was?» fragte barsch ein Soldat. Doch der Mann lächelte weiter und hielt einen Korb voll Rüben und Äpfel hin.

«Komm ihm nicht zu nah, der ist doch krank» Meinte der Buchhalter. «Schau, das Dorf ist ganz verlassen. Vielleicht siechen die anderen in den Häusern oder sind schon tot!»

Den drei war anzumerken, dass sie unwohl fühlten. Die übliche Arroganz war der Angst gewichen.

Der ältere Mann sprach nur: «Dies ist der Zehnte für diesen Monat.»

Es entsprach dem Anteil an der Ernte, welcher früher von den Königen eingezogen wurde. Doch seit der Herrschaft des Tyrannen mussten sie jeweils den Grossteil ihrer Ernte abgeben. Dann stand er auf und ging zurück zu seiner Hütte. Die Eintreiber schauten ihm verdutzt nach. Sie diskutierten noch eine Weile, sichtbar unsicher, wie sie sich nun verhalten sollten. Doch dann nahmen sie den Korb und ritten davon. Sie wollten nicht riskieren, sich hier mit der Pest oder einer anderen Seuche anzustecken.

Die Eintreiber ritten weiter zum zweiten Dorf. Dort wartete eine mutige Frau, welche ihren nackten Körper mit einschüchternden Farben bemalt hatte. Auch sie überreichte den Eintreibern den Zehnten der Ernte. Doch diesmal wurde der Buchhalter ungeduldig: «Was zum Teufel soll das? Du weisst genau, dass dies nicht reicht. Und überhaupt, wo sind die anderen und warum trägst Du keine Kleider?"

Doch die Frau antwortete nur: «Das ist, was dem König rechtmässig zusteht. Wir akzeptieren keine Ausbeutung mehr.»

Da zog sie der Buchhalter wütig bei den Haaren: «Sag mal, was erlaubt sich der Pöbel heute eigentlich!». Doch in diesem Moment traf ihn einen Pfeil in seinem Oberschenkel, und er schrie laut auf. Die Soldaten zogen ihre Schwerter, doch weitere Pfeile landeten direkt vor ihrem Füssen, so dass sie gleich wieder zurückweichen mussten. Da liess der Buchhalter von der Frau ab und musste sich mit seinen Soldaten zurückziehen. Er schrie wütend: «Meint ihr wirklich, dass ihr damit davon kommt, ihr Narren? Ihr könnt Euch schon mal auf eine Überraschung des Königs freuen.» Dann ritten sie grimmig davon.

Schliesslich kamen sie ins dritte Dorf, welches ebenso verlassen und bedrohlich dalag wie die vorherigen. Ein Knabe stand nackt und mit verschränkten Armen mitten auf dem Dorfplatz vor einem Korb mit Früchten und Gemüse. Auch sein Körper war eindrücklich bemalt. Doch diesmal hatten die Soldaten ihre volle Rüstung angezogen. Sie näherten sich dem Knaben nicht; stattdessen warf einer seinen Speer in Richtung des Knaben. Doch weil dieser nun gelernt hatte, wie man verschwinden kann, warf es sich blitzschnell hinter einen Busch und war danach nicht mehr zu sehen.

Da schlugen die Soldaten die Türen auf, um die Häuser zu durchsuchen, aber auch dort fanden sie nur leere Gemächer. Wo immer sie auch suchten, sie fanden die gut getarnten Bewohner nicht. Da zogen sie verärgert von dannen.

Uns so brach in den Dörfern grosse Freude aus. Die Kinder und Alten kamen aus ihren Verstecken hervor, die Frauen kamen mit den Tieren zurück und die Vögel sangen wieder.

Am Abend trafen sich die Bewohner aller drei Dörfer für ein grosses geminsames Fest. Alle trugen stolz eine Kriegsbemalung auf ihren Körpern, assen und tanzten. Der ältere Mann, die Frau und der Knabe, die sich mutig den Eintreibern gestellt hatten, wurden als Helden gefeiert.

Aralaya und Darius wurden königlich behandelt. Die Leute verneigten sich vor ihnen, und viele hoben ihre Gläser zu Lobreden über ihre Verdienste.

Doch das Mädchen sprach: «Verehrt nicht mich oder meinen Bruder. Wir haben euch nur an die Kraft erinnert, welche in Eurem Inneren sprudelt und Euch im Äusseren umarmt. Heute habt ihr erfahren, dass nicht Rang und Rüstung Stärke bedeuten, sondern das Unsichtbare. Ihr seid unsichtbar geworden, und somit unbesiegbar. Unsichtbar zu sein heisst, sich von den Dingen loszusagen, denn Dinge sind sichbar. Nur die Kraft ist unsichtbar. Vereehrt diese Kraft und bleibt mir ihr verbunden.»

Und so kehrten Aralaya und Darius in den Wald zu den Wölfen zurück. 

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⏰ Last updated: Apr 11 ⏰

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