29. Krankenhaus

5.2K 192 14
                                    

˗ˏˋ Matteo ˎˊ˗

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich Grete in meinen Armen musterte. Ihre Augenlider zuckten unter dem Einfluss irgendeiner Droge, ihre blutleeren Lippen waren aufgesprungen. Wer wusste schon, wann sie das letzte Mal etwas zu Trinken und zu Essen bekommen hatte. Ich drückte ihren Kopf sanft gegen meine Brust, um ihre Position komfortabler zu machen. Ihre verbundene Hand lag auf ihrem Bauch. Die Hand, an der zwei Finger fehlten. Etwas begann in meinem Inneren zu pochen. Mein Blick fiel auf Domskehls Leiche vor mir auf dem Boden. Mein Kiefer spannte sich an, während Wut durch meine Adern brodelte. Es war das größte Glück dieses Mistkerls, dass ich ihn sofort erschossen hatte, um ihn davon abzuhalten, Gretes Schienbein zu zertrümmern. Ich war nicht gerade versiert in der Kunst des Folterns, nicht wie mein Bruder, der eine verdammte Wissenschaft daraus machte, seinen Feinden Schmerzen zuzufügen. Ich improvisierte meist, sprach Drohungen aus und brach hier und da ein paar Knochen. Aber mit Domskehl hätte ich mir Zeit gelassen. Alle Zeit der Welt. Mit zusammengebissenen Zähnen drückte ich meinen Schuh in sein lebloses Gesicht, während ich mir vorstellte, was ich ihm alles hätte antun können. Sein Kiefer knackte.

Das Gefühl einer zarten Hand, die sich schwach, aber auf vertraute Art und Weise in mein Hemd krallte, ließ mich innehalten. Ich blickte zu Grete in meinen Armen. Sie hatte ihre schönen Augen halb geöffnet. Man sah ihr an, dass es ihr schwerfiel, ihren Blick zu fokussieren. Dennoch sah sie mich ununterbrochen an, als wolle sie sich vergewissern, dass ich auch wirklich da war.

„Es wird alles gut, Maus. Du bist in Sicherheit." Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und trug sie aus der Hütte. Domskehl war vergessen.

˚₊✩‧₊

Ich erwachte mit einem tauben Arm und einem tauben Bein. Leise fluchend richtete ich mich auf dem Stuhl auf, der neben Gretes Bett stand und auf dem ich weggedöst war. Als ich ihr lächelndes Gesicht zwischen der Bettdecke herauslugen sah, hellte sich meine Stimmung auf. Sie hatte eine zehnstündige OP hinter sich, bei der ihr Ringfinger wieder angenäht worden war. Der kleine Finger, den Domskehl mir per Post geschickt hatte, war leider bereits abgestorben gewesen. Sie hatte ihn unwiderruflich verloren. Ich seufzte.

„Was gibt's denn so zu grinsen?", murmelte ich leicht amüsiert und unterdrückte das Bedürfnis, sie anzuknabbern.

„Es macht Spaß, dich beim Schlafen zu beobachten.", gab sie zu.

Ich zog die Augenbrauen zusammen, leicht verärgert über mich selbst. Sie war diejenige, die im Krankenbett lag. Eigentlich sollte ich sie beim Schlafen beobachten. Grete lachte und entlockte mir ein Lächeln. Es tat verdammt gut, ihr Lachen wieder zu hören.

„Ich freue mich jedenfalls, dass ich jetzt wieder bis neun zählen kann.", erklärte sie.

Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. Noch war es nicht sicher, ob der Finger wieder voll funktionstüchtig werden würde, aber immerhin war die Hoffnung da. Aber selbst dann war nicht gut gemacht, was ihr wegen mir angetan worden war. Mein Gesicht wurde ernst und ich wechselte vom Stuhl auf ihre Bettkante, um ihr näher zu sein.

„Ich bin so verdammt froh, dass ich dich gefunden habe. Lebend und," ich warf einen kurzen Blick auf ihre verbundene Hand, „größtenteils unversehrt."

Ich kannte Psychos wie Domskehl. Leute wie er hatten Spaß daran, anderen größtmögliches Leid zuzufügen. Gretes Finger wären erst der Anfang gewesen.

Ihr Blick wurde ernst. Etwas Verstörtes lag darin, über das ihr Lächeln eben hinweggetäuscht hatte. Und es brach mir fast das Herz.

„Er kann mir nichts mehr tun.", flüsterte sie, wie um sich selbst zu versichern.

Ich hob ihr Kinn an, um ihr direkt in die Augen blicken zu können.

„Er kann dir nie wieder etwas antun.", versicherte ich.

Es klopfte und ein Krankenpfleger trat ein.

„Die behandelnden Ärzte haben ihre Anfrage besprochen. Es wird möglich sein, dass Frau Bachel morgen schon entlassen wird unter der Auflage regelmäßiger Kontrolluntersuchungen."

Ich nickte und blickte zu Grete. Sie wirkte erleichtert. Sie hatte keine Lust mehr, im Krankenhaus herumzuliegen, komfortable Privatklinik hin oder her. Und ich wollte sie wieder bei mir haben, in unserer Wohnung, die ich nach den Geschehnissen der letzten Tage besser abgesichert hatte als Fort Knox.

Nachdem der Pfleger fort war, warf ich einen Blick auf meine Uhr und richtete mich auf.

„Wo gehst du hin?", fragte Grete.

„Mein Bruder wird bald landen. Ich werde ihn am Flughafen empfangen."

Grete machte große Augen. Sie wusste, was das bedeutete. Der Don kam nach Deutschland.

„Und dann werden wir Velasco einen Besuch abstatten.", fuhr ich fort.

„Velasco? Der Capo der Narcos?", fragte Grete schockiert.

Ich musterte sie aufmerksam.

„Woher kennst du ihn?"

„Er war in Domskehls Hütte als ich dort ankam.", murmelte sie.

Mein Rücken spannte sich an und ich machte einen Schritt auf sie zu.

„Was genau hat er dort gemacht?"

„Ehm...er hat Domskehl gesagt, dass er mit mir alles machen kann, solange ich die Hütte nie mehr verlasse."

Ich schluckte hart.

„Das war alles?", bohrte ich weiter. Ich brauchte jede Information über diesen Scheißkerl.

Als ich den leicht beschämten Ausdruck auf Gretes Gesicht sah, ballten sich meine Hände zu Fäusten.

Was hat er noch getan?", fragte ich langsam und gezwungen beherrscht.

„Er – ehm – hat mir an den Arsch gepackt.", murmelte sie.

Ich schloss die Augen für ein paar Sekunden. Ruhig, Matteo, du bekommst ihn heute noch in die Finger, nur Geduld, redete ich mir ein. In Anbetracht dessen, dass sie Grete mehrere Tage in ihrer Gewalt gehabt hatten, konnte ich vermutlich erleichtert sein, dass es nur bei dieser Geste geblieben war. Allein der Gedanke daran, ließ mich rotsehen.

Es klopfte und Marina trat ein. Sie befehligte die Truppe, die die Klinik bewachte, in der Grete lag. Ich bestand darauf, dass immer jemand von meinen Leuten in ihrem Zimmer blieb, wenn ich weg war.

Marina nickte mir knapp zu und begrüßte Grete freundlich. Kurz runzelte ich die Stirn in Anbetracht dessen, dass ich nur ein Nicken bekam, während Grete nett begrüßt wurde, ließ die Sache aber beruhen. Grete war nun einmal netter als ich. Ich musste schmunzeln, als ich sie betrachtete. Dann beugte ich mich über sie und gab ihr einen Kuss zum Abschied. Ein ‚Plonk' ertönte hinter mir, als Marina vor Schreck etwas aus der Hand fiel. Ich war kein Mann, der dafür Bekannt war, in der Öffentlichkeit Zuneigung zu zeigen. Aber seit ich Grete fast verloren hatte, war mir mein Ruf in der Hinsicht gleichgültig.

„Pass auf dich auf.", meinte Grete eindringlich.

„Werde ich.", murmelte ich.

Bei unserer Racheaktion vor zwei Tagen hatten wir Brandsätze im Verde-Tower gelegt, der daraufhin hatte geräumt werden müssen. Dann hatte es noch ein paar kleinere Gemetzel auf der Straße gegeben, bevor ich von Gretes Entführung erfahren und alles auf den Kopf gestellt hatte. Velasco hatten wir bei unserer Aktion nicht in die Finger bekommen. Wie ich eben herausgefunden hatte, war er zu dem Zeitpunkt, als wir im Verde-Tower gewesen waren, damit beschäftigt gewesen, Grete an den Arsch zu packen. Ich rauschte aus der Klinik und stieg in den Wagen, der auf mich wartete und mich zum Flugplatz fuhr.

Mafia 101 - MatteoWhere stories live. Discover now