2. Finn - wer nicht wagt...

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„Hat hier jemand Komplexe?", sprudelte es förmlich aus mir heraus, bevor ich wirklich was dagegen tun konnte. Die dunklen Augen meines Gegenübers verfinsterten sich für einen Augenblick, bevor er sich etwas vorbeugte und mich erneut eingehend musterte. Immer wieder verweilten seine Augen auf einem, meiner Körperregionen und mir wurde unwillkürlich heiß.

„Wie kommen sie darauf?!", wollte er wissen, schien aber so in Gedanken zu sein, dass ihn meine Antwort nicht die Bohne interessierte.

„Sie beschreiben mich, wie ich zuvor ihren Vater beschrieben habe! Also ein Vater bedingter Komplex, würde ich sagen." Machte meine Zunge witzigerweise ungehindert dort weiter, wo ich eigentlich meine Klappe halten wollte.

Sofort schoss sein Blick nach oben und mir direkt in die Augen. Welche Farbe hatten sie eigentlich? Grün? Braun? Grau? Warum auch immer fuchste es mich regelrecht, dass ich es von meinem Platz aus, gar nicht richtig erkennen konnte.

Zu dieser Mischung aus Straßenköterblond, dass fast schon ins haselnussbraun ging, welche er zu einem Undercut trug, hätte ja alles gut gepasst. Das Deckhaar wurde fein säuberlich nach hinten frisiert, wobei es einen drall nach rechts machte. Es stand ihm, ließ sein Gesicht noch markanter wirken. Vor allem wenn er die Lippen, wie gerade jetzt, zu einer feinen Linie verzog.

„Und sie als Hobbyautor, sind nun auch noch Hobbypsychologe?" Sein Ton sagte mir sehr deutlich, dass ich hier meine Grenzen weit überschritten hatte, aber allein wie er es sagte, wie er es betonte, weckte das kleine Monster in mir, dass sofort drauf ansprang und sich regelrecht darin verbiss.

„Der ‚Hobbyautor'..." Dabei betonte ich meine Worte mit Gesten und deutete die obligatorischen Anführungszeichen in der Luft an. Schließlich schrieb ich einen Hit nach dem anderen und war mir dessen durchaus bewusst. „... hat in der Tat einen Doktor in Psychologie in der Tasche!", setzte ich sehr gehässig hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Schluck das erstmal, damit dir deine Überheblichkeit im Hals stecken bleibt!", dachte ich mir stattdessen und war doch froh, meine Zunge soweit im Zaum gehalten zu haben, dass es mir nicht herausrutschte.

„Scheinbar kein allzu Guter, wenn sie sich anderweitig ihre Peanuts verdienen müssen."

Mir fiel die Kinnlade herunter. Hatte dieser Mistkerl das gerade tatsächlich gesagt? Was bildetet er sich hier eigentlich ein? Wusste er, mit wem er sprach?

Aber im selben Augenblick schienen ihm seine Worte ebenfalls bewusst worden zu sein. Denn er rückt soweit ab von mir, wie er nur konnte und setzte eine undurchdringliche Miene auf. Nun wechselte seine Augenfarbe fast ins Dunkelbraune und wirkte stürmisch und gefährlich. Eine feine Gänsehaut kroch mir den Rücken hinab und mir wurde noch heißer.

„Wir sind vom eigentlichen Thema abgeschweift. Das tut mir leid!" Schön für ihn! Aber entschuldigte er sich da nicht gerade für die falsche Sache? „Wo waren wir stehen geblieben?!" Kurz wanderte sein Blick erneut über meinen Körper und es kribbelte immer mehr unter meiner Haut, bevor er sich loszureißen schien. „Was kann ich für sie tun?"

Was er für mich tun konnte? War das grade wirklich sein Ernst? In mir drin brodelte es schon wieder.

„Einen neuen Lektor, oder ich verlasse das sinkende Schiff!" Ja, ich konnte ebenfalls arrogant sein und das es dem Verlag nicht so gut ging, hatte ich auch schon mitbekommen. Außerdem hatte er diese kleine Spitze durchaus verdient. Auch wenn er dafür vermutlich nicht verantwortlich war. Aber was wusste ich schon?

Vielleicht war es wirklich an der Zeit, mich nach etwas Neuem und Besserem umzusehen.

Der Mann mir gegenüber wurde blass und senkte den Kopf, um irgendwelche Unterlagen zu sichten. Es vergingen gefühlt einige Minuten, in denen man nur das Papier vor ihm rascheln hörte. Selbst die Zeit fing an, sich wie Kaugummi zu ziehen. Irgendjemand musste jetzt dringend etwas sagen.

„Ich habe niemanden ..." Sein Geständnis klang tonlos. Dann hob er den Blick, der mir durch und durch ging. „Mein Vater hatte in dieser Sparte nur zwei Lektoren ...", dabei schwang Fassungslosigkeit mit, als ob er es selbst nicht glauben konnte.

Mir war zwar irgendwo bewusst gewesen, dass der Verlag neben einigen wenigen hauptsächlich meine Gay-Romane vermarktete, das hatte mich aber bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht sonderlich interessiert. Ich hatte genug Geld und schrieb, um des Schreibens Willen.

„Dann ...", fing ich an und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Musste ich mir tatsächlich einen neuen Verlag, einen neuen Lektor suchen? Jetzt, wo mein Bruder vielleicht nach Frankreich abhauen und mich hier mit meinem Mist alleine lassen würde, konnte ich das gar nicht gebrauchen.

Eine lange Pause entstand, in denen meine Worte immer mehr das Gewicht einer Drohung bekamen, auch wenn ich es gar nicht so beabsichtigt hatte. Aber ich wusste wirklich nicht, was ich jetzt darauf erwidern sollte. Ich wollte doch eigentlich nur, dass mein Leben wieder normal verlief. Langweilig wurde, wie zuvor auch. Ohne Dramen in der Arbeit oder zu Hause.

Stattdessen begann alles noch komplizierter zu werden. Und ich mochte es nicht kompliziert! Ich hatte mich selbst zum Teil nicht unter Kontrolle, wenn dazu aber auch noch mein Umfeld und mein Job verrückt spielten, dann raste ich mit hoher Geschwindigkeit auf eine Katastrophe zu. Da half es nicht viel, die Vorzeichen erkennen und benennen zu können, wenn es am Schluss doch knallte.

„Ich kann ihr Lektor sein.", ertönte es leise in die Stille hinein und jedes einzelne Wort klang nach Ablehnung. Er wollte es nicht! Wieso machte er es dann trotzdem?

„Ich weiß nicht, ob sie der Richtige ...", doch weiter kam ich nicht, weil er mir das Wort abschnitt. „Bis vor ein paar Tagen war ich noch Lektor beim CR Verlag, sie können sich gerne über meine Referenzen erkundigen. Musste meine Stellung dort aber bis auf weiteres aufgeben, um hier zu sein." Wieder war da nur Ablehnung. Aber nicht wie ich bisher befürchtet hatte mir gegenüber, sondern gegen seine Arbeit hier.

„Wieso?", fragte ich, weil ich wirklich verstehen wollte, was ihn dazu bewegte hier zu sein, obwohl er seinen Vater zu hassen schien.

„Das tut nicht zur Sache.", verschloss er sich total. „Wenn sie wollen, kann ich ihnen mich als Lektor anbieten, ansonsten kann ich versuchen, einen neuen Lektor einzustellen, was aber eine langwierige Prozedur nach sich zieht. Ich weiß nicht, ob sie bereit sind, so lange zu warten."

Er sah mir nicht mehr in die Augen. Schon seit er eröffnet hat, mein Lektor zu werden. Schade, irgendwie mochte ich es darin zu rätseln.

Nun stand ich da. Wusste nicht, was ich tun sollte. Einen Lektor nehmen, der es gar nicht sein wollte? Oder mein Leben völlig umschmeißen?

„Ok.", entschied ich mich spontan für das, was mir weniger Angst machte.

„Okay?" Seine Augen trafen fragend die meinen und ich hielt das Blickduell aufrecht. Da lag ein Funken darin, welches mich jetzt schon fragen ließ, ob das tatsächlich die richtige Entscheidung war.

„Ich probiere es mit dir."

Mr. Unverschämt (Mr. 3)Où les histoires vivent. Découvrez maintenant