21. Chris - Geschwisterliebe, oder alle guten Dinge sind drei

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„Und du meinst wirklich, dass das hier eine gute Idee ist?", fragte ich vorsichtshalber nochmal nach. Doch statt einer Antwort riss Finn einfach nur die Tür zu seiner Wohnung auf und brüllte nach seinem Bruder. Also folgte ich ihm ergeben in den Raum und verschloss, mich seelisch auf die nächste Runde vorbereitend, die Tür hinter uns. Musste ja nicht das ganze Haus mitbekommen, dass die Brüder wieder vereint waren.

Und tatsächlich, keinen Augenblick später trat ein sehr verstrubbelter, sich gerade das T-Shirt über den Kopf ziehender Arne aus seinem Schlafzimmer. Kurz darauf gefolgt von seinem Freund. Da es zum Schlafen noch eindeutig viel zu früh war, ließ nur darauf schließen, dass wir ein perfektes Timing hatten und wohl gerade mächtig gestört hatten. Ich seufzte innerlich. Das würde wohl mit Sicherheit den nächsten Streit vom Zaun brechen, dabei konnte ich mir gerade tausend schönere Dinge vorstellen, als mich mit einem, an einem extremen Beschützerinstinkt leidenden Bruder, zu beschäftigen.

„Das ging aber flott! Hätte ich nicht gedacht." Das Grinsen, welches sich dabei auf seine Lippen stahl, war das glatte Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte. Statt aufgebracht und rasend, wie noch vor Stunden, schien er nun völlig entspannt und gut gelaunt zu sein. Entweder hatte dieser Michael Wunder vollbracht, oder hier stimmte etwas nicht. Und auch wenn ich eigentlich die Qualitäten des Doktors im Schlafzimmer weder einschätzen konnte, noch wollte, ließ mich meine innere Stimme Letzteres vermuten.

„Und wie mir scheint, gibt es ein neues Pärchen. Darauf sollten wir anstoßen.", flötete er lachend weiter, nur um sich abzuwenden und geradewegs mit nackten Füßen in die Küche zu marschieren, wo er tatsächlich in Schränken nach Gläsern und Alkohol suchte.

Da ich nun doch etwas verdattert war, schaute ich hinüber zu meinem neuen Freund, in dessen Gesicht sich zu meiner Erleichterung genau die gleichen Fragezeichen prangten, die ich auch in meinem vermutete. Seine Gedanken schienen sich regelrecht zu überschlagen. Doch plötzlich weiteten sich seine Augen ungläubig und er presste ein „nein!", hervor.

„Doch!", kam es glucksend zurück, während besagter Bruder ganz lässig den Korken einer Flasche ploppen ließ.

„Wie konnte ich nur darauf hineinfallen!!", immer noch kopfschüttelnd trat er zu seinem Bruder. Kniff ihn zwischen die Rippen und knurrte ein „Idiot!", wobei er sich seinerseits das Grinsen nicht mehr verkneifen konnte.

Jetzt kam ich mir erst recht wie im falschen Film vor. Fragend sah ich von einem zum anderen. Aber alle drei, denn auch der Doktor schien zu verstehen, schwiegen lediglich grinsend vor sich hin.

„Na, dass erklärt natürlich auch, warum dein Kopf noch dran ist! Ich dachte echt im ersten Augenblick, du versaust es dir doch noch mir Dr. Hot!" Glucksend griff Finn nach zwei gefüllten Gläsern und trat erneut zu mir. Dr. Hot? Michael? Da klingelte doch etwas. Doch das musste warten.

„Och, wenn es dich beruhigt, ich muss ganz schön dafür büßen. Schon ganze fünf Mal!", erwiderte Arne ernst, was seinen Doktor rot anlaufen ließ.

„Oh ja ... und es gefällt dir überhaupt nicht. Ich seh schon!", konterte Finn, der sich wie ich wohl ganz gut ausmalen konnte, was der arme, arme Arne machen durfte. Das alles war ja auch alles schön und gut, doch ich stand immer noch etwas fassungslos auf der Leitung.

„Ich will ja nicht unhöflich sein, aber irgendwie könnte ein klein wenig Kontext nicht schaden! Ich bin nämlich scheinbar irgendwo zwischen ‚Krieg' und ‚Friede, Freude, Eierkuchen' beim Kaffee trinken gewesen.", warf ich mit ein und hoffte endlich aufgeklärt zu werden.

„Kommt, wir setzten uns und ich koch uns erstmal was Schönes!", ergriff Arne das Wort und bevor ich mich irgendwie beschweren konnte. „Und dabei erklär ich alles!", explizit an mich gerichtet. Und das taten wir auch. Wir setzten uns und Arne kochte, während er erzählte, dass er, wenn er sich hin und wieder mal nicht mehr zu helfen wusste, Finn gerne mal eine Falle stellte und hoffte, dass der Kollateralschaden bei einer geplanten Explosion geringer ausfiel, als bei einer ungeplanten.

So hatte er dieses Mal durch seine aggressive und abweisende Herangehensweise mir gegenüber Finn sozusagen gezwungen, eine Entscheidung zu fällen, statt sich weiter in seinem Selbstmitleid und seiner Abwärtsspirale zu verfangen. So sagte er es zumindest. Doch ich verstand nur zu gut, dass er auch mich dadurch manipuliert hatte. Auch mir mit seinem Verhalten ein Messer auf die Brust gesetzt hatte und zu einer Entscheidung gezwungen hatte. Denn wenn ich ehrlich war, wäre der gestrige Abend nicht so dermaßen eskaliert, hätte ich nie den Entschluss gefasst, es tatsächlich ernsthaft mit Finn zu probieren. Zumindest nicht jetzt schon. Da waren wir dem großen Bruder wohl beide in die Falle getappt.

Ob ich es gut fand, so manipuliert zu werden? Na ja... Aber ich verstand tatsächlich, warum er es gemacht hatte. Mit dem, was Finn mir gestern Nacht über sich und über seine Beziehung zu seinem Bruder erzählt hatte, passte alles ins Bild.

Der große Bruder, der immer noch auf seinen kleinen Bruder aufpasste und ihn beschützte. Außerdem hätte ich nie gewollt, dass es Finn meinetwegen so schlecht ginge, wie es ihm wohl ab und an zu mute war. Von daher wollten wir mal nicht so sein und Arne verzeihen.

„Sag mal, Christian!", riss mich besagter Arne aus den Gedanken. „Du brauchst doch eine Wohnung?"

„Emm ... Ja ...", antwortete ich etwas überrumpelt. Gedanklich immer noch weit weg.

„Was hältst du von hier?", schlug er vor und deutete mit einem Messer im Raum umher.

„Emm ...", wiederholte ich mich geistreich. Das konnte sich doch nur um einen Scherz handeln. Doch irgendwie lachte keiner. „Ich versteh nicht ...", setzte ich verwirrt hinzu.

„Wie stellst du dir das vor, Arne. Soll er in mein Zimmer mit einziehen?", fiel Finn mit ein. „Da ist doch gar kein Platz!"

Kein Platz? Sag mal, ging es noch? Wir waren erst seit ein paar Stunden zusammen und ich sollte in das Zimmer meines Freundes einziehen? Das ging mir nun doch etwas zu weit. Doch ich kam mal wieder nicht dazu etwas zu sagen, denn die beiden führten ihr Gespräch einfach ohne mich und Michael fort. Ob das ab jetzt immer so laufen würde?

„Quatsch!", erwiderte Arne. „In mein Zimmer!"

„Dein Zimmer?" War nun auch Finn irritiert. „Ja, mein Zimmer!", bestätigte dieser.

Ein peinliches Schweigen entstand, in dem der Mann neben mir etwas panisch zwischen seinem Bruder und dessen Freund hin und her sah. Michael wusste wohl auch noch nichts von seinem Glück.

„Und du?", stellte Finn dann endlich die elementare Frage, auch wenn ich mir die Antwort darauf denken konnte und Finn wohl auch.

„Du weißt, dass ich den passenden Grund für mein Restaurant gefunden habe und wir mit André an den Plänen sitzen?" Es war keine richtige Frage, denn er kannte die Antwort scheinbar. „Nun ja, wir planen im gleichen Gebäude unsere Wohnung einzurichten. Das würde mir um einiges mehr an Freizeit ermöglichen, wenn ich nicht ständig pendeln müsste."

Wieder Schweigen. Diese Tatsache schlug bei Finn scheinbar ein, wie eine Bombe. Aber hatte er tatsächlich gedacht, sein Bruder würde ewig Zimmer an Zimmer mit ihm leben?

„Wann?", wollte Finn wissen und knetete nervös seine Finger. Eine große Hand legte sich darüber und drückte zu. Er hob seinen Blick und sah seinem Bruder direkt in die Augen.

„Ich bin immer für dich da! Egal wo ich bin! Hast du mich verstanden!", dann machte er eine kleine Pause, damit seine Worte sich wohl setzen konnten. „Noch nicht bald!", dabei lächelte er. „Es wird wohl noch mindestens ein Jahr dauern ... Was mich zum eigentlichen Thema kommen lässt. Bis unser Haus fertig ist, würde Michael entweder zu mir ziehen, oder ich zu ihm. Somit wäre entweder seine Wohnung frei, oder mein Zimmer." Wieder eine Pause und wieder Schweigen.

„Ich wollte das nur zu bedenken geben, da du sicherlich nicht ewig im Hotel wohnen willst.", wandte er sich an mich. Immer noch etwas perplex nickte ich bloß. „Das alles hat auch noch Zeit. Ihr braucht nichts zu überstürzen, aber es wäre eine Möglichkeit."

„Ihr beide wisst schon, das ihr ganz schön anstrengend seid?", richtete ich seufzend an beide. Das war ganz schön viel für einen Tag. Es war Zeit für etwas seichte Kost und das versprochene Essen, welches Arne tatsächlich irgendwie nebenher gezaubert hatte.

Finn erhob sich und holte Teller, so dass ich mit dem Doktor zurückblieb. Ach stimmt, der Doktor. Den wollte ich doch sowieso noch etwas fragen.

„Sag mal Michael, basiert die Dr. Hot Figur aus Finns neuem Roman auf dir? Weil er dich doch gerade so genannt hatte ...? "

Mr. Unverschämt (Mr. 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt