Abschied nehmen

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Die Nachricht, dass Junie von Bord ging, verbreitete sich noch am selben Abend in Rekordzeit und sorgte für einheitliche Ungläubigkeit und Trauer. So sehr, dass die junge Frau sich mit aller Macht von den Emotionen in ihrem Umfeld abschotten musste, weil sie es sonst wohl gar nicht übers Herz gebracht hätte zu gehen.
„Ich fass es nicht, dass du das wirklich tust...", jammerte Hiro zum drölfzigsten Mal, während er ihr kurz nach ihrem Gespräch mit Pops zusammen mit Hakamaru höchst widerstrebend beim Packen half.
Sie stöhnte gequält.
„Bitte Hiro... glaubst du, das fällt mir leicht?! Wenn ich irgendeine andere Möglichkeit sehen würde, dann würde ich doch hier bleiben. Aber ich muss einfach mit meiner Vergangenheit aufräumen, das kann so nicht bleiben!"

„Und wieso fahren wir nicht alle dahin? Oder unsere Division? Oder warum nimmst du nicht wenigstens ein paar von uns mit? Da gäbs auf jeden Fall mehr als genug Freiwillige! Wieso musst du das in einer Solo-Nummer durchziehen, das ist doch blanker Irrsinn!", beharrte er stur. Sein fast schon wütender Ton ließ Hakamaru einschreiten; er trat hinter ihn und schlang seine Arme fest um seine Hüften, während er beruhigend seine Schläfe küsste. Hiro brummelte verstimmt, gab sich dann aber geschlagen und lehnte sich an ihn. Hakamaru zwinkerte Junie verschmitzt zu, was sie unwillkürlich lächeln ließ. Sie freute sich noch immer wahnsinnig für die beiden! Der ausgeglichene Blonde war ein wirklich passender Partner für ihren emotionalen, heißblütigen Ex-Scheinfreund, dem sie nun fest in die Augen sah.

„Weil ich es allein machen WILL. Wobei ich ja mit Yanna unterwegs bin und dementsprechend gar nicht allein bin. Ja, ich weiß - sie ist keine große Kämpferin!" Sie hob mahnend die Hand, als der Blauhaarige erneut protestieren wollte. „Trotzdem - ich will das ohne eure Hilfe schaffen. Ihr alle habt mir in den letzten Jahren so unglaublich viel geholfen, mir so viel gegeben, so viel beigebracht - aber das letzte Stück des Weges muss ich allein gehen. Ich will es mir und euch beweisen, dass ich auch allein etwas erreichen kann!", erklärte Junie ernst.
Hakamaru schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln.
„Und das wirst du auch schaffen, Kleine! Wir können stolz darauf sein, was aus der winzigen, dürren Streunerin aus Curious geworden ist. Hab ich recht, du Glucke?", wandte er sich schmunzelnd an Hiro, der ihm einen finsteren Blick zuwarf. Oder es zumindest versuchte, denn er scheiterte kläglich - als ob er dem Mann seines Herzen wegen so einer Nichtigkeit böse sein könnte!

Er hatte an jenem Abend tatsächlich beinahe einen Herzinfarkt erlitten, als plötzlich Haku zu Besuch gekommen war. Erst recht, als dieser nach seiner Hand gegriffen und sich leise für seine Rettung bedankt hatte. Loslassen wollte er sie jedoch nicht mehr... In der plötzlichen Stille verwoben sich ihre Finger ineinander, viel zu zärtlich, viel zu intim für eine brüderliche Geste. Sein Herz war ihm beinahe stehengeblieben, als der Blonde sich plötzlich vorgebeugt und seine Lippen auf Hiros gelegt hatte... so sanft... so verheißungsvoll...
Mühsam riss er sich zusammen und kehrte in die Realität zurück.

Seufzend sah er Junie an.
„Ja... natürlich schaffst du es. Es fällt mir nur so schwer, dich gehen zu lassen! Vor allem ohne zu wissen, wann du wiederkommen wirst... Versprich mir bitte, dass du nicht allzu lange weg bist, ja? Ich kann mir die Moby nicht mehr ohne dich vorstellen...", sagte er leise. Die junge Frau ließ das Hemd, das sie einpacken wollte, fallen und zog die beiden Männer stattdessen in eine feste Umarmung.
„Ich komme wieder, sobald ich kann! Versprochen! Bitte tut ihr mir den Gefallen und passt auf euch auf - ich will euch alle gesund und munter wiedersehen, klar?", verlangte sie schniefend.
Hiro und Hakamaru drückten sie fest an sich.
„Abgemacht! Sei vorsichtig und komm wieder nach Hause, ja? Du wirst uns wahnsinnig fehlen, Prinzessin!", stieß Hiro erstickt hervor.
„Und wie du uns fehlen wirst... aber ich pass auf deinen Lieblingsbruder auf, versprochen!", schwor Hakamaru feierlich. Junie kamen die Tränen, weshalb sie ihr Gesicht fest gegen die beiden drückte. Mit jeder Faser ihres Herzens genoss sie diesen Moment, ließ sich von ihrer Liebe und Wärme durchfluten.

Es dauerte mehrere Minuten, ehe sie mit dem Packen fortfahren konnte.
Als sie fertig war, ging sie zurück an Deck, wo sie auf der Stelle von ihren übrigen Brüdern belagert wurde - aus der Einweihungsfeier war eine Abschiedsfeier geworden.
Blenheim, Jozu, Blamenco, Speed Gill und Rakuyou stießen kräftig mit ihr an, während Haruta sie jedes Mal umarmte, sobald sie in seine Nähe kam. Curiel deckte sie großzügig mit Munition und guten Ratschlägen ein, während Fossa ihr verdächtig oft blinzelnd zum Abschied so ruppig auf die Schulter schlug, dass sie in die Knie ging. Max gab ihr für alle Fälle einen Lockport mit und drückte sie an sich. Die Jungs aus ihrer Division luden sie auf ein vorerst letztes Würfelspiel ein und begruben sie unter einer spontanen Massenumarmung. Woltan trank zusammen mit King Dew und Teach ihr zu Ehren ein ganzes Bierfass leer, ehe sie anschließend synchron ihren Namen plus Abschiedsgruß ziemlich laut direkt neben Izou rülpsten, dessen Gesichtsausdruck (und seine zur Pistole zuckende Hand) Junie vor Lachen zusammenbrechen ließ. Sogar Namur legte kurz seinen Arm um ihre Schulter und wünschte ihr eine gute Reise. Vista überreichte ihr zum Abschied eine Rose.

Alle waren da - bis auf Thatch und Marco.

Als sie auch kurz vor Sonnenaufgang noch verwunden blieben, beschloss Junie zu ihnen zu gehen. Mit flauem Gefühl ging sie zuerst auf die Suche nach Thatch. Es sah ihm gar nicht ähnlich, eine Feier zu verpassen - der gesellige Kommandant war selten allein anzutreffen. Ob er ihr böse war? Ging es ihm schlecht, weil sie ging? Junie fand ihn schließlich in seiner Küche.
Allein.

Besorgt trat sie näher.
„Hey Bruderherz... was machst du da? Warst du die ganze Zeit hier?", fragte sie vorsichtig. Thatch wandte sich überrascht zu ihr um, er hatte sie nicht reinkommen hören.
„He, Sonnenschein! Fragst du grade wirklich, was ein Koch in seiner Küche tut?", grinste er belustigt. Junie lächelte unsicher.
„Nein, nur... du warst nicht an Deck und... bist du mir böse, weil ich gehe? Falls ja, tut es mir schrecklich... UFFF!" Thatch hatte sie unvermittelt in eine rippenbrechende Umarmung gezogen, die ihr jede Luft aus den Lungen presste. Sie spürte, wie er ihr einen dicken Kuss aufs Haar gab.

„Ach, du kleine, süße Zuckerschnute - als ob ich dir je böse sein könnte!! Ich versteh dich doch, auch wenns mir zugegebenermaßen ganz und gar nicht gefällt. Aber wenn das der Preis ist, den wir zahlen müssen, um unsere schiffseigene Sonne in ihrer ganzen Pracht wiederzubekommen, dann zahlen wir ihn gerne!", erwiderte er leise und mit so viel liebevoller Zuneigung in der Stimme, dass Junie erneut die Tränen kamen. Gott, ein Wunder, dass sie noch nicht dehydriert war bei der ganzen Heulerei! Aber sie konnte nichts dagegen tun - sie hatte die ganze Bande einfach so schrecklich lieb!! Schluchzend vergrub sie ihren Kopf an der Brust des Kommandanten. Der schluckte hart und hielt sie fest, rang sich aber ein Lächeln ab. „Machen wir da jetzt eine Tradition draus, dass du mir ein Hemd ruinierst wenn du aufs Schiff kommst oder gehst?"

Unwillkürlich musste Junie lachen.
„Ich bring dir ein neues mit wenn ich wiederkomme! Oder besser zwei, weil ich bei meiner Rückkehr ja dann bestimmt gleich wieder eins beflecken muss!", versprach sie schniefend und grinste ihn an. Lächelnd wischte er ihr die Tränen vom Gesicht.
„Einverstanden! Aber bleiben wir bitte auch bei Tränen, ja? Einmal Blut reicht!", scherzte er, doch Junie hörte seinen besorgten Unterton heraus.
„Das wäre mir auch lieber! Ich pass auf mich auf und mach keine Dummheiten, versprochen!", entgegnete sie aufrichtig. Thatch nickte ernst.
„Das musst du auch, denn wenn dir was passiert, laufen wir Amok! Unser Zorn würde die ganze Welt erschüttern - das verspreche ICH dir!"

Seine Worte waren nichts als die Wahrheit, das wusste Junie. Auch wenn es niemals ihre Absicht gewesen war und sie es ungern zugab - aber es wäre eine Lüge zu behaupten, dass sie im Herzen ihrer Crew keine Sonderstellung besaß. Die Whitebeards würden für jeden einzelnen ihrer Brüder durchs Feuer gehen, aber wenn es um ihre kleine Schwester ging, wäre das Ausmaß wohl noch ein kleines Stück größer.
Junie war sich dessen bewusst, was ebenfalls ein wichtiger Grund war, stärker zu werden - auf keinen Fall wollte sie, dass ihretwegen jemand verletzt wurde. Unwillig verzog sie das Gesicht.

Thatch tippte ihr lächelnd an die Stirn.
„Ich weiß, dass du das nicht hören willst. Es ist aber wichtig, dass du dir dessen bewusst bist und keine unnötigen Risiken eingehst. Wobei ich mir bei dir eigentlich keine Sorgen deshalb mache - du bist zu klug für Blöd- oder Leichtsinn!"
Er küsste sie auf die Stirn und gab sie frei, ehe er sich umdrehte und ihr - einen gigantischen Beutel noch warmer Kekse überreichte.
Alle verziert mit einer geschwungenen Krone aus gelbem Zuckerguss.
Junie fielen fast die Augen heraus.

„Oh Thatch... ich... du hast die halbe Nacht... für mich gebacken?", stieß sie völlig überwältigt hervor, was ihm ein verschmitztes Grinsen ins Gesicht zauberte.
„Ich muss zugeben, die Idee hab ich geklaut. Wir haben da so ne Verrückte an Bord, die das mal zu Neujahr gemacht hat... du kannst sie dir ruhig einteilen, die halten sich nämlich verdammt lang!"
Mit einem tränenfeuchten Lachen sprang sie ihm an den Hals und übersäte seine Wange mit Küssen.
„Du bist der liebenswerteste, fleißigste, fabelhafteste, anbetungswürdigste Koch und Bruder der Welt!!"
Lauthals lachend knuddelte er sie durch.
„Könntest du anstandshalber auch noch ‚stark' und ‚furchteinflößend' in deine Liste aufnehmen? Nur, damit es vielleicht etwas mehr nach Pirat klingt!"

******

Währenddessen wanderte Marco ruhelos in seiner Kajüte auf und ab. Das tat er bereits seit Stunden. Die Nacht hatte er schlaflos verbracht und vom vielen Gedankenwälzen brummte ihm bereits der Schädel - nach Feiern war ihm absolut nicht zumute gewesen.
Er machte sich selbst größte Vorwürfe, weil er es soweit hatte kommen lassen - er hätte mehr für Junie da sein sollen! Sie mehr unterstützen und... einfach ernster nehmen sollen! Er erinnerte sich deutlich an ihre Bitten, härter mit ihr zu trainieren und auch an die Enttäuschung in ihren Augen, als er Vater vor der letzten Schlacht mit ihrer Positionierung recht gegeben hatte. Spätestens hier hätte er sich mehr um sie kümmern müssen... erst Recht nach dem Angriff auf sie. Auch wenn sie ihn abgewiesen hatte; er hätte einfach hartnäckiger sein müssen! Aber stattdessen hatte er es stillschweigend hingenommen.
Seine Fehler waren ihm nun vollkommen klar - nur leider viel zu spät.

Ein tonnenschweres Gewicht drückte auf seine Brust bei dem Gedanken, sie auf unbestimmte Zeit zu verlieren. Nicht zu wissen, ob es ihr gut ging, ob sie gerade lachte oder weinte, in Schwierigkeiten steckte oder Schlimmeres... fahrig strich er sich durchs Haar und fluchte halblaut. Alles in ihm wehrte sich dagegen, sie gehen zu lassen; auch sein Phönix begehrte verzweifelt dagegen auf.

Ein leises Klopfen durchbrach seine Gedanken.

IHR Klopfen, zum vorerst letzten Mal.
Tief atmete er durch, um seine Fassung wiederzugewinnen.
„Komm rein, Kleine!", rief er leise und Junie trat ein. Sie schloss die Tür hinter sich und blieb unschlüssig stehen, genau wie er. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet; sie zupfte nervös an ihrem Hemdsaum herum, als fürchtete sie eine Standpauke. Fast hätte er angesichts ihrer liebenswerten Macke gelächelt, doch der Schmerz, diesen Anblick von nun an missen zu müssen, war größer.
Für einen Moment war es still.

Junie holte tief Luft.
„Marco, ich..."
„Es tut mir leid!"
Sie stockte, als er sie so unerwartet unterbrach, ihr Blick schoss nach oben. Er stand vor seinem Schreibtisch und wirkte deutlich mitgenommen; eine unsichtbare Last drückte seine Schultern herab, seine Haare waren zerwühlt und sein Blick war gequält. Junie war schockiert, so hatte sie ihn noch nie gesehen. Er fasste sich seufzend an die Nasenwurzel.
„Es tut mir so leid, dass ich dich nicht ernster genommen hab, yoi? Ich hätte mehr für dich da sein sollen. Dir aufmerksamer zuhören sollen. Ich war... ein schlechter Kommandant und ein noch schlechterer Freund. Ich hoffe, du kannst mir das irgendwann verzeihen!"

Ob sie ihm...?
Was?!

Sie hatte sich vor diesem Gespräch gefürchtet, weil sie Angst gehabt hatte, ihre Emotionen nicht genug kontrollieren zu können. Deshalb hatte sie sich vorgenommen, diesen schlimmsten aller Abschiede so ruhig und gefasst wie möglich durchzuziehen. Ihre aufrichtige Zuneigung und Liebe in den letzten Winkel ihres Herzens zu schieben und sich als Schwester und Freundin zu verabschieden. Aber dass er sich allein die Schuld an ihrem Fortgehen gab, damit hatte sie nicht gerechnet - und sie pfiff auf ihre Vorsätze.
Innerhalb eines Wimpernschlags war Junie von der Tür zu Marco geschossen und hatte die Arme um ihn geworfen.
„He, was sagst du denn da?! Hör sofort auf, das stimmt doch überhaupt nicht!", stieß sie entsetzt hervor. Er seufzte, regte sich aber ansonsten nicht. Junie kannte ihn so gut, dass sie seine Gedanken buchstäblich hören konnte. Nur waren das völlig inakzeptable Gedanken! Und noch viel schlimmer war, dass sie seine enormen Schuldgefühle und den Schmerz fühlte. Das konnte und wollte sie keinesfalls so stehen lassen! Noch nie hatte sie ihm wirklich widersprochen oder ihn gar zurechtgewiesen, aber jetzt, in diesem Augenblick, fand sie den Mut dazu.

Ungewohnt entschlossen trat sie ein paar Zentimeter zurück, nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und zog ihn ein Stück zu sich hinunter. Zwang ihn so, ihr in die Augen zu sehen.
„Marco, es gibt nichts zu verzeihen! Ich hab Fehler gemacht - du hast Fehler gemacht - aber wir sind Menschen! Das kann passieren! Ich hätte mehr mit dir reden sollen, meinen Standpunkt mutiger vertreten sollen... aber ich hab es nicht getan und auch das war ein Fehler. Aber bitte vergiss eines nicht: selbst wenn all das nicht passiert wäre, würde ich trotzdem jetzt gehen! Der Hauptgrund ist und bleibt meine Vergangenheit; ich will sie endlich bewältigen und hinter mir lassen. Ich kann nie ganz frei sein, solange ich Teile von mir selbst wegsperren muss um nicht den Verstand zu verlieren! DESHALB gehe ich. Es ist nicht deine Schuld.
Nicht.
Deine.
Schuld!

Hast du mich verstanden?"

Sanfte, nachtschwarze Augen blickten in eisblaue Gegenstücke; hielten sie mit einer Intensität fest, der er nicht entkommen konnte.
Noch nie zuvor hatten sie sich auf diese Weise angesehen.
Zum ersten Mal gab es keine Abstufung zwischen ihnen - nicht von Lehrer zu Schülerin, nicht von Kommandant zu Untergebener, nicht einmal von großem Bruder zu kleiner Schwester.

Sie sahen... einander.

Marcos Herzschlag beschleunigte sich plötzlich, während sich eine überaus angenehme Wärme von dort ausbreitete, wo ihre Handflächen seine Haut berührten. Selbst sein Phönix reagierte darauf; seine Präsenz verstärkte sich deutlich, als würde er sich ihrer Berührung sehnsüchtig entgegenstrecken.
Marco genoss es aus tiefster Seele.
Wie sehr hatte ihre Nähe ihm in letzter Zeit gefehlt! Der Druck aus Schuldgefühlen, Ungewissheit und Reue verschwand und ließ ihn wieder freier atmen; allein ihre Gegenwart, ihre Berührung, brachte alles wieder ins Lot.
Er legte seine rechte Hand über ihre viel kleinere Linke, bedeckte sie damit vollständig.

„Versprich mir, dass du zurückkommst, yoi? Und dass du auf dich aufpasst!", antwortete er leise. Sie lächelte erleichtert und nickte.
„Ich komme zurück. Und wenn ich wieder da bin, werde ich euch genauso beschützen können wie ihr mich immer beschützt habt!", schwor sie feierlich. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals - ihm so nah zu sein, ihn so ungewohnt lang berühren zu dürfen... es brauchte all ihre Konzentrationsfähigkeit, ihre Emotionen bei sich im Zaum zu halten.
Einen langen Augenblick später löste sie ihre Rechte, zog etwas aus ihrer Hosentasche hervor und legte es in seine freie Hand. Marco sah überrascht hinunter, dann lächelte er. Warm und erleichtert.
„Ein Stück deiner Vivrecard..."
Sie erwiderte sein Lächeln.
„Damit du dir sicher sein kannst, dass es mir gut geht. Und damit du immer weißt wo ich bin!"

Sorgfältig steckte er sie in die Brusttasche seines Hemdes.
Noch immer raste sein Herz, noch immer hielt er ihre Hand an seiner Wange fest - unfähig, den Kontakt zu lösen. Er wollte es auch gar nicht.
Wenn er losließ, würde sie gehen. Und das weiß Gott wie lange. Das Hier und Jetzt fühlte sich aber so unglaublich richtig an! Sie war so nah, er spürte ihren Atem auf seinem Gesicht und die Wärme ihres Körpers an seiner Brust. Er fühlte es mit einer Intensität, die ihn selbst verwirrte - als hätte sich seine Wahrnehmungskraft verzehnfacht.

Doch Junie nahm ihm die Entscheidung ab und zog ihre Hand zurück. Überrascht bemerkte er, dass sie rot geworden war.
„Ähm... ich geh jetzt noch mein Frühstück von Thatch abholen. Kommst du mit?", fragte sie etwas zu hastig und strich sich fahrig durchs Gesicht. Himmel, keine Sekunde länger hätte sie sich beherrschen können!
Doch Marco schüttelte den Kopf.
„Ich hab keinen Hunger. Geh du nur, da wollen sich bestimmt noch einige von dir verabschieden!" Er lächelte schief, dann zog er sie plötzlich ganz impulsiv in eine kurze, feste Umarmung. „Komm bald wieder, ja?", flüsterte er etwas heiser, ehe er sie wieder losließ. Die junge Frau blinzelte heftig.

„Sobald ich stark genug bin!", versprach sie und wandte sich zögerlich um.
Doch nach einem Schritt machte sie kehrt, zog ihn erneut zu sich hinab und drückte ihm einen hauchzarten Kuss auf die Wange. Sein Herzschlag geriet völlig aus dem Takt, obwohl sie das schon oft getan hatte. Nur diesmal fühlte es sich anders an. Das Fabelwesen in ihm entbrannte förmlich; es kostete ihn enorme Mühe, es zu bändigen.
„Pass auf Pops und die anderen auf! Ihr werdet mir fehlen!", stieß Junie mit brüchiger Stimme hervor, ehe sie sich tatsächlich abwandte und schnell seine Kajüte verließ.

Marco sah ihr noch lange nach.

Das Feuer des Lebens (Überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt