Kapitel 22

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"Jungkook komm schon... Du musst was essen..."

Jin und Jimin bemühten sich wirklich sehr um ihn. Versuchten ihn irgendwie aus den Tiefen seiner Trauer zu holen, doch Jungkook konnte nicht. Er konnte nicht essen. Nicht trinken oder gar bewegen. Er fühlte sich innerlich tot. Seit gestern Nacht. Seit er gesehen hatte, wie Tae den Blick von ihm abgewandt hatte und ins Wasser gelaufen war.

Es hatte diesen mitgerissen, als ob er nichts wäre. Als ob keine Kraft dieser Welt gegen den Amur ankam. Als ob dieser nur auf eine zweite Chance gewartet hatte, den Fehler wieder gut zu machen, den dieser vor drei Jahren gemacht hatte.

Drei Jahre, die er seinen Mate länger lieben durfte... Und nun...

Ihm fehlte gänzlich der Wille weiter zu machen. Schon fast leblos hatte er sich in dieses Bett vergraben, was anfänglich wie ein Käfig wirkte und nun der einzige Ort war, an dem er IHM Nahe sein konnte.

Es half auch nicht, das Yoongi verkündete, das Tae es auf die andere Seite geschafft hatte, denn das danach brach ihm nur noch mehr das Herz.

"Er hat es rüber geschafft... Aber aus irgendeinem Grund wollte er den gleichen Weg wieder zurück nehmen..."

Die immer leiser werdende Stimme von Jimins Mate sagte ihm mehr, als Worte es tun könnten. Es schrie ihm schon fast deutlich entgegen: Aber dann hat er es nicht mehr geschafft...

Wieder überkam ihn ein Keuchen. Schmerz durchflutete ihn, so wie es dem Schwarzhaarigen ergangen sein musste, als das Wasser ihn mitriss. Schmerz der die ganze Zeit in seinem Körper hallte und wie Wellen nur noch mehr von ihm nahm. Mehr von dem, der er war und mehr von den Erinnerungen, die sie gemeinsam gesammelt hatten.

So viel wollte er mit ihm erleben, so viel mit ihm teilen... Das es so endete hätte er nicht gedacht, aber wer kommt auch schon auf sowas grauenhaftes, wenn doch alles ok ist...

Ja... Es war alles OK und nur wegen ihm und seiner Sehnsucht nach etwas, was der Rest der Welt hatte, verlor er das, was ihm das wichtigste hier auf Erden war. Wie egoistisch er doch war...

Etwas schüttelte an ihm. Hatte nicht Mal gemerkt, das Hände ihn berührten so taub war er schon für seine Umgebung.

Wie lange brauchte es wohl, das er hier im Bett seinen letzten Atemzug tat? Wie viele Tage könnte sein Körper ohne Wasser und Essen überleben?

Es waren Gedanken, die er sich schon öfter in den letzten Stunden gestellt hatte, doch vielleicht musste er das nicht... Vielleicht übernahm es ja jemand anderes, ihn von dieser Welt zu nehmen...

"Yoongi! Was soll das bedeuten, sie entscheiden gerade über Jungkooks Verbleib? Sie wollen doch nicht..."

Jin hockte derweil neben ihm. Versuchte ihn zum Essen zu bewegen, doch es war ihm egal. Er konzentrierte sich allein auf das Gespräch der zwei vor dem Fenster.

"Doch... Sie wollen... Marta will... Sie hat die anderen schon die ganze Zeit angestachelt dazu... Unglaublich, das sie ihren eigen Sohn so schnell vergessen hat... dabei wissen wir noch nicht mal, ob er es nicht vielleicht doch geschafft hat..."

Allein der Gedanke, das Tae tatsächlich irgendwo gerade lebte, ließ sein Herz freudig zucken - doch es hielt nicht lange an...

"Du hast gesagt, das du gesehen hast, wie er abgerutscht ist, wie dieser sich an dem Baum versucht hat festzuhalten und dann überrollt wurde. Wie du danach Minuten lang kein Lebenszeichen von ihm gesehen hast: die Wahrscheinlichkeit, das er tot ist -"

"Hör auf!" Es war Jin, der die beiden draußen zum Schweigen brachte und sofort Jimin wieder zurück ins Zelt holte. Zichend nahm dieser ihn zur Seite, flüsterte irgendwas, was Jungkook nicht verstand. Aber zwei Sachen hatte er verstanden, auch wenn nur drum herum gesprochen wurde:

Erstens: Tae konnte nicht mehr Leben und Zweitens: gerade wurde entschieden, ob er sterben sollte und die Chancen standen gut darum...

...

Das warten war zäh... Es raubte Jimin jedes Fünkchen von Energie und ließ ihn zum ersten Mal im Leben an ihrer Welt hier im Rudel zweifeln.

Wie konnte es sein, das sie das Recht hatten über andere Leben zu urteilen, als ob sie nichts wert wären? Bisher hatte Jungkook doch nichts getan, was ihnen schaden würde und doch war die Angst so übermächtig, das sie Veränderungen lieber von der Erde tilgten, als damit zu leben. Sie anzuerkennen und daraus etwas positives zu ziehen...

Unruhig lief er im Zelt umher. Starrte immer wieder auf das Bett in dem sich der Braunhaarige vergraben hatte. Jin saß davor, hatte den Kopf in den Armen vergraben und sah aus, wie er sich fühlte: elendig...

Verzweifelt strich er sich über sein Gesicht, versuchte irgendwie etwas wacher zu werden und entschied sich schlussendlich ein bisschen frische Luft einzuatmen. Es war die falsche Entscheidung, denn so war er der erste von ihnen dreien, der sehen konnte, wie ein Fackelzug den Hügel empor kam. Ganz vorne Taehyungs Mutter, die schon fast siegreich zu ihm empor schaute.

Wie konnte ein Mensch so gefühllos sein? So kaltherzig und ohne Mitgefühl? Wie konnte sie Mutter sein? Schließlich war auch Jungkook der Sohn von jemandem. Wurde geliebt und begehrt... War das wirklich so bedeutungslos?

Zitternd knickten seine Knie ein. Ließen ihn hart auf den Boden aufkommen, während er laut aufheulte. Sein Gesicht vergrub er vor Verzweiflung in seinen Händen, die verschwitzt und eiskalt waren.

Nein... es hatte nichts gebracht... Kein Reden, kein Diskutieren... Es war schon beschlossen, als Tae ihn hier her gebracht hatte...

Hinter sich hörte er Jin raus kommen hörte ebenfalls, wie dieser ungläubig Aufschrie. Dieser Trauer jedoch anders Luft machte.

"Du verdammter Idiot! Hast du nichts dagegen tun können? Hat deine Stimme wirklich so wenig Gewicht?!" Namjoon versuchte die Fäuste aufzuhalten, die ihm entgegen kamen. Drückte diesen fest an sich, doch die Verzweiflung war weiterhin deutlich zu hören.

"Das könnt ihr nicht tun! Er ist ein Lebewesen wie du und ich! Er kann nichts dafür, das er als Mensch geboren wurde - er würde uns nie gefährlich werden. BITTE!"

Doch sie hörten nicht auf ihn. Holten Jungkook aus der Hütte raus und schleiften ihn Richtung Versammlungsplatz.

Yoongi stützte Jimin. Half ihm auf, auch wenn er gar nicht wissen wollte, was da passierte. Er wollte nichts von alldem wissen und doch stand er schlussendlich mit dabei. Konnte sehen, wie die letzten Sonnenstrahlen den Himmel verließen, und die Nacht hereinbrach. Mittendrin Jungkook, der nicht einen Mucks macht. Sich nicht Bewegte und nicht wehrte gegen das, was gleich passieren sollte.

Komm schon... Zeig nur einen Funken Lebenswillen! Nur einen und die Ahnen werden dich retten, so wie sie es auch bei mir taten!

"Jungkook!", schrie er erneut, wollte sich losreißen von seinem Mate, doch dieser ließ ihn nicht los. Sagte das erste Mal im Leben zu ihm nein, obwohl er etwas ganz anderes wollte... Wie albern, das dieser genau jetzt die Gegenwehr entdeckte... Hätte er sich früher gewünscht, nur jetzt war sie fehl am Platz. Völlig fehl am Platz...

Vor sich hatte der Braunhaarige im Zentrum dieser Aufruhr die Augen geschlossen. Eine einzige Träne löste sich dabei aus dessen Augen. Floss an der Haut hinunter und in den Baumstumpf auf den dieser gedrückt wurde.

Barbaren... Nichts anderes als Barbaren waren sie. Er ekelte sich in diesem Moment vor ihrer eigenen Gattung. Vor all dem, woran sie glaubten. Ihre Werte und Normen und vor allem ihre Ahnen, die an dieser Grausamkeit nie etwas geändert hatten.

Angewidert blickte er weg. Drückte sein Gesicht an die Brust seines Partners. Nichts wollte er mitbekommen. Nicht hören, nicht sehen, nicht riechen...

Wollte nicht diese Anspannung spüren oder die Erleichterung, die von einigen ausging... Sowas nannte er Familie...

Er konnte fühlen, wie das Herz in Yoongis Brust schneller schlug. Schon fast panisch. Wusste, dass es bedeutete, das die Klinge gezückt war - und dann passierte es.

Ein lautes Fauchen. Es erschütterte die Nacht in ihrer bedrückenden Stille und vibrierte in seinen Ohren wieder. Schmerzhaft und laut klang dieses Geräusch in seinem Herzen - und erweckte einen kleinen Funken Hoffnung in ihm...

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Eventuell das nächste morgen 🤔 ich bin am Grübeln...

Sibirischer Tiger - Taekook (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt