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Prolog: Shaun

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Wummernde Beats. Ein hektisches Stroboskop, das den sonst trüben und verrauchten Raum ganz besonders in Szene setzte. Das waren meine beiden ständigen Begleiter, wenn ich meine Schicht im Dreams antrat. Die Frauen, meist mittleren Alters, die am Tresen herumlungerten und mich lüstern musterten, während sie ihre künstliche Oberweite zielstrebig zur Schau stellten, machten das Bild vollkommen. Ein alltäglicher Anblick.

Die Frau, die mir heute gegenübersaß und mich, schon seit ich arbeitete, unentwegt mit ihren Blicken auszog, konnte kaum älter sein als ich. Ihre knallroten Augen ließen leicht erkennen, dass an diesem Abend nicht nur Alkohol durch ihren Körper strömte. Es dauerte nicht lange, da beugte sie sich über den Tresen, um etwas bei mir zu bestellen. Ich kannte Frauen wie sie. Es war kein Versehen, dass ihre Silikonbrüste wie zwei überreife Orangen aus ihrem mindestens zwei Nummern zu kleinen BH quollen, der deutlich unter ihrem durchsichtigen Top hervorlugte.

Schwungvoll schmiss ich mir das Geschirrtuch, das ich gerade benutzt hatte, um ein Scotch-Glas abzutrocknen, über die Schulter und beugte mich ihr charmant lächelnd entgegen. Ein Schwall von Alkohol und Schweiß stieg mir entgegen, doch schreckte mich das nicht ab.

»Hey, einen Sex on the Beach für mich.«

Ich nickte und wandte ihr dann den Rücken zu, um Gläser und Flaschen aus dem hohen beleuchteten Regal hinter mir zu holen. Ich spürte, wie sich ihr Blick in meinen Rücken bohrte und sie vermutlich in just diesem Augenblick auf meinen Hintern glotzte.

Es war schon lachhaft, wie deutlich sie ihren eigentlichen Wunsch zeigte. Was dachte sie wohl in diesem Moment? Dass ich, wie die meisten anderen meiner männlichen Artverwandten, nichts bemerkt hatte? Dass sie üblicherweise mehr tun musste, um ihren Fang zu überzeugen? Oh, ich wusste sehr gut, was sie wollte. Was sie begehrte. Ob es daran lag, dass ich mir bereits einen gewissen Ruf in der Frauenwelt aufgebaut hatte, oder daran, dass ihr schlichtweg meine Ausstrahlung gefiel, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen.

Für mich spielte das keine Rolle.

Als ich mir eine vorgeschnittene Zitronenscheibe aus einem vereisten, metallisch glänzenden Behälter aus dem Kühlschrank geangelt und an den Rand des orangeroten Hurricane-Glases gesteckt hatte, wandte ich mich wieder meiner wartenden Kundin mit dem wallenden blonden Haar zu. Sie dachte anscheinend, dass ich ihr Starren nicht bemerkt hatte. Und wieder setzte ich meinen perfekt einstudierten desinteressierten Gesichtsausdruck auf. Den, der beinahe jede Frau in die Knie zwingen würde. Ich musste es mir wirklich verkneifen, mit den Augen zu rollen, als ich sah, dass mein Kalkül wieder mal Früchte trug. Es war schon fast zu einfach. Zu nervig. Dennoch: Meine körperliche Reaktion auf eine nette Bekanntschaft ließ sich nicht von der Hand weisen. Vielleicht nicht jetzt gleich, dachte ich, doch möglicherweise würde ich mich später noch zu etwas hinreißen lassen. Ach, was machte ich mir vor? Eine weitere, vollkommen bedeutungslose Nacht.

Nachher, wenn ich die Bar geschlossen und aufgeräumt hatte, würde ich sie vermutlich in den schummrigen Mitarbeiterraum entführen, ehe ich nach Hause zu Caleb fahren und den vorbildlichen Bruder mimen würde, den er nun so dringend brauchte. Es gelang mir nicht immer, auch wenn ich mir Mühe gab – für ihn.

Jeden Abend der gleiche Ablauf. Eine Frau kam zu mir an die Bar, tat so, als ob es ihr nur um den nächsten eiskalten Drink ging, den sie ihre Kehle hinabkippen konnte. Nie erwähnte eine von ihnen ihre eigentlichen Motive. Es war ein großes Spiel, von Beginn an falsch. Alle Spieler würden gewinnen – vorausgesetzt, sie hatten den Mumm dazu. Sie bekam ihren Drink und ein wenig mehr, und ich bekam ... na ja. Alle stammten aus reichen Kreisen, nicht anders zu erwarten in einem Club in Upper Manhattan.

Auch in der hochgewachsenen Frau vor mir, die weiterhin mit tiefem Ausschnitt vor mir stand, sah ich Unsicherheit, als sie begriff, dass ich der Eine unter vielen war, der die Spielregeln beherrschte. Vermutlich nahmen all diese Frauen schlichtweg an, dass ich ein harmloser junger Kerl war. Förmlich gekleidet in Anzug und Fliege, dem Dresscode des Clubs im teuersten Viertel der Stadt entsprechend. Die Oberflächlichkeit der Partymenge spielte mir nur in die Hände. Hätte auch nur eine von ihnen zu weit hinter die Fassade aus schicken Schuhen und adrett getrimmten Bartstoppeln geblickt, hätten sie den Wolf im Schafspelz schon längst erkannt.

Ich hatte mein Unschuldslamm zwar kurzzeitig aus dem Konzept gebracht, allerdings hielt sie das nicht davon ab, lasziv an ihrem Strohhalm zu saugen und mich weiterhin anzustarren, während ich meiner Arbeit nachging und die anderen Gäste bediente. Dachte sie, ich bemerkte das nicht?

Ich knurrte leise, als ich aus den Augenwinkeln sah, wie drei Frauen, die etwas jünger wirkten als ich, durch den Raum schwebten und sogleich die Aufmerksamkeit meines Umfelds auf sich zogen. Ich hatte sie nicht reinkommen sehen, nicht dieses Mal, doch das Mädchen mit dem makellosen Gesicht, den kastanienbraunen Haaren, die ihr weit über die Schulter reichten, den Augen, die im blitzenden Lampenlicht wie Diamanten strahlten, war mir wie eine Vertraute. Ihr einziges Problem war, dass sie keine Ahnung hatte, wer ich war. Ihre Art zu gehen, jede Bewegung ihrer schlanken Beine sah so unschuldig aus, doch ich kannte die Wahrheit. Dieses Mädchen war kein Engel.

Sie warf den Kopf in den Nacken, hielt sich den Bauch und lachte herzlich über irgendetwas. Ich hörte nur den drängenden Beat der Musik, immer weiter, immer schneller. Die Gruppe setzte sich an ihren Stammplatz auf die roten Ledersofas, deren Bezug bereits bessere Abende erlebt hatte. Manche würden es wegschmeißen, doch die Gesellschaftsschicht, die hier verkehrte, hielt abgenutzte Einrichtung für den letzten Schrei. Die Entfernung zu ihr gefiel mir nicht, doch das würde sich früher oder später ändern, so, wie es immer ablief. Dafür würde ich schon sorgen.

Ich fragte mich, welche Rolle das Mädchen in diesem Dreiergespann wohl spielte. Sie war unschwer erkennbar schüchterner als ihre Freundinnen, und doch bewegte sie sich mit selbstbewusster Anmut. Ihre Freundinnen schienen dem Spiel deutlich zugeneigter. Sie gab sich größte Mühe dazuzugehören. Aufgehübscht und aufgedreht, bereit für eine wilde Nacht. Ein Teil ihres Lifestyles, aber tief im Innern wussten wir wohl beide, dass sie anders war. Sie gehörte nicht in diese perfekte Welt aus Plastik und Make-up, die wahre Leidenschaft oft vermissen ließ. Sie war anders, versteckte sich hinter einer perfekten Fassade, die ich schon längst durchschaut hatte.

Das Mädchen links neben ihr war die Draufgängerin der Clique, die in weiblicher Begleitung anreiste und den Abend in männlicher Begleitung ausklingen ließ. Mädchen Nummer drei mimte die Schnapsdrossel. Traute sich ohne die flüssige Lebenshilfe das ausgelassene Feiern nicht zu. Sie war genau die Freundin, die man gern mitnahm, um neben ihr gut auszusehen.

»Hallo? Sag mal, bist du noch anwesend?«, brüllte mir eine schrille Stimme entgegen.

Mein Blick wanderte zurück zu meiner Kundin, die sichtlich empört mit der Hand vor meinem Gesicht herumfuchtelte.

»Klar, darf es noch was sein?«, erwiderte ich kalt und ließ sie unmissverständlich spüren, dass ihre Zeit abgelaufen war.

»Echt jetzt? Wie du meinst. Du hast eben dein Ticket hierauf verspielt.« Sie deutete mit großen Gesten ihren makellosen Körper herab und ließ mich mit einer unangebrachten Fingergeste stehen.

Doch das störte mich nicht. Meine Aufmerksamkeit galt dem Engel auf der anderen Seite des Clubs. 

The Shadows on your Soul (ehem. Primed for Sin) #Wattys2020Where stories live. Discover now