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2. Kapitel: Harper

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Als ich mich etwas wacklig auf den Beinen aufgerafft hatte, wusste ich, dass es kein Zurück mehr gab. Die Kellnerin warf mir einen irritierten Blick zu, sobald sie mich in der Nähe der Bar entdeckte. Ich gab ihr ein Zeichen, um ihr zu signalisieren, dass ich die Shots selbst holen würde. Eine Antwort konnte sie sich sparen. Vermutlich passierte das öfter, wenn ebenjener Typ hinter dem Tresen stand und munter Cocktails mischte. Hatte ich mich ernsthaft dazu breitschlagen lassen, ihn anzusprechen?

Ich schlängelte mich durch die dicke Nebelwand, vorbei an Gestalten in bunten Aufzügen, die zu dieser Zeit wie Motten im Licht den Club bevölkerten. Ich wusste ja nicht einmal, was ich zu ihm sagen sollte, sobald ich vor ihm stand. Als ich näher über den klebrigen Boden an die Bar herantrat, musterte ich die Frau mit den künstlichen Brüsten, die den Mann mit dem schwarzen kurz geschorenen Haar immer auffälliger anstarrte. Ich seufzte leise, suchte mir einen Platz etwas weiter von ihr entfernt und fragte mich, was Frauen bloß dazu verleitete, sich derart zu verhalten.

Der Barkeeper war gerade dabei, den nächsten Drink zuzubereiten, und bemerkte mich nicht direkt, als ich mich auf den noch freien Barhocker an der mittlerweile gut gefüllten Bar setzte und die Unterarme auf die Theke legte. Wirklich jeder Zentimeter dieser Bar war verklebt von Zucker und Alkohol. Ein furchtbares Gefühl machte sich an meinem Hintern breit, das mir sagte, dass mich dieser Hocker nicht ohne Kampf wieder freigeben würde.

Unsere Shots standen bereits fertig und ordentlich aufgereiht auf einem kleinen Tablett neben ihm. Gespannt verfolgte ich, wie er den Inhalt seines Shakers in ein Martini-Glas einschenkte, das mit einem Zuckerrand versehen war. Er wusste, was er tat und wie er damit auf Frauen wirkte, das musste man ihm lassen. Während er noch in seine Arbeit vertieft war, ließ ich meinen Blick aus nächster Nähe über ihn wandern.

Ich musste Amanda und Leah recht geben. Er war mehr als nur nett anzuschauen, das hieß allerdings noch lange nicht, dass ich mich wie diese hartnäckige Kandidatin neben mir an ihn ranschmeißen musste. Ich hatte zwar seit etwas mehr als zwei Monaten keinen Sex mehr gehabt und sehnte mich bei seinem Anblick unerwartet stark nach seiner Nähe, aber so schnell würde ich mich nicht auf dieses Niveau begeben. Ich wusste nicht genau, was es war, doch dieser Typ schrie förmlich nach keiner guten Partie. Und sei es nur für eine Nacht ...

Dennoch strahlte der Mann vor mir eine Anziehungskraft auf mich aus, die mich verwunderte. Sein dunkler umbrafarbener Teint und die dazu passenden braunen Augen glichen niemandem, den ich bisher bewusst wahrgenommen hatte. Der durchtrainierte Körper, seine breiten Schultern und die stämmigen Oberarme brachten das weiße Hemd, das wohl jeder Angestellte hier tragen musste, besonders zur Geltung. Schwarze schmale Hosenträger spannten über seinem Hemd, und die dazu passende Fliege am Kragen rundete das optische Gesamtbild ab. Ob ich ihn vielleicht doch schon einmal auf dem Campus gesehen hatte? Ich konnte nicht mit dem Finger darauf deuten, aber irgendetwas an dem Barkeeper wirkte vertraut auf mich.

Ich liebte es, Menschen zu lesen. Etwas, das meiner Meinung nach für meinen Berufswunsch nur von Vorteil sein konnte, doch bei dem Barkeeper gab es nicht vieles, was ich nur anhand seines Äußeren sah. Dass er offensichtlich ein Frauenheld war, stand außer Frage, aber dieser harte Ausdruck in seinen Augen machte mich stutzig. Er konnte nicht gern hier arbeiten, was den meisten Beobachtern vermutlich entgangen wäre. Die Frage war also, wieso. Wieso er doch hier war, denn auf den ersten, oberflächlichen Blick wirkte er so, als liebte er es, Drinks zu mischen, und als ob es keine schönere Tätigkeit für ihn gäbe.

Plötzlich schien er zu bemerken, dass er von mir gemustert wurde, und sah auf – direkt in meine Augen. Der Ausdruck der Gleichgültigkeit verschwand nicht, doch bekam ich die Gelegenheit, sein Gesicht näher zu betrachten. Ich lächelte und deutete auf die Shots, die zu seiner Rechten auf mich und meine Freundinnen warteten. Sofort löste er unseren Blickkontakt, griff nach dem kleinen Tablett und stellte es vor mich, ehe er sich daran machte, die nächste Bestellung abzuarbeiten.

The Shadows on your Soul (ehem. Primed for Sin) #Wattys2020Where stories live. Discover now