5. Dezember

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Wanda lag in ihrem Bett und starrte an die Decke, während sie nachdachte. Auf einmal flog jemand durch die Wand. Es handelte sich um Vision: „Wanda?", fragte er und die Hexe zuckte zusammen.
„Vision! Ich habe dir doch gesagt, du sollst die Tür benutzen!", schimpfte sie leicht, lächelte jedoch dabei. Sie war nicht sauer auf den menschlichen Roboter. „Tut mir wirklich leid, ich lerne noch", entschuldigte dieser sich höflich.
„Schon gut. Was ist denn los?", fragte sie seufzend. „Ich wollte dich zum Frühstück holen", antwortete er. „Ich hab keinen Hunger", murmelte Wanda müde und kuschelte sich in ihre Decke.
Am liebsten wollte sie sich den ganzen Tag in ihrem Zimmer unter der Decke verkriechen. „Bitte Wanda, du musst was essen", behaarte Vision. „Ich habe wirklich keinen Hunger." „Wanda, du hast schon gestern das Abendessen ausfallen lassen, du kannst nicht schon wieder nichts essen." Vision wollte nicht gehen, ehe er Wanda dazu gebrachte hatte, mitzukommen. „Na gut", lenkte diese ein und erhob sich aus ihrem Bett, „aber ich muss mich noch kurz anziehen." „Oh, ja, natürlich, ich warte vor der Tür auf dich", sagte Vision und nutze dieses Mal tatsächlich die Tür. Er machte Fortschritte.
Als Wanda kurz darauf angezogen vor die Tür trat, sah sie Vision tatsächlich warten. Gemeinsam gingen die beiden ins Esszimmer, wo schon einige der anderen Avengers saßen. Peter war nicht da, der arme hockte schon in der Schule. Auch einige der anderen Helden hatten schon gefrühstückt oder gesellten sich aus anderen Gründen nicht dazu. „Guten Morgen", begrüßte Steve die zwei.
Wanda setzte sich neben Vision an den Tisch und begann, etwas zu essen. Erst da bemerkte sie, was für einen Hunger sie eigentlich hatte und war Vision dankbar, dass er sie zum Essen überredet hatte. Sie war sich sicher, dass er es auch bemerkte, aber er sagte nichts.
Nachdem das Frühstück beendet war, lief die Hexe in ihr Zimmer zurück und schnappte sich ein Buch, welches sie zu lesen begann. Es fesselte sie so sehr, dass sie gar nicht mitbekam, wie schnell die Zeit rumging. Als sie irgendwann auf die Uhr guckte, bemerkte sie, dass sie fast zwei Stunden lang gelesen hatte.
Sie nahm ein Buch, mit vielen Fotos darin in die Hand und beschloss, auf das Dach des Avenger Towers zu fahren.
Kurze Zeit später stand sie, in einen dicken, roten Pullover gehüllt auf dem Dach und setzte sich hin. Einige Zeit lang blickte sie bloß über die Stadt. Die Aussicht war wirklich fantastisch. Sie wünschte, ihr Bruder hätte mit ihr hier sitzen können. Er hätte den Blick geliebt.
Pietro fehlte ihr unglaublich sehr. Er war ihr Zwillingsbruder und sie hatten alles zusammen durchgestanden. Aber jetzt war er tot. Einfach weg.
Sein Tod lag schon Monate, sogar Jahre, zurück, trotzdem tat es noch unheimlich weh. Ohne dass sie es merkte, floss ihr eine Träne über die Wange.
„Wanda? Was ist los? Du weinst ja!", hörte sie Visions besorgte Stimme und er setzte sich neben sie. Schnell wischte sie sich mit dem Handrücken über ihr Gesicht, um die Tränen abzuwischen und antwortete: „Nichts, nichts, alles ist okay."
Ihr war bewusst, dass Vision ihr nicht glaubte. Wie könnte er auch, wenn er sie weinend auf dem Dach des Towers fand? „Wanda, du musst es mir nicht erzählen, aber falls du das möchtest, dann höre ich dir zu", murmelte der andere.
Auf einmal brach es aus Wanda raus: „Ich vermisse Pietro so sehr. Er hat die Weihnachtszeit geliebt. Wir konnten uns nie viel leisten, nicht viele Geschenke oder ein großes Fest, aber er hat es immer geliebt. Er mochte die Stimmung, die Freude über die kleinen Geschenke und das Essen, das an Weihnachten immer etwas feiner als sonst war.
Früher, als er und ich noch klein waren und unsere Eltern noch lebten, da haben Pietro und ich immer mit unserer Mutter zusammen Kekse gebacken. Er mochte es immer am liebsten, die Kekse zu verzieren. Seine Augen haben dabei immer so geleuchtet. Ach, ich vermisse ihn einfach so sehr."
Während ihrer kleinen Rede hatte sie wieder angefangen zu weinen, doch diesmal versuchte sie nicht, es zu verstecken. Vision nahm sie einfach einen Moment lang in den Arm, doch dann löste Wanda sich leicht und schlug das Fotobuch, welches sie mitgebracht hatte, auf.
Sie blätterte bis zu den Weihnachtsfotos. Auf den ersten waren die beiden Zwillinge noch ganz jung, erst vier Jahre alt. Pietro und Wanda grinsten glücklich in die Kamera, in ihren Haaren und auf ihren ganzen Körpern war Mehl verteilt. Das nächste Foto zeigte die Mehl-Schlacht der beiden. Sie wirkten befreit und lachten. So ging es immer weiter.
Auf einem Foto, welches an Weihnachten geschossen wurde, waren die beiden neun Jahre alt. Wanda war in einem schönen, roten Kleid und Pietro trug ein weißes Hemd, ein dunkelblaues Jackett und eine schwarze Hose. Alles wirkte zu groß und bereits etwas älter, aber dennoch schick.
„Pietro wollte an diesem Weihnachten unbedingt ähnlich aussehen wie unser Vater, also bekam er die Sachen, die mein Vater als Jugendlicher an wichtigen Tagen getragen hatte. Wir waren den ganzen Tag aufgeregt. Das war das Jahr, in dem wir das letzte Mal mit unseren Eltern zusammen Weihnachten gefeiert haben. Mein Bruder hat sich riesig über einen Pullover, den er an diesem Weihnachten bekommen hat, gefreut", erzählte Wanda und lächelte dabei leicht. Sie liebte diese Erinnerungen. „Ihr saht sehr glücklich aus damals", merkte Vision an.
Nachdem sie ihm noch ein paar andere Bilder gezeigt hatte, stand sie auf. „Ich glaube, ich möchte zu Pietros Grab und ihm irgendwas mitbringen. Kein Weihnachtsgeschenk, eher etwas, dass zur Adventszeit passt. Möchtest du mitkommen?", fragte sie zögernd. „Wenn du das möchtest, gerne", antwortete der andere.
Einige Zeit später standen die beiden, Vision natürlich in seiner Menschengestalt, vor einem Geschäft, in dem es Weihnachtssachen gab. Sie gingen herein und Wanda entschied sich für eine rote Weihnachtsmütze, auf der das Avengers Logo abgedruckt war.
Kurz darauf standen sie an Pietros Grab. Die Hexe legte die Mütze hin, schaufelte ein bisschen Erde darauf und stellte dann eine Kerze auf die Mütze. „Frohe Adventszeit, Pietro. Ich weiß, du hättest es geliebt. Ich werde dich nie vergessen. Ich hab dich lieb", murmelte Wanda an dem Grab hockend. Dann stellte sie sich hin und sagte zu ihrem Begleiter: „Ich will ihn nicht vergessen, aber ich will auch nicht immer mit Schmerz an ihn denken." „Er würde wollen, dass du glücklich bist, wenn du an ihn denkst. Dass du dich an die schönen Dinge erinnerst und ihn stolz machst", antwortete Vision.
Wanda warf einen letzten Blick auf das Grab, als sie sich gemeinsam auf den Weg zurück zum Tower machten. „Ich werde dich stolz machen und immer lieben, Bruder."

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Ich wünsche euch allen einen schönen fünften Dezember!

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